Freitag, 12. April 2013

Meine Oma und Liquiditätsfalle


(Nur für Streber)

Paul Krugman hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er Japans „neue aggressive Geldpolitik“ befürwortet.

Der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor vertritt aber seit langer Zeit die Ansicht, dass die Geldpolitik in einer Liquiditätsfalle an Zugkraft verliert. Gibt es also hierbei keinen Widerspruch?  

Nein, wenn die Notenbank auf die Erwartungen von Investoren im Hinblick auf die künftige Geldpolitik Einfluss nehmen kann, kann sie trotzdem wirksam agieren. Dies hat Krugman vor rund 15 Jahren in seiner inzwischen viel zitierten Analyse (Japan’s Trap) hervorgehoben.

Gestern hat der Träger des Wirtschaftsnobelpreises in seinem Blog die Situation noch einmal zusammengefasst:

Amerika, Japan und Kern-EU stecken zum Zeitpunkt alle in einer Liquiditätsfalle. Die private Nachfrage ist so schwach, dass die Ausgaben selbst bei Zinsen auf der Null-Grenze (zero lower bound) zu kurz greifen, was für die Vollbeschäftigung nötig wäre. Und die Zinssätze können nicht unter null fallen (ausser nur für eine sehr kurze Zeit), weil Investoren die Option hätten, einfach Bargeld zu halten. Dies ist im Übrigen keine hypothetische Annahme: Es gab in den vergangenen Jahren einen starken Anstieg der Cashbestände, obwohl vieles davon 100 Dollar Scheine betrifft, die im Ausland liegen.

Unter diesen Umständen entfaltet die gewöhnliche Geldpolitik, die die Form eines Offenmarktgeschäftes annimmt, wo die Zentralbank kurzfristige Schuldtitel mit dem Geld kauft, welches sie einfach aus der Luft schafft, keine Wirkung. Warum?


Real Interest Rate, Graph: Prof. Paul Krugman

Der Grund ist einfach: Die Offenmarktgeschäfte funktionieren so, dass die Menschen ein Tradeoff zwischen Ertrag und Liquidität anstellen. Sie behalten aus Liquiditätsgründen das Geld, das keinen Zins abwirft, zurück. Aber sie limitieren die Barbestände, weil sie für den Ertragsausfall einen Preis zahlen müssen. Wenn die Zentralbank also mehr Geld pumpt, halten die Menschen mehr Geld als sie es sonst gern tun würden, und versuchen, es abzuladen, was die Zinsen im diesem Prozess weiter nach unten druckt.



Cash-Bestände im Verhältnis zum BIP, Graph: Prof. Paul Krugman

Wenn aber die nominalen Zinsen nahe null liegen, gibt es keine Kosten für die Liquidität und die Menschen sind im Grunde genommen damit gesättigt. Sie halten das Geld aber als Wertaufbewahrungsmittel (store of value), was im wesentlichen einem kurzfristigen Schuldtitel entspricht. Und die Aktion der Zentralbank, Geld mit Schuldtitel zu vertauschen, im Grunde nichts ändert. Die herkömmliche Geldpolitik erweist sich m.a.W. unwirksam.

Die Kehrseite ist, dass die Ängste davor, dass das Geld-drucken zu einem rasanten Anstieg der Inflation führen werde, sich als falsch erweisen. Die einfache Ausdehnung der Bilanzsumme wirkt sich nicht automatisch inflationär, wie die japanische Geschichte zeigt.


QE-Politik via BoJ, Notenbankgeldmenge (monetary base) und CPI (Verbraucherpreis-Index), Graph: Prof. Paul Krugman

Die Wirtschaft wird jedoch nicht immer in einer Liquiditätsfalle stecken. Und Investoren sollten sich nicht dafür interessieren, was die Zentralbank heute macht, sondern was sie in Zukunft machen wird. Wenn Investoren glauben, dass die Zentralbank weiterhin auf das Pedal drücken würde, selbst wenn die Wirtschaft sich erholt, dann bedeutet es höhere Inflation in Zukunft als wenn die Zentralbank im Hinblick auf die ersten Anzeichen von guten Nachrichten sofort die Zinsen erhöhen würde. Und die Erwartung von höherer Inflation bedeutet geringere Realzinsen und daher eine stärkere Wirtschaft. Das heisst, dass die Zentralbank an Zugkraft gewinnen kann, wenn sie auf die Erwartungshaltung einwirken kann.

