Sonntag, 4. November 2012

Ist Austerität kontraproduktiv?


Ist Austerität kontraproduktiv? Brad DeLong und Larry Summers argumentieren in einer inzwischen viel zitierten Forschungsarbeit („Fiscal Policy in a Depressed Economy“) vom März 2012, dass die negativen Auswirkungen von Haushaltskonsolidierung auf das Wirtschaftswachstum in der aktuellen wirtschaftlichen Situation so gross sein dürfte, dass die Auswirkungen auf die Schuldenquote (debt-GDP-ratio) pervers werde, was dazu führt, dass die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung steigen, statt zu fallen.

Nun hat der IWF in einem vor ein paar Wochen vorgelegten Wirtschaftsbericht (Global Prospects and Policies) im „Chapter 1“ herausgestrichen, dass der „Fiskalmultiplikator“ in wichtigen Industrieländern während der Grossen Rezession grösser ist als bisher eingeschätzt.

Vor diesem Hintergrund unternehmen Dawn Holland und Jonathan Portes  anhand des National Institute Global Econometric Model (NIGEM) den Versuch, die mengenmässigen Auswirkungen der koordinierten Haushaltskonsolidierung in der gesamten EU zu modellieren, indem sie auch die aktuelle Konjunktur in Erwägung ziehen. Das Ergebnis präsentieren die Autoren in einem lesenswerten Essay („Self-defeating austerity?“) in voxeu.

Die wichtigste Schlussfolgerung:

Während in „normalen Zeiten“ führt die Haushaltskonsolidierung zu einem Rückgang der Verschuldung im Verhältnis zum BIP (debt-to-GDP ratio). Unter den gegenwärtigen Umständen ist die Haushaltskonsolidierung hingegen in der Tat für die EU insgesamt „kontraproduktiv“ (self-defeating). Die Haushaltskonsolidierung führt nicht zu einem Rückgang, sondern zu einem Anstieg der Schuldenquote in der EU als Ganzes. Das gilt auch für Grossbritannien.

Eine koordinierte Austerität in der Depression ist m.a.W. in der Tat unsinnig.

Die Implikation ist, dass die gegenwärtige Strategie der einzelnen Mitgliedstaaten und der EU als Ganzes, grundfalsch ist. Die Austerität macht alles nur noch schlimmer.

Die Autoren heben hervor, dass der Multiplikator in „normalen Zeiten“ weniger als eins betrage, und für viele offene Volkswirtschaften sogar deutlich weniger als eins. Doch im Angesichts der gegenwärtig depressiven Wirtschaft und der Zinsen, die auf der Null-Grenze liegen, gibt es mehrere Gründe, zu erwarten, dass die negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum viel grösser sind als in „normalen Zeiten“.

(1) Unter normalen Umständen kann eine restriktive Fiskalpolitik von einer expansiven Geldpolitik begleitet werden. Der lockere geldpolitische Kurs führt dazu, dass die langfristigen Zinsen sinken, was die Investitionen ankurbelt und die kontraktive Fiskalpolitik zum Teil ausgleicht. Aber im Angesicht der ungewöhnlich niedrigen Zinsen und einer weiteren Verschärfung der Fiskalpolitik ist es unwahrscheinlich, dass es zu einem solchen Ausgleich kommt. Die Auswirkungen durch mengenmässige Lockerung der Geldpolitik bleiben aufgrund der sehr niedrigen Verzinsung der sicheren Vermögenswerten (risk-free assets) limitiert.

(2) Wenn die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist, finden sich private Haushalte und Unternehmen liquiditätseingeschränkt. Verbraucher halten sich folglich mit Ausgaben zurück. Und Unternehmen erleiden Umsatzeinbrüche.

(3) Wenn alle Länder gleichzeitig die Staatsausgaben drastisch kürzen, geht die Produktion (output) in jedem Land zurück, nicht nur wegen der Haushaltskonsolidierung im Inland, sondern aufgrund der Spillover-Effekte in der gesamten EU.

Fazit: Die Forschungsergebnisse von Dawn und Portes legen nahe, dass die Fiskalmultiplikatoren, wenn man die Depression und die Spillover-Effekte der koordinierten Haushaltskonsolidierung in fast allen EU-Ländern mitberücksichtigt, erheblich grösser auswirken. Die Austerität beeinträchtigt das Wirtschaftswachstum stärker als bisher angenommen, vor allem wenn die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt.

PS:

Mehr zum NIGEM im Blog von
Prof. Simon Wren-Lewis.

Keine Kommentare: