(Nur für
Streber)
Paul Krugman hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er Japans
„neue aggressive Geldpolitik“ befürwortet.
Der an der University
of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor vertritt aber seit langer Zeit die
Ansicht, dass die Geldpolitik in einer Liquiditätsfalle an Zugkraft verliert.
Gibt es also hierbei keinen Widerspruch?
Nein, wenn die Notenbank auf die Erwartungen von
Investoren im Hinblick auf die künftige Geldpolitik Einfluss nehmen kann, kann
sie trotzdem wirksam agieren. Dies hat Krugman vor rund 15 Jahren in seiner
inzwischen viel zitierten Analyse (Japan’s Trap) hervorgehoben.
Gestern hat der Träger des
Wirtschaftsnobelpreises in seinem Blog die Situation
noch einmal zusammengefasst:
Amerika, Japan und Kern-EU stecken zum Zeitpunkt
alle in einer Liquiditätsfalle. Die
private Nachfrage ist so schwach, dass die Ausgaben selbst bei Zinsen auf der
Null-Grenze (zero lower bound) zu
kurz greifen, was für die Vollbeschäftigung nötig wäre. Und die Zinssätze
können nicht unter null fallen (ausser nur für eine sehr kurze Zeit), weil
Investoren die Option hätten, einfach Bargeld zu halten. Dies ist im Übrigen
keine hypothetische Annahme: Es gab in den vergangenen Jahren einen starken
Anstieg der Cashbestände, obwohl vieles davon 100 Dollar Scheine betrifft, die
im Ausland liegen.
Unter diesen Umständen entfaltet die gewöhnliche
Geldpolitik, die die Form eines Offenmarktgeschäftes annimmt, wo die
Zentralbank kurzfristige Schuldtitel mit dem Geld kauft, welches sie einfach
aus der Luft schafft, keine Wirkung. Warum?
Real Interest Rate, Graph: Prof. Paul Krugman
Der Grund ist einfach: Die Offenmarktgeschäfte
funktionieren so, dass die Menschen ein Tradeoff
zwischen Ertrag und Liquidität anstellen. Sie behalten aus Liquiditätsgründen
das Geld, das keinen Zins abwirft, zurück. Aber sie limitieren die Barbestände,
weil sie für den Ertragsausfall einen Preis zahlen müssen. Wenn die Zentralbank
also mehr Geld pumpt, halten die Menschen mehr Geld als sie es sonst gern tun würden,
und versuchen, es abzuladen, was die Zinsen im diesem Prozess weiter nach unten
druckt.
Cash-Bestände im Verhältnis zum BIP, Graph: Prof. Paul Krugman
Wenn aber die nominalen Zinsen nahe null liegen,
gibt es keine Kosten für die Liquidität und die Menschen sind im Grunde
genommen damit gesättigt. Sie halten das Geld aber als Wertaufbewahrungsmittel
(store of value), was im wesentlichen
einem kurzfristigen Schuldtitel entspricht. Und die Aktion der Zentralbank,
Geld mit Schuldtitel zu vertauschen, im Grunde nichts ändert. Die herkömmliche
Geldpolitik erweist sich m.a.W. unwirksam.
Die Kehrseite ist, dass die Ängste davor, dass das
Geld-drucken zu einem rasanten Anstieg der Inflation führen werde, sich als
falsch erweisen. Die einfache Ausdehnung der Bilanzsumme wirkt sich nicht automatisch
inflationär, wie die japanische Geschichte zeigt.
QE-Politik via BoJ, Notenbankgeldmenge (monetary
base) und CPI (Verbraucherpreis-Index), Graph:
Prof. Paul Krugman
Die Wirtschaft wird jedoch nicht immer in einer
Liquiditätsfalle stecken. Und Investoren sollten sich nicht dafür
interessieren, was die Zentralbank heute macht, sondern was sie in Zukunft
machen wird. Wenn Investoren glauben, dass die Zentralbank weiterhin auf das
Pedal drücken würde, selbst wenn die Wirtschaft sich erholt, dann bedeutet es
höhere Inflation in Zukunft als wenn die Zentralbank im Hinblick auf die ersten
Anzeichen von guten Nachrichten sofort die Zinsen erhöhen würde. Und die
Erwartung von höherer Inflation bedeutet geringere Realzinsen und daher eine
stärkere Wirtschaft. Das heisst, dass die Zentralbank an Zugkraft gewinnen
kann, wenn sie auf die Erwartungshaltung einwirken kann.
Nun, die Schwierigkeit liegt darin, dass die
Zentralbanken ein Glaubwürdigkeitsproblem haben. Krugman denkt aber, dass die
BoJ „glaubwürdig unterstrichen hat, unverantwortlich zu agieren“.
David Andolfatto, der in seinem Blog dazu direkt Stellung nimmt, bemerkt, dass er mit dem meisten davon, was
Krugman in Sachen „Monetary Policy & Liquidity Trap“ schreibt,
übereinstimme, aber er möchte dennoch ein paar weitere Punkte erwähnen.
In Omas Liquiditätsfalle (die also von Krugman beschrieben wird) ist der reale Zinssatz
zu hoch, wegen der Null-Grenze (zero
lower bound), betont der Vize-Präsident der Research Division der Federal Reserve Bank von St. Louis und verweist auf Steve
Williamson.
