Freitag, 19. April 2013

Das R & R Fiasko und die Austeritätspolitik


Im Zeitalter der Information können mathematische Fehler zu einer Katastrope führen.  Der Mars Orbiter (Erkundungssatellit) stürzte ab, weil die Ingenieure vergessen hatten, metrische Abmessungen umzurechnen. JPMorgan Chase’s „London Whale“ ging schief, zum Teil, weil der Modellierer durch eine Summe statt durch einen Durchschnitt dividiert worden ist. Und genau so zerstört ein Excel Kodierungsfehler die Volkswirtschaften der westlichen Welt.

So beschreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne (“The Excell Depression”) am Freitag in NYTimes, was bisher geschehen ist: Anfang 2010 legten zwei Harvard-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff eine Forschungsarbeit („Growth in a Time of Debt“) vor, indem sie einen kritischen „Grenzwert“ als Wendepunkt für die Staatsverschuldung ausmachen. Wenn Schulden 90% des BIP übersteigen, behaupten die Autoren, dann schrumpft die Wirtschaft scharf.

Reinhart und Rogoff (R&R) genossen Anerkennung dank einem weithin bewunderten älteren Buch über die Geschichte der Finanzkrise mit einem perfekten Timing. Die Forschungsarbeit kam gerade nach dem Ausbruch der Griechenland-Krise und spielte die Hauptrolle für die Anhänger von Haushaltskonsolidierung von Stimulus auf Austerity zu schwenken. Die These wurde daraufhin sofort berühmt und sie war laut Krugman sicherlich eine der einflussreichsten wirtschaftlichen Analysen der letzten Jahre.

Tatsächlich standen Reinhart und Rogoff von Anfang an einer erheblichen Kritik gegenüber. Sobald das Paper veröffentlicht wurde, deuteten viele Ökonomen darauf hin, dass eine negative Korrelation zwischen Schulden und Wirtschaftswachstum nicht bedeute, dass hohe Verschuldung schwaches Wachstum verursache. Es könnte ebenso leicht anders herum sein, sodass schwaches Wirtschaftswachstum zu hohen Schulden führe.

Im Lauf der Zeit ist ein weiteres Problem entstanden: andere Forscher konnten die Ergebnisse von R & R nicht replizieren. Schliesslich wurde das Rätsel der unwiederholbaren Ergebnisse gelöst. (1) Die Autoren haben einige Daten ausgelassen. (2) Die Autoren haben ungewöhnliche und höchst fragwürdige statistische Verfahren verwendet. Und (3) Es wurde ein Excel Kodierungsfehler begangen.

Korrigiert man diese Merkwürdigkeiten und Fehler, kommt man zum selben Ergebnis von anderen Forschern: es gibt eine Korrelation zwischen hoher Verschuldung und einem langsamen Wirtschaftswachstum, aber ohne Angabe davon, was wie was verursacht. Und es gibt überhaupt kein Anzeichen für einen „Schwellenwert“ von 90 Prozent.

Das R & R Fiasko muss in einem breiteren Kontext mit der Austeritäts-Mania betrachtet werden, betont Krugman: Der intensive Wunsch der politischen Entscheidungsträger und Experten in der westlichen Welt, der Arbeitslosigkeit den Rücken zuzudrehen und stattdesssen die Wirtschaftskrise als Vorwand zu benutzen, um Sozialprogramme zu kürzen. Seit drei Jahren bestehen die Anhänger der Austeritätspolitik darauf, dass schreckliche Sachen passieren würden, wenn die Verschuldung 90% des BIP überschreite. Aber die ökonomische Forschung belegt nichts Dergleiches. Die politischen Entscheidungsträger gaben die Arbeitslose auf und wandten sich an die Austerität, weil sie es wollten, nicht weil sie es mussten.

Die Frage ist also heute, ob es sich etwas ändert, R & R vom Podest zu stürzen? Krugman denkt so. Aber der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor vermutet, dass die üblichen Verdächtigen nun andere zweifelhafte Papers finden werden, um sie heilig zu sprechen. Und die Depression wird sich weiter und weiter fortsetzen.

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