Mittwoch, 12. Oktober 2011

Die abnehmende Zuverlässigkeit der Bilanzdaten

Es gibt mehr Zahlen im Universum, die mit der Ziffer 1 beginnen als die, die mit 2 oder 3 oder 4 oder 5 oder 6 oder 7 oder 8 oder 9 beginnen. Und es gibt mehr Zahlen, die mit 2 beginnen als mit 3 oder 4 oder usw. Diese Beziehung gilt für die Länge von Flüssen, die Bevölkerung in den Städten, die Molekulargewichte von Chemikalien und eine beliebige Anzahl von anderen Kategorien.

Diese numerische Regelmässigkeit ist als Benford’sches Gesetz (Benford’s Law) bekannt. Und es besagt im Besonderen, dass die Wahrscheinlichkeit der ersten Ziffer aus einer Reihe von Zahlen (d) ist, gegeben durch die Formel:

In der Tat wird das Benford’sche Gesetz in Rechtsfällen verwendet, um Betrugsfälle in Unternehmen aufzudecken, weil die Abweichungen vom Gesetz darauf hinweisen können, dass ein Unternehmen die Bücher manipuliert hat.

Jialan Wang wundert sich, ob das Benford’sche Gesetz auch für die grossen öffentlichen Unternehmen, mit denen wir im Finanzmarkt zu tun haben, zutrifft.


Benford-Gesetz, Verteilung

Sie lädt in ihrem Blog die vierteljährlichen Bilanzdaten (Umsatz, Aufwendungen, Vermögenswerte, Schulden usw.) von allen Unternehmen in Compustat (über 20‘000 Unternehmen aus der SEC filings) herunter. Und siehe da, es funktioniert. Hier ist die Verteilung der ersten Ziffern vs. Vorhersage für die Bilanzsumme gemäss Benford-Gesetz.


Verteilung der ersten Ziffern vs. Bilanzsumme von Unternehmen gemäss Benford’sches Gesetz, Graph: Prof. Jialan Wang

Als nächstes wirft die an der University of St. Louis lehrende Wirtschaftsprofessorin einen Blick darauf, wie sich die Einhaltung des Benford-Gesetzes im Laufe der Zeit ändert, mit der Verwendung eines Masses für die Summe der quadrierten Abweichungen der empirischen Dichte von der Vorhersage des Benford-Gesetzes.

Die Abweichungen vom Benford-Gesetz haben im Laufe der Zeit im Wesentlichen zugenommen, sodass die empirische Verteilung der einzelnen Ziffern heute ca. 3% dahinter verläuft, was das Benford-Gesetz nahelegt. Die Abweichung hat sich zwischen 1982-1986 scharf erhöht, bevor sie sich abgeflacht hat. Dann ist die Abweichung von 1998 bis 2002 wieder stark zu genommen.

Bemerkenswerterweise fiel die Abweichung vom Benford-Gesetz zwischen den Jahren 2003 und 2004, nach der Verabschiedung des Sarbanes-Oxley Gesetzes (2002) in Bezug auf die Rechnungslegung. Aber es war laut Wang eine sehr kleine Abweichung, die dann im Jahre 2009 ein Allzeithoch erreicht hat.



Abweichung vom Benford-Gesetz, Graph: Prof. Jialan Wang

Gemäss Benford-Gesetz werden die Bilanz-Angaben immer weniger repräsentativ dafür, was sich in der Welt der Unternehmen abspielt. Die grosse Reform nach Enron und anderen wichtigen Rechnungslegungsstandards hat nach Wangs Ansicht kaum einen Eindruck hinterlassen.

Als nächstes untersucht Frau Wang drei Industrien anhand des Benford-Gesetzes: Finanz, Informationstechnologie und Fertigung. Während diese Reihen keine entscheidenden Erkenntnisse liefern, korrelieren die Abweichungen mit den bekannten Finanzkrisen, Blasen und Betrugswellen.

Fazit: Das gesamte Bild sieht düster aus. Die Bilanzdaten scheinen immer weniger im Zusammenhang mit dem natürliche Daten generierenden Prozess, der von Flüssen über Molekülen bis Städten regiert, zu stehen. Da diese Daten die Basis für die meisten Forschungsarbeit im Finanzwesen darstellen, bringt das Benford-Gesetz ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Ergebnisse. Und es ist sicherlich ein Grund für Investoren, Vorsicht walten zu lassen.

Hat tip to Mark Thoma.

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