In unserer gegenwärtigen Liquiditätsfalle ist der reale
Zinssatz zu niedrig (nicht zu hoch, wie Krugman meint), was den riesigen Appetit der Welt nach relativ
sicheren Anlagen wie US-Staatsanleihen (US-Treasury Bonds) widerspiegelt, hebt Williamson
hervor. Wenn das stimmt, bemerkt Andolfatto, dann wirken korrigierende
Massnahmen wie die Erhöhung der Staatsausgaben oder des Inflationzielwertes dem
Grundproblem der Wirtschaft nicht entgegen: Niedrige Realzinsen sind laut Andolfatto als
Nebenprodukt der realen ökonomischen/politischen/finanziellen Faktoren. Krugman
hingegen lege nahe, wie Andolfatto schildert, als ob die Liquiditätsfalle ein Nebenpodukt
von schwacher Privatnachfrage wäre. Deshalb stimmte Andolfatto
Krugman nicht ganz zu.
Ferner steigt auch Tyler Cowen in die Diskussion ein, und schreibt in seinem Blog, dass er Andolfattos Ansicht teile: Es ist nicht die
Liquiditätsfalle der Oma, wo die Zinsen als "zu hoch" angesehen werden. Die Zinsen sind heute zu niedrig, behauptet der an der George Mason University lehrende Wirtschaftsprofessor.
Brad DeLong fackelt nicht lange und unterstreicht in seinem Blog, dass Cowen falsch liege. Die grosse Nachfrage nach relativ sicheren
Anlagen wie US-Staatsanleihen bedeute, dass der Markt-Zins mit dem „natürlichen“
Zinssatz bei Vollbeschäftigung im Einklang stehe, welcher gemäss Wichsells Terminus
niedriger ist als der normale Zinssatz. Und der natürliche Zinssatz ist in der
Tat weniger als null. Da der Markt-Zins durch die Null-Grenze (zero lower bound) gebunden ist, ist der
Markt-Zins zu hoch, erläutert der an der California
University, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.
Der aktuelle natürliche Zinssatz is viel
niedriger als es normalerweise der Fall ist. Das heisst, dass der natürliche Zinssatz zu
niedrig ist. Und das ist ein Problem.
Der aktuelle Marktzinssatz ist höher als der natürliche
Zinssatz. Das heisst, dass der Marktzins zu hoch ist. Und das ist ein Problem.
Die Erhöhung der Staatsausgaben und der Verkauf
von mehr Staatsanleihen und der Kauf von mehr Waren und Dienstleistungen damit
würden (a) zu einem Anstieg des Angebots an sicheren Anlagen führen, (b) den
ordentlichen Preis der sicheren Anlagen senken (via Angebot und Nachfrage) und
damit (c) den „natürlichen“ Zinssatz erhöhen und (d) den gegenwärtigen Problemen entgegenwirken, wenn die Politik den natürlichen Zinssatz so viel anhebt, dass er
nicht mehr niedriger ist als der Markt-Zinssatz, legt DeLong dar.
Im Anschluss geht Krugman heute in seinem Blog auf die Ringverteilung (Andolfatto, Williamson, Cowen, DeLong) ein. Sein Erstaunen betrifft den Sachverhalt, warum
so viele Ökonomen sich derzeit bemühen, einfachen Schlussfolgerungen aus
dem Weg zu gehen. Und warum sie gerne das Einfache kompliziert und das Klare
verschwommen machen.
Andere Dinge gleich, führt ein niedriger Realzins
zu einem Anstieg der Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen. Zur Zeit
herrscht aber eine schwache Nachfrage. Und der Zinssatz kann nicht weiter
gesenkt werden, wegen der Null-Grenze (zero
lower bound). In diesem Sinne sind die Zinssätze heute zu hoch, was
bedeutet, dass es gut wäre, Inflationserwartungen zu erhöhen, und das ist damit ein
Argument für Konjunkturprogramme, d.h. fiscal stimulus,
erklärt Krugman.
Cowen und co sagen aber, nein, die Zinsen sind
heute nicht zu hoch, sie sind zu niedrig. Was heisst das?
Sind die an der Diskussion beteiligten Ökonomen
in eine Art Wortspiel verwickelt? Wenn Krugman sagt, dass der
Zinssatz zu hoch ist, meint er im Vergleich zum Zinssatz, wo es
Vollbeschäftigung gäbe, was auch von Brad DeLong offensichtlich so erfasst
wird, mit dem Hinweis auf das Theorem
von Wicksell im Hinblick auf den „natürlichen“
Zinssatz. Da Wichsell
seine Analyse
im Jahr 1890 verfasste, ist es andererseits nicht
die Liquiditätsfalle unserer Oma, sondern der Gross-Gross-Grossmutter.
Wenn die anderen also sagen, dass der Zinssatz zu
niedrig ist, meinen sie, dass dieser zu niedrig ist, verglichen mit einem
platonisch idealen Zinssatz, wo der Zinssatz wäre, wenn wir keinen Mangel an
sicheren Anlagen hätten, legt Krugman dar. In der von Krugman dargestellten
Abbildung würde demnach die Nachfrage-Kurve sich weiter nach rechts verschieben
und damit die Vollbeschäftigung bei einem höheren Zinssatz als heute der Fall
ist, herstellen.
Na und? Der interessante
Punkt ist, wenn es stimmt, dass man die Geldpolitik auf die Wirtschaft, die man
hat, anwendet, nicht die Wirtschaft, die man sich wünscht. Insofern ändert sich
an der von Krugman von Anfang an präsentierten Analyse nichts, gar nichts.
PS: Meine Oma kann es nicht fassen, dass heute so viele
junge Menschen arbeitslos sind. Und sie möchte nur wissen, was die Ökonomen und
Politiker sich von der Finanzglobalisierung, die ja für das ganze Elend nach 30
Jahren verantwortlich ist, in erster Linie versprochen haben.
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