Sonntag, 14. April 2013

Wie viel Bank braucht der Mensch?

Buchbesprechung:

Thomas Fricke: Wie viel Bank braucht der Mensch. Raus aus der verrückten Finanzwelt. Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2013.



In diesem Buch geht es um die Geschichte der entgleisten Finanzglobalisierung, in der Länder in den Sog einer plötzlichen Risikoaversion von Anlegern und Bankern geraten können, wie sie in einer Post-Bubble-Economy typisch ist. Es ist daher wichtig, von Anfang an zu betonen, dass die Staatsschulden heute unzweideutig nach Ausbruch der globalen Finanzkrise gestiegen sind, nicht vorher. Sie sind nicht Ursache der Krise, wie das Schwäbisches-Hausfrauen-Theorem (SHT), vertreten durch Merkel und Schäuble uns weismachen will, sondern eher das Symptom.

Die Krise hat die Euro-Zone deshalb so getroffen, weil der Währungsclub auf so ein Marktversagen nicht vorbreitet war und die Verträge durch den Glauben an immer effiziente Finanzmärkte geprägt waren, bemerkt Thomas Fricke am Anfang des Buches.

Der Autor schildert vor diesem Hintergrund die Entwicklung der Finanzglobalisierung im historischen Verlauf, um auf diese Weise das Bankenproblem darzustellen und zu verstehen. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Behandlung der Moralfrage oder um den nachvollziehbaren Wut gegen Zocker, sondern vielmehr darum, ob „Finanzmärkte nach menschlichem Ermessen überhaupt wohlstandsfördernd funktionieren können“. Im Mittelpunkt steht folglich die Frage, ob die Idee von der grenzenlosen Globalisierung der Finanzmärkte ein Fehler war oder nicht.

Die Antwort ist klar. Der ehemalige Chefökonom (2002 bis 2012) der Financial Times Deutschland Fricke setzt sich zunächst mit monetaristischen Grundannahmen auseinander, wie z.B. dem „Vertrauen auf die stabilisierende Spekulation, mit der die Effizienz freier Märkte steht und fällt“. Die Suche gilt also der disziplinierenden Wirkung der Märkte, die über Jahre hinweg erst gar nicht reagieren, und dann panisch wie in der Euro-Krise im Hinblick auf die Peripherie.

Euphorie-Risikofreude-Entsetzen-Panik. Booms-Crash-Dominoeffekte. Die Finanzglobalisierung hat viel mit Leverage (übermässiger Fremdmitteleinsatz) zu tun. Der Ausgangspunkt ist das Theorem der effizienten Märkte, wonach es keiner Regulierung bedarf: Denn der Markt ist die Lösung und der Staat ist das Problem. Nach 30 Jahren Finanzglobalisierung markiert heute die Finanzkrise von 2008 ein Debakel. Oder anders formuliert: „Ein maximaler Crash bei maximaler Kollateralwirkung“.

Die Finanzglobalisierung hat laut Fricke zumindest drei zweifelhafte Megatrends angetrieben: (1) Märkte (für Aktien, Devisen und Rohstoffe), die zu absurden Kapriolen neigen, (2) eine atemberaubende Verschärfung der Einkommensgefälle und (3) die steigende Verschuldung, die heute um ein Vielfaches höher ist als vor der Liberalisierung der Märkte. Fazit des Autors: Nie war die Weltwirtschaft durch so gigantische Ungleichgewichte geprägt: Eine historisch atemberaubende Negativbilanz.

Eine Branche, die enorme Unsicherheit verursacht, um dann Geld damit zu verdienen, den Rest der Welt gegen diese Unsicherheit zu versichern. Es ist heute offensichtlich, dass die Finanzglobalisierung soziale und gesundheitliche Probleme ausgelöst (Kosten der Ungleichheit) und zu Wachstumsverlusten durch fehlgeleitete Ressourcen geführt hat. Und es ist zugleich absurd, dass nach 30 Jahren Finanzglobalisierung mehr als ein Drittel aller Gewinne in der Wirtschaft von Banken eingeholt werden, ohne dass die Banken zum Wohl der Gesellschaft beitragen.

