Ist
Austerität kontraproduktiv? Brad DeLong
und Larry Summers argumentieren
in einer inzwischen viel zitierten Forschungsarbeit
(„Fiscal Policy in a Depressed Economy“)
vom März 2012, dass die negativen Auswirkungen von Haushaltskonsolidierung auf
das Wirtschaftswachstum in der aktuellen wirtschaftlichen Situation so gross
sein dürfte, dass die Auswirkungen auf die Schuldenquote (debt-GDP-ratio) pervers werde, was dazu führt, dass die Schulden im
Verhältnis zur Wirtschaftsleistung steigen, statt zu fallen.
Nun hat der IWF in einem vor ein paar Wochen vorgelegten Wirtschaftsbericht (Global Prospects and Policies) im
„Chapter 1“ herausgestrichen, dass der „Fiskalmultiplikator“
in wichtigen Industrieländern während der Grossen Rezession grösser ist als
bisher eingeschätzt.
Vor diesem Hintergrund unternehmen Dawn Holland und Jonathan
Portes anhand des National
Institute Global Econometric Model (NIGEM) den Versuch, die mengenmässigen
Auswirkungen der koordinierten Haushaltskonsolidierung in der gesamten EU zu
modellieren, indem sie auch die aktuelle Konjunktur in Erwägung ziehen. Das
Ergebnis präsentieren die Autoren in einem lesenswerten Essay („Self-defeating austerity?“) in voxeu.
Die
wichtigste Schlussfolgerung:
Während in
„normalen Zeiten“ führt die Haushaltskonsolidierung zu einem Rückgang der
Verschuldung im Verhältnis zum BIP (debt-to-GDP
ratio). Unter den gegenwärtigen Umständen ist die Haushaltskonsolidierung
hingegen in der Tat für die EU insgesamt „kontraproduktiv“ (self-defeating). Die
Haushaltskonsolidierung führt nicht zu einem Rückgang, sondern zu einem Anstieg
der Schuldenquote in der EU als Ganzes. Das gilt auch für Grossbritannien.
Eine
koordinierte Austerität in der Depression ist m.a.W. in der Tat unsinnig.
Die
Implikation ist, dass die gegenwärtige Strategie der einzelnen Mitgliedstaaten
und der EU als Ganzes, grundfalsch ist. Die Austerität macht alles nur noch
schlimmer.
Die Autoren
heben hervor, dass der Multiplikator in „normalen Zeiten“ weniger als eins
betrage, und für viele offene Volkswirtschaften sogar deutlich weniger als
eins. Doch im Angesichts der gegenwärtig depressiven Wirtschaft und der Zinsen,
die auf der Null-Grenze liegen, gibt es mehrere Gründe, zu erwarten, dass die
negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum viel grösser sind als in
„normalen Zeiten“.
(1) Unter
normalen Umständen kann eine restriktive Fiskalpolitik von einer expansiven
Geldpolitik begleitet werden. Der lockere geldpolitische Kurs führt dazu, dass
die langfristigen Zinsen sinken, was die Investitionen ankurbelt und die
kontraktive Fiskalpolitik zum Teil ausgleicht. Aber im Angesicht der
ungewöhnlich niedrigen Zinsen und einer weiteren Verschärfung der Fiskalpolitik
ist es unwahrscheinlich, dass es zu einem solchen Ausgleich kommt. Die
Auswirkungen durch mengenmässige Lockerung der Geldpolitik bleiben aufgrund der
sehr niedrigen Verzinsung der sicheren Vermögenswerten (risk-free assets) limitiert.
(2) Wenn die Arbeitslosigkeit
sehr hoch ist, finden sich private Haushalte und Unternehmen liquiditätseingeschränkt.
Verbraucher halten sich folglich mit Ausgaben zurück. Und Unternehmen erleiden
Umsatzeinbrüche.
(3) Wenn alle
Länder gleichzeitig die Staatsausgaben drastisch kürzen, geht die Produktion (output) in jedem Land zurück, nicht nur
wegen der Haushaltskonsolidierung im Inland, sondern aufgrund der Spillover-Effekte in der gesamten EU.
Fazit:
Die Forschungsergebnisse von Dawn und Portes legen nahe, dass die
Fiskalmultiplikatoren, wenn man die Depression und die Spillover-Effekte der
koordinierten Haushaltskonsolidierung in fast allen EU-Ländern mitberücksichtigt,
erheblich grösser auswirken. Die Austerität beeinträchtigt das Wirtschaftswachstum
stärker als bisher angenommen, vor allem wenn die Wirtschaft in einer
Liquiditätsfalle steckt.
PS:
Mehr zum NIGEM im Blog von Prof. Simon Wren-Lewis.
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