Freitag, 27. September 2013

Braucht es unbedingt Leverage und Bubbles, um Vollbeschäftigung zu haben?

Die Nachwirkungen der Finanzkrise 2007/2008 halten noch an. Es ist zwar etwas Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Aber es gibt auch Anzeichen, als ob das Problem der schwachen Nachfrage Notenbanken weiter viel würde zu schaffen machen. Die Frage lautet daher, ob eine lang-anhaltende Flaute droht; so eine, wie viele Ökonomen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs befürchtet hatten?

Paul Krugman spricht von einer secular stagnation in seinem Blog. Die Analyse des an der Universität von Princeton lehrenden Wirtschaftsprofessors beginnt mit der grundlegenden Aufgabe der Geldpolitik: Es gilt, dass die Zentralbank in der Lage ist, die Real-Zinsen festzulegen. Das Ziel der Zentralbank ist, die Zinsen so zu bestimmen, dass die Wirtschaft nahe Produktionspotenzial (potential output) bleibt, d.h. auf einem Niveau, wo die Preisstabilität (niedrige Inflation) gewährleistet ist, was in Theorie dem natürlichen Zinssatz (natural interest rate) à la Wichsell entspricht.

Nicht so lange her wurden Notenbanker von Makroökonomen zum guten Job gratuliert. Und die Notenbanker haben sich selbst auf die Schulter geklopft, dass die Inflation verankert bleibe, wie Krugman schildert. In der Tat hat sich auch die reale Wirtschaft von 1985 bis 2007 recht stabil entwickelt.

Dann kam es aber zu Krise. Die Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt ist geplatzt. Und es kam zum Vorschein, was die Stabilität der Preise und der Produktion bisher verdeckt hatte: das Wachstum der Wirtschaft war von einer übermässigen Leverage getrieben. Das heisst, dass eine unhaltbare Hebelwirkung dahinter steckte.

Es war ein Minsky-Moment. Folglich kam es zu einem Ansturm auf Schuldenabbau (deleveraging), was unmittelbar zum Einsturz der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führte. Der natürliche Zinssatz à la Wichsell wurde negativ und die Wirtschaft geriet in eine Liquiditätsfalle. 


Die gewöhnliche Geldpolitik, Graph: Prof. Paul Krugman


Was nichts anderes bedeutet, als dass die Geldpolitik an Wirksamkeit verloren hat und die Wirtschaft nicht mehr stabilisieren kann: Die Zentralbanken fanden sich der Null-Grenze (zero lower bound) gegenübergestellt, wie Krugman beschreibt. Die Fiskalpolitik hätte helfen können und sollen. Die automatischen Stabilisatoren konnten in der Tat helfen, den Abschwung zu mildern. Aber der fiskalpolitische Kurs ist dann völlig aus den Fugen geraten. Es gab überall eine noch nie dagewesene Austerität, gerade dann, wo die Wirtschaft ein Konjunkturprogramm (stimulus) gebraucht hätte.

Eine berechtigte Frage ist natürlich, wie die Wirtschaftspolitik vor 2008 hätte aussehen sollen? Und wie soll sie im Hinblick auf die Zukunft aussehen? Es gibt viele Kommentatoren, die die Ansicht vertreten, dass die Fed nach der Rezession von 2001 die Zinsen zu lange zu niedrig gehalten hat. Andere Ökonomen argumentieren, dass die Zinsen in der ganzen Zeitperiode von 1985 bis 2007 zu niedrig waren.


Liquiditätsfalle, Graph: Prof. Paul Krugman

Die Argumentation ist aber problematisch. Denn wenn die Geldpolitik die Aufgabe gehabt hätte, die Menschen vor der übermässigen Kreditaufnahme zu bewahren, hätte die Zentralbank ihr gesetzliches Mandat „Vollbeschäftigung“ und „Preisstabilität“ nicht erfüllen können, zumal die US-Wirtschaft von 1985 bis 2007 im Allgemeinen keine besonderen Anzeichen von Überhitzung zeigte. Das Argument, dass die Fed die Zinsen hätte erhöhen müssen, bedeutet deshalb, dass die Fed die Wirtschaft (1) in Depression hätte belassen sollen, und (2) die hohe Arbeitslosigkeit sich fortgesetzt hätte. Die Fed hätte (3) Deflation riskieren müssen.

Die richtige Antwort ist daher, dass es nicht einer Politik des knappen Geldes bedurft hätte, sondern einer strengeren Regulierung: höhere Eigenkapitalanforderungen, eingeschränkte Hebelwirkung und vielleicht gewisse neue Vorschriften am Immobilienmarkt (wie loan-to-value Quoten und Einschränkungen für zweite Hypotheken). Die Wirtschaft würde damit vor Blasen und dem Einsatz von übermässiger Hebelwirkung geschützt und die Geldpolitik würde sich weiterhin frei an herkömmlichen Zielsetzungen orientieren können.

Eines Tages wird der Prozess des Schuldenabbaus (deleveraging) zu Ende gehen. Wird die Wirtschaft aber wieder auf das Vorkrisenniveau zurückkehren? Das ist in einem Marktumfeld schwer vorzustellen, wenn eine wirksame Regulierung umgesetzt würde, wie Krugman darlegt. Denn die Nachfrage war in den alten guten Zeiten v.a. durch Leverage getrieben. 

Es gibt also Grund zur Annahme, dass die Nachfrage nach dem Ende der Krise weniger stark ausfallen würde. Was ist aber dann zu tun? Wenn mehr Staatsausgaben notwendig werden, aus der Liquiditätsfalle zu kommen? Sorgen um secular stagnation (eine anhaltende Nachfrageschwäche, auch bei niedrigen Zinsen) waren nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitet, unabhängig davon, ob sie berechtigt oder nicht berechtigt waren.

Krugman erinnert daran, dass das Zinsniveau auch während der Zeit, als von der Hebelwirkung vermehrt Gebrauch gemacht wurde, ziemlich niedrig war. Es ist deshalb nicht schwer, zu erwarten, dass die Liquiditätsfalle noch lange anhalten dürfte, in einer Wirtschaft, wo der Privatsektor und die öffentliche Hand gleichzeitig die Schulden abbauen. 

Was ist also zu tun? Braucht es unbedingt Leverage und Bubbles, um Vollbeschäftigung zu haben? Eine Antwort ist laut Krugman, etwas mehr Inflation zuzulassen, vorübergehend, damit die Realzinsen noch mehr negativ werden. Dazu wäre im Übrigen auch ein (durch Defizit finanziertes) Konjunkturprogramm notwendig. Keine Panik. Die Verschuldung würde nicht durch die Decke schiessen, solange die Realzinsen tiefer als das Wirtschaftswachstum bleiben.

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