Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Volkswirtschaftslehre eine Mitschuld an der Finanzkrise trägt. Vor allem Mainstream-Ökonomen, die die Effizienz der Finanzmärkte gepredigt haben, haben dazu beigetragen, dass die formalen Modelle zum Selbstzweck wurden. Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger geht einen Schritt weiter und zeichnet die VWL als verantwortlich, die intellektuelle Basis für den Deregulierungsprozess geliefert zu haben. Verfangen in der Theorie der rationalen Erwartungen war kaum ein Volkswirt in der Lage die Krise kommen zu sehen. Die Sinnkrise der VWL erreicht nun auch den Internationalen Währungsfunds (IWF). In einem Interview auf der Internet-Seite von IWF erklärt Olivier Blanchard, der IWF-Chefökonom, wie die makroökonomische Politik in Zukunft angepasst werden sollte, um die Lehren aus der schwersten Rezession in 60 Jahren zu ziehen. Die Konturen des Rahmens einer neuen makroökonomischen Politik hat Blanchard in einem Research-Papier festgehalten: „Rethinking Macroeconomic Policy“.
Während die Krise nun langsam zurückgeht, ist es Zeit für eine Neubewertung dessen, was wir darüber wissen, wie makroökonomische Politik zu betreiben ist, bemerkt Blanchard im Interview. „Makroökonomen und Politiker waren versucht, den stetigen Rückgang der zyklischen Schwankungen aus den früheren 1980er Jahren selbst in Anspruch zu nehmen und daraus zu schliessen, dass wir alles über die Makroökonomie wissen“, erklärt Blanchard. „Wir haben der Versuchung nicht widerstehen können“, bemerkt der Wirtschaftsprofessor. „Makroökonomen haben die Krise nicht verursacht, aber wir wissen, dass Ökonomen und Politiker angesichts des scheinbaren Erfolgs der Wirtschaftspolitik vor der Krise vom falschen Gefühl der Sicherheit ausgegangen sind. Eine Ära, die als "Great Moderation" genannt wird. Die Krise hat gezeigt, dass die Entscheidungsträger auf viele andere Variablen achten müssen, einschliesslich der Zusammensetzung des Output, das Verhalten der Preise von Vermögenswerten, des Verschuldungsgrads („leverage“) verschiedener Marktteilnehmer in der Wirtschaft. Es stehen potenziell viel mehr Instrumente zur Verfügung als vor der Krise, hält Blanchard fest. Die Herausforderung bestehe darin, zu erkennen, wie diese Instrumente im besten Fall einzusetzen sind. „Die Kombination aus der traditionellen Geldpolitik und rechtlichen Instrumenten, und die Gestaltung von besseren automatischen Stabilisatoren für die Fiskalpolitik sind zwei viel versprechende Wege“, argumentiert Blanchard“. Bemerkenswert ist, dass Blanchard die Zinsen als ein schlechtes Instrument bezeichnet, um z.B. gegen übermässige Risikobereitschaft vorzugehen oder offentliche Abweichungen der Preise von Vermögenswerten von Fundamentaldaten zu bekämpfen. Die Krise habe gezeigt, dass die Zinsen bis auf Null zurückfallen können, was die Handhabung der Geldpolitik erschwere.
Höhere durchschnittliche Inflation und damit höhere durchschnittliche nominal Zinsen vor der Krise hätten mehr Spielraum für die Geldpolitik gewährt und zu einer wenigeren Verschlechterung der Haushaltslage geführt, bemerkt Blanchard. Dass der IWF-Chefökonom sich für ein höheres Inflationsziel („inflation target“) ausspricht, markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des IWF. Das ist sensationell.
Hat tip Paul Krugman.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen