Dienstag, 18. Oktober 2011

EZB und ihre expansionary austerity-Doktrin

Wolfgang Münchau legt in einem interessanten Artikel („Why Europe’s officials lose sight of the big picture“) in FT nahe, dass die europäischen Entscheidungsträger deshalb versagen, die Eurokrise anzugehen, weil sie der Tatsache keine Rechnung tragen, dass Europa eine ziemlich geschlossene Wirtschaft ist. Der Handel findet nämlich in erster Linie innerhalb Europas statt.

Die Eurozone ist eine grosse geschlosse Volkswirtschaft. Jedes der 17 Mitglieder ist klein und offen. Die Staats- und Regierungschefs gehen ohne Ausnahme von einer offenen Wirtschaft aus. Die Ökonomen, die sie beschäftigten, legen bei ihren Analysen zumeist kleine, offene Wirtschaftsmodell zugrunde“, schreibt der Autor des lesenswerten Buches Makro-Strategien.

Die Austrahlungseffekte der fiskalischen Sparmassnahmen (fiscal austerity) in Europa sind wesentlich, bemerkt Paul Krugman dazu in seinem Blog. Der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor hatte in einem Blogeintrag vor rund drei Jahren unterstrichen, dass eine koordinierte Expansion die doppelte Antriebskraft pro Euro hätte wie eine einseitige Expansion durch nur eine Volkswirtschaft des Euroraums. Nach der gleichen Logik erscheinen die fiskalischen Sparmassnahmen für jedes einzelne Land attraktiver, wenn sie die grenzüberschreitenden Auswirkungen nicht in Betracht ziehen. Es gibt also laut Krugman „sehr grosse intra-EU Externalitäten“, was die Fiskalpolitik betrifft.

Münchau geht viel zu freundlich damit um. Die europäischen Staats- und Regierungschefs und die Institutionen im Grossen und Ganzen sind nicht einmal so weit, Massnahmen dafür zu konzipieren, die in einer kleinen offenen Volkswirtschaft hätten funktionieren können, fügt Krugman hinzu. Stattdessen leben sie in einer Fantasie Wirtschaft, in der die Vertrauen Fee (confidence fairy) die fiskalische Schrumpfung expansiver gestalten würde. Die EZB ist auch eine Institution, die sich am meisten der Lehre von expansionary austerity verschrieben hat.

Im Allgemeinen mögen die Ökonomen Modelle, in denen intelligente Menschen individuell intelligente Entscheidungen treffen, die sich am Schluss kollektiv dumm herausstellen und sie mögen es insbesonders, wenn solche Modelle Argumente für internationale Koordinierung der Massnahmen fordern.

Aber in einer realen Welt entsteht eine schlechte Wirtschaftspolitik oft aus Fehlern, auch wenn man dabei an die Grundsätze auf der Ebene der einzelnen Ländern einhält. Es ist die schlechte Wirtschaft, nicht die Aufssummierung von Zwängen, die im Kern der jüngsten europäischen Torheit steht, legt Krugman dar.

Exkurs:

Was heisst expansionary (fiscal) austerity?

Die EZB vertritt die Ansicht, dass der Rückgang der Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen (und die Kürzung der staatlichen Transferleistungen) der beste Weg ist, wirtschaftliches Wachstum zu erreichen, und zwar durch die Stärkung des Vertrauens der Verbraucher und der Unternehmen. Wegen der Betonung des „Vertrauens“ spricht Krugman spitzfindig gern von Vertrauen Fee (confidence fairy).

Die EZB glaubt also nach ihrer Doktrin daran, dass eine Senkung der Staatsausgaben zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führt. Die EZB-Ökonomen denken dabei, dass es auf die Erwartungen ankommt. Demnach fordern die (unsichtbaren) Bond Vigilantes nach rigorosen fiskalischen Sparmassnahmen. Die Schocks in Sachen Fiskalpolitik, die einer erwarteten künftigen Umkehr bei den Ausgaben folgen, hätten eine positive Auswirkung auf die Produktion, privaten Verbrauch und die Investitionen, so lautet die Glaubenslehre. Wie zumindest die jüngsten Erfahrungen (in den vergangenen drei Jahren) belegen, ist die Lehre von expansionary austerity kläglich gescheitert. Die Frage ist, um wieviel sich das Haushaltsdefizit durch einen Anstieg der Staatsausgaben erhöht. Es ist nicht eins zu eins, weil höhere Staatsausgaben zu einem höheren BIP führen, wegen der höheren Steuereinnahmen. PS: Die makroökonomische Algebra von Krugman ist hier (wonkish!) nachzulesen.

Arjun Jayadev und Mike Konczal zeigen mit konkreten Fallstudien aus der Praxis in einer ausgezeichneten Forschungsarbeit („The Boom Not The Slump: The Right Time For Austerity“), dass der richtige Zeitpunkt für Sparmassnahmen nicht der Abschwung, sondern Aufschwung ist.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hallo Autor,

ich würde gerne mit ihnen Kontakt aufnehmen. Leider ist in Ihrem Bog keine e-Mail-Adresse angegeben, unter der das möglich wäre. Sie können mich über Twitter unter Gabi_Punkt_F erreichen; vielleicht kommen wir so in Kontakt.