Die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers (LB) war bereits mehrere Monate davor, bevor sie zusammenbrach, insolvent. Das ist das Ergebnis eines Untersuchungsberichts, der 2'200 Seiten umfasst. Der zuständige Richter gab den Bericht am Donnerstag Abend zur Veröffentlichung frei. Der Ermittler kommt zu dem Schluss, dass die LB mit Schattentransaktionen einen Teil der Risiken aus der Bilanz verschwinden liess und damit Aufsichtsbehörden und Anleger in die Irre führte. Die LB-Pleite markiert den Höhepunkt der anhaltenden Finanzkrise. Nach der Einführung der neuen amerikanischen Rechnungslegungsgrundsätze (SFAS 140) habe das Management der LB die Rechtsanwälte der Bank zusammengerufen, berichtet FT Alphaville. Die Frage habe gelautet: Wie können wir die neue Regulierung zum eigenen Vorteil nutzen? „Die Lösung“ nannten sie anschliessend „Repo 105 und 108“. Die „erlaubte“, die Repo-Geschäfte als Verkauf zu buchen, anstatt temporärer Transaktionen. Es ging also um eine Frisierung der Bilanz und v.a. des Verschuldungsgrads (leverage).
Das interne Memo wurde ab dann nur noch als „Repo 105“ bezeichnet. Unter „SFAS 140“ können Repo-Geschäfte in der Tat als „wahre Verkäufe“ gebucht werden, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Die LB behauptete, dass die eigene Lösung („Repo 105“) klassifiziert sei, weil Verkäufe auf „Überabsicherung“ (overcollateralization) oder höheren als normalen Risikoabschlägen (haircuts) beruhten. Damit wurde das Argument vorgeschoben, dass die Bank die Kontrolle über die Vermögenswerte abtrat. Also handelte sich dabei um „wahre Verkäufe“, was erlaubte, die Transaktionen ausserbilanziell zu buchen und damit die Leverage Ratio zu drücken. Die „SFAS 140“ Kriterien für „wahre Verkäufe“ wurden aber damit keineswegs erfüllt. Weil die Vermögenswerte, die mit kurzfristigen Krediten ("repo") aufgenommen wurden, eigentlich im Besitz der LB blieben. Weil die LB die einschlägigen Wertpapiere wieder zurückkaufen ("repurchase") musste. Weil es sich dabei eben um Repo-Geschäfte handelt. Das Ziel der Bank war, die US GAAP Regulierung zu umgehen. Die Basis wurde in London gelegt. „Die „Repo 105“ Transaktionen wurden zwischen LBSF (Lehman Brothers Special Financing) und LBIE (Lehman Brothers International Europe) in London unter dem britischen Recht vollgeführt. Es ging im Grunde genommen um ein massives „Window Dressing“. Das ist auch der Grundtenor des Untersuchungsberichts: Bilanzverfälschung, um den Verschuldungsgrad zu reduzieren. Durch den Einsatz von ausserbilanziellen Hilfsmitteln („Repo 105“) hat die LB den Bestand an Wertschriften in der Bilanz für eine Zeitspanne von 7 bis 10 Tagen verfälscht und dadurch ein irreführendes Bild der finanziellen Lage vermittelt. Allein im II. Quartal 2008 soll die LB 50 Mrd. $ aus der Bilanz verschoben haben. Die Bank hat in ihren Büchern den Verschuldungsgrad reduziert, indem sie (cash) Kreditaufnahme mittels Repo (Wertpapierpensionsgeschäfte) nicht offenlegte (disclosure?), wie im Untersuchungsbericht zu lesen ist. Mit dem aufgenommenen Geld wurden andere Verpflichtungen beglichen. Es geht konkret so vor: Die LBSF kauft eine Anleihe von einer anderen Bank in den USA. Kurz bevor das einschlägige Quartal zu Ende geht, transferiert die LBSF die Anleihe zu LBIE in London. Die LBIE verkauft die Anleihe an eine Gegenpartei und erklärt sich gleichzeitig bereit, die Anleihe zu Beginn des nächsten Quartals zu einem höheren Preis zurückzukaufen (repurchase). Zu Beginn des Quartals schickt die LBSF Geld nach London, um die Anleihe zurückzukaufen. Die Bilanzsumme der Bank (Vermögenswerte und Verpflichtungen) steigt folglich an.
Das Ergebnis der Recherche wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die Wall Street, sondern auch auf das Buchprüfungsunternehmen „Ernst & Young“. Die Frage, die sich als Fazit stellt, ist, wer für den Schaden haftet. Niemand, wie es aussieht, obwohl ein Fall für "colorable claims" vorzuliegen scheint. Denn während die Gewinne privatisiert werden, steht fest, dass die Kosten von der Allgemeinheit getragen werden.
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