Sonntag, 8. September 2013

Hat sich der technologische Fortschritt verlangsamt?

Der technologische Fortschritt stand im Mittelpunkt des Wirtschaftswachstums für zwei Jahrhunderte. Einige Autoren deuten jedoch an, dass Produkt- und Prozessinnovationen die Puste ausgehe.

In diesem Zusammanhang verweist Joel Mokyr in einem lesenswerten Artikel („Is technological progress a thing of the past?“) in voxeu auf Robert Gordon uind Tyler Cowen, die die Ansicht vertreten, dass der technologische Fortschritt sich verlansamt. Jan Vijg stellt sich vor, dass die industrialisierte Welt des 21. Jahrhunderts den untergehenden Imperien von Rom und Qing China ähnele.

Der grundlegende Punkt der zitierten Wissenschaftler ist, dass die technologische Dynamik im Sande verlaufe. Die niedrig hängenden Früchte, die das Leben im 20. Jahrhunder verbessert hatten, seien alle bereits abholt. Wir sollen uns auf eine stagnierende Welt mit einem wenig, wenn überhaupt, steigenden Lebensstandard einstellen.

Die Geschichte war immer ein schlechter Anhaltspunkt für die Zukunft und die Wirtschaftshistoriker sollen sich mässigen, Vorhersagen zu machen. Solche Einsichten können wiederum als Basis dafür verwendet werden, zu beurteilen, wie wahrscheinlich ist, dass ein Rückgang stattfindet, unterstreicht Mokyr.

Die Antwort ist kurz und einfach: wir haben bisher nichts gesehen. Das Beste kommt noch, hebt der an der Northwestern University lehrende Wirtschaftsprofessor hervor.

Sein Argument betrifft sowohl das Angebot als auch die Nachfrage in Sachen Innovation. Zum Angebot: Was ist es, was zum nachhaltigen technologischen Fortschritt zählt? Das Verhältnis zwischen dem wissenschaftlichen Fortschritt und der Technologie ist eine komplexe Einbahnstrasse. Zum Beispiel hat die Energie-Physik im 19. Jahrhundert mehr von der Dampfmaschine gelernt als umgekehrt, erklärt Mokyr.

Die historischen Aufzeichnungen machen deutlich, das die Wissenschaft von der Technologie abhängt, die wiederum von den Instrumenten und Werkzeugen abhängt, die für die Wissenschaft notwendig sind, um voranzukommen. Neue Instrumente öffnen neue Horizonte, was Derek Price als „artifical revelation“ („künstliche Offenbarung“) nennt: Beobachtungen durch Instrumente, die uns erlauben, die Dinge zu sehen, die sonst unsichtbar wären.

Beispiele:

Die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts hing wesentlich von der Entwicklung des Teleskops, des Mikroskops, des Barometers, der Vakuumpumüe und ähnlicher Apprate ab.
Das achromatische Objektiv-Mikroskop, welches von Joseph Lister (Vater des berühmten Chirurgen) in den 1820er Jahren entwickelt wurde, hat den Weg für die Keim-Theorie geebnet, den grössten Durchbruch in der Medizin vor 1900.

Mokyr will es sicherstellen, dass es keinen automatischen Mechanismus gibt, der eine bessere Wissenschaft in eine verbesserte Technik verwandelt. Aber es gibt einen Grund, zu glauben, dass es in Zukunft besser und effizienter funktionieren wird als je zuvor. Der Grund ist laut Mokyr der Zugang.

Sind aber alle niedrig hängenden Früchte abgeholt worden?

Die Antwort ist, dass die Analogie fehlschlägt. Wissenschaft baut grösser werdende Leiter, sodass wir die oberen Zweige erreichen, und die Zweige darüber.

Eine weniger offensichtliche Antwort ist, dass der technologische Fortschritt grundlegend ein destabilisierender Prozess ist, so Mokyr.

Wenn die Technologie aber die Arbeiter ersetzt, was wird die Rolle der Menschen werden? Von Kurt Vonnegut bis Erik Brynjolfsson haben Dystopien über das untätige und geistlose Menschsein in einer automatisierten Wirtschaft Menschen besorgt. Es wird Störungen und Schmerzen geben. Aber die neue Technologie wird auch neue Nachfrage nach Menschen schaffen, um Aufgaben zu erledigen, die die neue Technologie erzeugt, ist Mokyr überzeugt.

In seinem Werk „Economic Possibilities for our Grandchildren“ (1931) hat Keynes viele der zukünftigen Auswirkungen der Technologie vorhergesehen. Seine Erkenntnisse mögen überraschen, die in Keynes den Propheten der Arbeitslosigkeit sehen: „all die technologischen Veränderungen bedeuten, dass die Menschheit auf lange Sicht ihr wirtschaftliches Problem lösen wird“.

Nachsinnend über eine Welt, in der die Arbeit selbst dank der Wissenschaft und dem Kapital überflüssig würde, dachte Keynes, dass das Zeitalter der Freizeit und des Wohlstands die Menschen erschreckt, weil „wir zu lange geschult wurden, um uns anzustrengen, und nicht zu geniessen“, fasst Mokyr als Fazit zusammen.

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