Buchbesprechung
Paul De Grauwe: Lectures on Behavioral Macroeconomics. Princeton University Press. Princeton
and Oxford, 2012:
Es
ist schwer, ein Modell zu bilden, welches von rationalen Erwartungen abweicht,
bemerkt Paul De Grauwe bereits am
Anfangs seines neuen Buches über Behavioral Macroeconomics. Denn es war riskant, gegen das mächtige
Argument vorzugehen, dass es keine Hoffnung gebe, zu einem vernünftigen Ergebnis
zu kommen, wenn man einmal in die „Welt der Irrationalität“ eintrete. Dennoch
unternimmt De Grauwe den Versuch, von
Mainstream abweichend neue Wege des Denkens über die Makroökonomie zu
erforschen.
Der
an der London School of Economics
lehrende Wirtschaftsprofessor stellt zu diesem Zweck „rationalen Erwartungen“ (mainstream macroeconomic model)
„kognitive Einschränkungen“ (behavioral macroeconomic
model) gegenüber. Es handelt sich dabei um ein neues Modell, welches von
einer „unterschiedlichen Vorstellung“ von Rationalität ausgeht, um v.a. die Schwankungen
von Output und Inflation in der realen Welt zu verstehen.
De Grauwe zeigt in seiner Analyse auf, wie exogene Schocks in das Behavioral
Modells übermittelt werden. In einer ersten Erweiterung stellt der Autor die
Asset Markets im Modell vor. Eine zweite Erweiterung verkörpert ein reiches
Menü an Prognose-Regeln, die im Basis-Modell verwendet werden. Am Schluss
untersucht der Autor empirische Fragen in Bezug auf die Problematik, um
herauszufinden, wie es um die theoretischen Voraussagen bestellt ist, wenn die
dazu gehörigen Daten konfrontiert werden.
Im
Mittelpunkt steht die Tatsache, dass die freie Marktwirtschaft durch „booms“ und „busts“ gekennzeichnet ist. Jede makroökonomische Theorie ist daher
aufgefordert, zu versuchen, endemische Konjunkturzyklus-Bewegungen zu erklären.
Vor
der Bildung eines Behavioral Modells
gilt es jedoch einige stilisierte Fakten hervorzuheben. (1) Es gibt in den
Output Gap-Daten (Produktionslücke) eine starke Autokorrelation. Das heisst,
dass die Produktionslücke in der Periode t mit der Produktionslücke in der
Periode t-1 stark korreliert. Die Autokorrelation beträgt z.B. in den USA 0,94.
(2) Die Schwankungen im Hinblick auf die Produktionslücke sind nicht
normal verteilt (Nassim Nicholas Taleb lässt grüssen).
Es
gibt (a) excess kurtois, d.h. dass es
zu viel Konzentration in Sachen Beobachtung um den Mittelwert gibt, um mit
einer Normalverteilung im Einklang zu stehen und (b) fat tails, d.h. dass es viel grosse Schwankungen in Bezug auf die
Produktionslücke gibt als es sich mit einer Normalverteilung vertragen würde.
Das
bedeutet, dass man, wenn man seine Prognosen auf die Normalverteilung basieren
lässt, Gefahr läuft, die Wahrscheinlichkeit zu unterschätzen, dass die
Produktionslücke in einer bestimmten Zeitperiode eine grosse Zunahme oder
Abnahme erfahren kann. Dieselben empirischen Befunde gelten auch für andere
OECD-Länder.
Im
„mainstream new Keynesian Modell von rationalen Erwartungen“ treten Störungen
im Hinblick auf die Output und Inflation nur dann auf, wenn es zu grossen exogenen
Schocks kommt. Die Prognosen der Wirtschaftsakteure (agents) müssen hierbei mit dem zugrunde liegenden Modell im
Einklang stehen.
Im
von De Grauwe entwickelten Behavioral Modell werden die Wellen von Optimismus und
Pessimismus (durch „animal spirits“)
endogen geschaffen und haben eine sich selbst erfüllende Eigenschaft.
Das Modell ist zudem von der Bereitschaft der Wirtschaftsakteure geprägt, zu
lernen, und das Verhalten
dementsprechend zu ändern. De Grauwe bezeichnet es als „trial-and-error-learning“.
Das
Modell beruht m.a.W. auf einem erweiterten Konzept der Rationalität. In einem
mainstream Modell wird die Rationalität enger definiert, als Nutzen-Maximierung
der Akteure, die keine kognitive Einschränkungen zeigen. Im Behaviorial Modell
haben die Akteure hingegen eingeschränkte kognitive Fähigkeiten. Diese
Limitationen zwingen sie, einfache Regeln (heuristische) zu verwenden, um ihre
Performance zu verbessern.
Die
Great Recession von 2008/09 war
nicht das Ergebnis eines exogenen Schocks, sondern sie ergab sich aus einem
übermässigen Optimismus, welcher sich vor 2008 aufgebaut hatte und schliesslich
zu unnachaltigem Verbrauch und Investitionen geführt hat. Nach dem das Blatt
sich wendete, setzte Pessimismus ein, was später in eine schwere Rezession
mündete.
De Grauwe versucht daher, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage- und
Angebot-Gleichung nicht aus mikro-fundierten Grundsätzen (micro-founded principles) herzuleiten, da die Entwicklung in
Psychologie und Gehirn-Forschung unterdessen deutlich nahelegen, dass die
Annahme, dass die Wirtschaftsakteure, die Nutzen-Maximierung anstreben, alle
verfügbaren Informationen verwenden, mit der Empirie nicht stand hält und
deswegen abzulehnen ist.
Das
Buch besteht im Wesentlichen aus wunderschönen Abbildungen (v.a Histogrammen),
die auf die Ergebnisse von zahlreichen Simulationen zurückzuführen sind, die in
einer aussagekräftigen Gegenüberstellung des Mainstream Models mit dem
Behavioral Model mit dem entsprechenden Austausch der Variablen angestellt werden.
De
Grauwe gelingt es, zu zeigen, dass es möglich ist, die Schwankungen der
Konjunktur besser zu erklären, ohne auf das Konzept der rationalen Erwartungen
angewiesen zu sein. Da die Bedenken im Hinblick auf die empirische
Glaubwürdigkeit der Annahme der rationalen Erwartungen im Mainstream Macroeconomic
Model sich im Sog der anhaltenden Finanzkrise von 2008 nun endgültig als
vollkommen begründet erweisen, ist ein neuer Ansatz vonnöten, um in
Fluktuationen im Hinblick auf die Produktion (output) und Inflation zu beobachten und dementsprechend zu
reagieren. Ein erfrischendes, viel Neugier erweckendes Buch. Empfehlenswert.
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