Thomas
Fricke: Wie viel Bank braucht der Mensch.
Raus aus der verrückten Finanzwelt. Westend
Verlag, Frankfurt/Main, 2013.
In diesem Buch geht es um die Geschichte der entgleisten Finanzglobalisierung, in der Länder in den Sog einer plötzlichen Risikoaversion von Anlegern und Bankern geraten können, wie sie in einer Post-Bubble-Economy typisch ist. Es ist daher wichtig, von Anfang an zu betonen, dass die Staatsschulden heute unzweideutig nach Ausbruch der globalen Finanzkrise gestiegen sind, nicht vorher. Sie sind nicht Ursache der Krise, wie das Schwäbisches-Hausfrauen-Theorem (SHT), vertreten durch Merkel und Schäuble uns weismachen will, sondern eher das Symptom.
Die Krise hat die Euro-Zone deshalb so getroffen, weil
der Währungsclub auf so ein Marktversagen nicht vorbreitet war und die Verträge
durch den Glauben an immer effiziente Finanzmärkte geprägt waren, bemerkt
Thomas Fricke am Anfang des Buches.
Der Autor schildert vor diesem Hintergrund die
Entwicklung der Finanzglobalisierung im historischen Verlauf, um auf diese
Weise das Bankenproblem darzustellen und zu verstehen. Es handelt sich dabei
aber nicht um eine Behandlung der Moralfrage oder um den nachvollziehbaren Wut
gegen Zocker, sondern vielmehr darum, ob „Finanzmärkte nach menschlichem
Ermessen überhaupt wohlstandsfördernd funktionieren können“. Im Mittelpunkt
steht folglich die Frage, ob die Idee von der grenzenlosen Globalisierung der
Finanzmärkte ein Fehler war oder nicht.
Die Antwort ist klar. Der ehemalige Chefökonom (2002
bis 2012) der Financial Times Deutschland
Fricke setzt sich zunächst mit monetaristischen Grundannahmen auseinander, wie
z.B. dem „Vertrauen auf die stabilisierende Spekulation, mit der die Effizienz
freier Märkte steht und fällt“. Die Suche gilt also der disziplinierenden
Wirkung der Märkte, die über Jahre hinweg erst gar nicht reagieren, und dann
panisch wie in der Euro-Krise im Hinblick auf die Peripherie.
Euphorie-Risikofreude-Entsetzen-Panik.
Booms-Crash-Dominoeffekte. Die Finanzglobalisierung hat viel mit Leverage (übermässiger Fremdmitteleinsatz)
zu tun. Der Ausgangspunkt ist das Theorem der effizienten Märkte, wonach es keiner
Regulierung bedarf: Denn der Markt ist die Lösung und der Staat ist das
Problem. Nach 30 Jahren Finanzglobalisierung markiert heute die Finanzkrise von
2008 ein Debakel. Oder anders formuliert: „Ein maximaler Crash bei maximaler
Kollateralwirkung“.
Die Finanzglobalisierung hat laut Fricke zumindest drei
zweifelhafte Megatrends angetrieben: (1) Märkte (für Aktien, Devisen und
Rohstoffe), die zu absurden Kapriolen neigen, (2) eine atemberaubende
Verschärfung der Einkommensgefälle und (3) die steigende Verschuldung, die
heute um ein Vielfaches höher ist als vor der Liberalisierung der Märkte. Fazit
des Autors: Nie war die Weltwirtschaft durch so gigantische Ungleichgewichte
geprägt: Eine historisch atemberaubende Negativbilanz.
Eine Branche, die enorme Unsicherheit verursacht, um
dann Geld damit zu verdienen, den Rest der Welt gegen diese Unsicherheit zu
versichern. Es ist heute offensichtlich, dass die Finanzglobalisierung soziale
und gesundheitliche Probleme ausgelöst (Kosten der Ungleichheit) und zu
Wachstumsverlusten durch fehlgeleitete Ressourcen geführt hat. Und es ist zugleich
absurd, dass nach 30 Jahren Finanzglobalisierung mehr als ein Drittel aller
Gewinne in der Wirtschaft von Banken eingeholt werden, ohne dass die Banken zum
Wohl der Gesellschaft beitragen.
Nach Angaben der Bundesbank wurden in Deutschland von
2008 bis 2011 rund 290 Mrd. Euro
allein für direkte Stützungsmassnahmen aufgewandt, um Banken zu retten. Die Schulden
sind in Deutschland dadurch auf gut 80% der Wirtschaftsleistung gestiegen.