Nach Angaben der Bundesbank wurden in Deutschland von 2008 bis 2011 rund 290 Mrd. Euro allein für direkte Stützungsmassnahmen aufgewandt, um Banken zu retten. Die Schulden sind in Deutschland dadurch auf gut 80% der Wirtschaftsleistung gestiegen.

Wie kann die fatale Eigendynamik der Märkte gebrochen werden? Bankenirrwitz ist kein Schicksal, unterstreicht der Autor und verweist auf die Zeit nach der Grossen Depression in den USA in den 1930er Jahren. Bankennotstandsgesetz (1933), Glass-Steagall-Act (Mitte 1933), Einlagensicherung (FDIC 1934) und das Börsengesetz (SEC 1934). Die USA und Grossbritannien sorgten nach dem Krieg mit dem neuen Regime für einen massgeblichen Bedeutungsverlust der Banken. Dazu muss auch erwähnt werden, dass die Regierungen 1944 in Bretto Woods ein Währungssystem mit festen Wechselkursen einrichteten.

Es geht also auch ohne Bankenirrwitz. Wie viel Bank darf es aber heute sein? Die Banken sollen abstrakt-theoretisch (a) eine Mittlerfunktion wahrnehmen, (b) Kredite schöpfen und (c) Risiken besser verteilen. Als Vorbild gilt die Wirtschaftswunderzeit. Die Wirtschaftsleistung hat sich in Deutschland zwischen 1950 und 1970 mehr als verdreifacht, bei einem Wachstum von durchschnittlich sage und schreibe 8,2% Jahr für Jahr. Deutschland war kein Einzelfall. Auch in Frankreich und in den USA gab es bemerkenswerte Wirtschaftsleistung. Es spricht daher nichts für Schattenbanken, sondern viel für das sog. „boring banking“.

Das Geld ging im „boring banking“ in reale Investitionen, weil mit Finanzgeschäften relativ mässig Rendite zu machen war. Fricke hält deswegen nicht viel von Zerschlagung der Banken, Banktestamenten, Bankenrettungsfonds, Trennbankensystem oder Begrenzung von Boni und anderen Gehaltsauswüchsen, wie er mit überzeugenden Beispielen darlegt. Denn die Frage ist, ob das alles auch den Kern des Problems trifft, d.h. die wirkliche Ursache der vielen Finanzkrisen und Bankenauschlägen: Massenpsychologie, prozyklisches Verhalten, Herdentrieb und Auseinanderdriften von realer und finanzieller Inflation. Denn mehr Transparenz und Informationen helfen auch wenig, wenn es keinen objektiven Massstab für die vermeintlich richtigen und gleichgewichtigen Marktkurse gibt.

Die Frage ist im Grunde genommen, wie die Banken schrumpfen sollen, ohne dass dies eine gefährliche Kreditnot auslöst und der Rest der Wirtschaft in eine Depression stürzt. Es gilt also, Anreize ganz neu zu setzen und Strukturen zu brechen. Dafür legt Fricke nahe, dass die Reform die folgenden Ziele erfüllen muss: (1) die Ausschläge des Herdentriebs dämpfen, (2) den Kräften der gefährlichen Prozylik entgegenwirken, (3) das unverhältnissmässig hohe Renditepotenzial von Finanzanlagen senken, um die Geldströme in die Realwelt umzuleiten, (4) die enormen Gefälle bei Einkommen und Vermögen abbauen helfen und (5) Mittel für die Realwirtschaft freimachen, die bisher in der Späre der Finanzzauberei gebunden waren. Daraus lassen sich 5 Säulen und eine Bonusreform bauen, hält der Autor fest: Eine Finanztransaktionssteuer, ein neues Weltwährungssystem, ein Stoppmechanismus für Exzesse beim Handel mit Staatsanleihen, ein Kapriolenschutz für Rohstoffmärkte und ein System automatischer Korrekturen. Dazu eine Bonusreform für Geldhändler- zur Sicherheit.

Utopisch? Bestimmt nicht: „Wenn die Bilanz eines Experiments so desaströs ausfällt, muss auch das Gegenmittel entsprechend rabiat ausfallen“. Thomas Fricke schreibt so locker und überzeugend, dass es ihm unbeschwert gelingt, ein richtig cooles Buch zu einem komplex-verwobenen Thema zu bieten. Es ist unmöglich, dieses Buch zu ignorieren. Unbedingt lesenswert!

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