Dienstag, 1. September 2009

Warum Zinsen nicht steigen

Eine Reihe von namhaften Ökonomen klagen in den USA, dass die zunehmende Staatsverschuldung zu einem massiven Anstieg der Zinsen führen wird. Auch im Euroland gibt es viele Mainstream Ökonomen, die mit ihren hemmlungslosen Warnungen vor Hyperinflation ein Klima von Unsicherheit und Angst schaffen. Die Argumente sind bekannt: (a) Die kräftige gestiegene Geldmenge, (b) die staatlichen Hilfen (Konjunkturpakete, neue Kreditfazilitäten, Bürgschaften usw) und (c) das erhöhte Haushaltsdefizit führen zu einem starken Anstieg der Zinsen. Grund: Inflation, die ausufern werde, selbst wenn man die lockere Geld- und die expansive Fiskalpolitik heute unmittelbar rückgängig machen sollte.


Real Potential GDP, Graph: Fed St. Louis, Monetary Trends

Die Geldmenge ist zwar gestiegen, aber die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes hat sich deutlich verlangsamt. In einer depressiven Wirtschaft ist es so, dass die Schuldenaufnahme des Staates steigt, weil die Kreditnachfrage im privaten Sektor drastisch abnimmt. Per Saldo erhöht sich das Kreditvolumen i.d.R. nicht. Die Nachfrage übersteigt also das Angebot keineswegs. Deshalb kann es nicht zu Inflation kommen.

Infolge des dramatischen Nachfrageeinbruchs sind zur Zeit die Produktionskapazitäten in den Unternehmen völlig unterausgelastet. Das heisst, dass die Preisentwicklung sich in diesem Marktumfeld kaum verstärken kann, weil eben die Produktionslücke (output gap) sich ausgeweitet hat. Selbst die Kernrate der Inflation hat sich abgeschwächt.


Actual and Potential GDP, Graph: Fed St. Louis, Monetary Trends, Sept. 2009

Die Löhne stagnieren. Die Arbeitgeberverbände missbrauchen die Wirtschaftskrise bereits, um Lohnkürzungen zu fordern. Den Gewerkschaften sind angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit die Hände gebunden, für Lohnerhöhungen zu plädieren. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bleibt daher schwach.

Paul Krugman hat ausführlich erläutert, wie falsch die Behauptungen sind, dass die Zunahme staatlicher Kreditaufnahme in einer Liquiditätsfalle zu steigenden Zinsen führt. Netto Staatsersparnisse bedeuten vereinfacht ausgedrückt Haushaltsüberschuss. Wenn die Ersparnisse des Staates negativ sind, dann liegt ein Defizit im Haushalt vor. Emprisch ist es nachgewiesen, dass es eine starke Korrelation zwischen Haushaltsdefizit und Zinsen gibt: Ist das Defizit hoch, tendieren die Zinsen niedrig. Laut Krugman ist bei näherer Betrachtung klar, warum eine schwache Konjunktur das Defizit nach oben und die Nachfrage nach Kapital nach unten treibt, während im Aufschwung genau das Gegenteil der Fall ist. So ist der Haushaltsüberschuss der späten Clinton-Amtsperiode zu erklären, während die derzeitige Rezession die Zinsen und die Staatseinnahmen nach unten drückt.


PCE Inflation, Graph: Fed St. Louis, Monetary Trends

Auch Brad DeLong hat gestützt auf die Analysen von John Hicks (1937) aufgezeigt, dass die Zinsen auf historisch niedrigem Niveau verharren, während die US-Regierung riesige Summen an Kapital aufnimmt. In einer Finanzkrise kommt es zu einer Flucht in Sicherheit. Das erhöht die Spreads für Zinssätze. Folglich schwindet die Neigung von Unternehmen, Anleihen zu verkaufen, um Kapital zu beschaffen. Private Haushalte fangen an, mehr zu sparen und weniger Geld auszugeben. Dem Hicks’schen Modell zufolge entsteht in diesem Umfeld sofort eine Überschussnachfrage nach sicheren Anleihen. Die Anleihenpreise steigen und die Zinsen fallen. Mit dem Rückgang der Zinsen werden Konditionen für Unternehmen attraktiver, mehr Bonds auszugeben. Haushalte sehen, dass die Zinsen auf ihre Ersparnisse mickrig sind und beginnen, weniger zu sparen. So bewegt sich der Markt wieder in Richtung Gleichgewicht. Währenddessen passiert aber etwas anderes: Der Rückgang der Zinsen und der Anstieg der Ersparnisse gehen mit dem Willen einher, mehr Bargeld zu halten.


Velocity Growth, Graph: Fed St. Louis, Monetary Trends

Auf diese Weise verringert sich die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. Fällt die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, fallen auch Ausgaben. Weil Arbeitnehmer entlassen werden, verlieren sie Einkommen. Ihre Ersparnisse gehen vom Positiven ins Negative. In dieser Situation muss die Zentralbank Geld in die Wirtschaft pumpen, indem sie z.B. Anleihen gegen Cash aufkauft. Diese Aktion schränkt das Angebot an Anleihen, erhöht deren Preise und drückt die Zinsen nach unten. Wenn Zinsen so niedrig sind, sehen die Leute den Unterschied zwischen Cash und kurzfristigen Bonds (wie T-Bills) nicht. Offenmarktgeschäfte der Zentralbank verlieren daher an Effektivität. Ein Defizit erweist sich deshalb in diesem Umfeld als vorteilhaft. Defizit bedeutet, dass die Regierung genau so viel Anleihen ausgibt, was dem Bedarf der privaten Investoren nach sicheren Aktivposten entspricht. Die Leute kaufen Bonds, anstatt Bargeld zu horten. Eine grosse Flut von Staatsanleihen führt also nicht zu einem Anstieg der Zinsen, was angesichts dessen, was man von John Hicks vor 72 Jahren gelernt hat, zu erwarten ist.

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