Wie kann die fatale Eigendynamik der Märkte gebrochen werden?
Bankenirrwitz ist kein Schicksal, unterstreicht der Autor und verweist auf die
Zeit nach der Grossen Depression in den USA in den 1930er Jahren.
Bankennotstandsgesetz (1933), Glass-Steagall-Act (Mitte 1933),
Einlagensicherung (FDIC 1934) und das Börsengesetz (SEC 1934). Die USA und
Grossbritannien sorgten nach dem Krieg mit dem neuen Regime für einen
massgeblichen Bedeutungsverlust der Banken. Dazu muss auch erwähnt werden, dass
die Regierungen 1944 in Bretto Woods ein Währungssystem mit festen
Wechselkursen einrichteten.
Es geht also auch ohne Bankenirrwitz. Wie viel Bank
darf es aber heute sein? Die Banken sollen abstrakt-theoretisch (a) eine Mittlerfunktion
wahrnehmen, (b) Kredite schöpfen und (c) Risiken besser verteilen. Als Vorbild
gilt die Wirtschaftswunderzeit. Die Wirtschaftsleistung hat sich in Deutschland
zwischen 1950 und 1970 mehr als verdreifacht, bei einem Wachstum von
durchschnittlich sage und schreibe 8,2% Jahr für Jahr. Deutschland war kein
Einzelfall. Auch in Frankreich und in den USA gab es bemerkenswerte
Wirtschaftsleistung. Es spricht daher nichts für Schattenbanken, sondern viel
für das sog. „boring banking“.
Das Geld ging im „boring banking“ in reale
Investitionen, weil mit Finanzgeschäften relativ mässig Rendite zu machen war.
Fricke hält deswegen nicht viel von Zerschlagung der Banken, Banktestamenten,
Bankenrettungsfonds, Trennbankensystem oder Begrenzung von Boni und anderen
Gehaltsauswüchsen, wie er mit überzeugenden Beispielen darlegt. Denn die Frage
ist, ob das alles auch den Kern des Problems trifft, d.h. die wirkliche Ursache
der vielen Finanzkrisen und Bankenauschlägen: Massenpsychologie, prozyklisches
Verhalten, Herdentrieb und Auseinanderdriften von realer und finanzieller
Inflation. Denn mehr Transparenz und Informationen helfen auch wenig, wenn es
keinen objektiven Massstab für die vermeintlich richtigen und gleichgewichtigen
Marktkurse gibt.
Die Frage ist im Grunde genommen, wie die Banken
schrumpfen sollen, ohne dass dies eine gefährliche Kreditnot auslöst und der
Rest der Wirtschaft in eine Depression stürzt. Es gilt also, Anreize ganz neu
zu setzen und Strukturen zu brechen. Dafür legt Fricke nahe, dass die Reform
die folgenden Ziele erfüllen muss: (1) die Ausschläge des Herdentriebs dämpfen,
(2) den Kräften der gefährlichen Prozylik entgegenwirken, (3) das
unverhältnissmässig hohe Renditepotenzial von Finanzanlagen senken, um die
Geldströme in die Realwelt umzuleiten, (4) die enormen Gefälle bei Einkommen und
Vermögen abbauen helfen und (5) Mittel für die Realwirtschaft freimachen, die
bisher in der Späre der Finanzzauberei gebunden waren. Daraus lassen sich 5
Säulen und eine Bonusreform bauen, hält der Autor fest: Eine
Finanztransaktionssteuer, ein neues Weltwährungssystem, ein Stoppmechanismus
für Exzesse beim Handel mit Staatsanleihen, ein Kapriolenschutz für
Rohstoffmärkte und ein System automatischer Korrekturen. Dazu eine Bonusreform
für Geldhändler- zur Sicherheit.
Utopisch? Bestimmt nicht:
„Wenn die Bilanz eines Experiments so desaströs ausfällt, muss auch das
Gegenmittel entsprechend rabiat ausfallen“. Thomas Fricke schreibt so locker und überzeugend, dass es ihm unbeschwert gelingt, ein richtig cooles Buch zu
einem komplex-verwobenen Thema zu bieten. Es ist unmöglich, dieses Buch zu
ignorieren. Unbedingt lesenswert!
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