Nun, die Schwierigkeit liegt darin, dass die Zentralbanken ein Glaubwürdigkeitsproblem haben. Krugman denkt aber, dass die BoJ „glaubwürdig unterstrichen hat, unverantwortlich zu agieren“.

David Andolfatto, der in seinem Blog dazu direkt Stellung nimmt, bemerkt, dass er mit dem meisten davon, was Krugman in Sachen „Monetary Policy & Liquidity Trap“ schreibt, übereinstimme, aber er möchte dennoch ein paar weitere Punkte erwähnen.

In Omas Liquiditätsfalle (die also von Krugman beschrieben wird) ist der reale Zinssatz zu hoch, wegen der Null-Grenze (zero lower bound), betont der Vize-Präsident der Research Division der Federal Reserve Bank von St. Louis und verweist auf Steve Williamson

In unserer gegenwärtigen Liquiditätsfalle ist der reale Zinssatz zu niedrig (nicht zu hoch, wie Krugman meint), was den riesigen Appetit der Welt nach relativ sicheren Anlagen wie US-Staatsanleihen (US-Treasury Bonds) widerspiegelt, hebt Williamson hervor. Wenn das stimmt, bemerkt Andolfatto, dann wirken korrigierende Massnahmen wie die Erhöhung der Staatsausgaben oder des Inflationzielwertes dem Grundproblem der Wirtschaft nicht entgegen: Niedrige Realzinsen sind laut Andolfatto als Nebenprodukt der realen ökonomischen/politischen/finanziellen Faktoren. Krugman hingegen lege nahe,  wie Andolfatto schildert, als ob die Liquiditätsfalle ein Nebenpodukt von schwacher Privatnachfrage wäre. Deshalb stimmte Andolfatto Krugman nicht ganz zu.

Ferner steigt auch Tyler Cowen in die Diskussion ein, und schreibt in seinem Blog, dass er Andolfattos Ansicht teile: Es ist nicht die Liquiditätsfalle der Oma, wo die Zinsen als "zu hoch" angesehen werden. Die Zinsen sind heute zu niedrig, behauptet der an der George Mason University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Brad DeLong fackelt nicht lange und unterstreicht in seinem Blog, dass Cowen falsch liege. Die grosse Nachfrage nach relativ sicheren Anlagen wie US-Staatsanleihen bedeute, dass der Markt-Zins mit dem „natürlichen“ Zinssatz bei Vollbeschäftigung im Einklang stehe, welcher gemäss Wichsells Terminus niedriger ist als der normale Zinssatz. Und der natürliche Zinssatz ist in der Tat weniger als null. Da der Markt-Zins durch die Null-Grenze (zero lower bound) gebunden ist, ist der Markt-Zins zu hoch, erläutert der an der California University, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor.

Der aktuelle natürliche Zinssatz is viel niedriger als es normalerweise der Fall ist. Das heisst, dass der natürliche Zinssatz zu niedrig ist. Und das ist ein Problem.

Der aktuelle Marktzinssatz ist höher als der natürliche Zinssatz. Das heisst, dass der Marktzins zu hoch ist. Und das ist ein Problem.

Die Erhöhung der Staatsausgaben und der Verkauf von mehr Staatsanleihen und der Kauf von mehr Waren und Dienstleistungen damit würden (a) zu einem Anstieg des Angebots an sicheren Anlagen führen, (b) den ordentlichen Preis der sicheren Anlagen senken (via Angebot und Nachfrage) und damit (c) den „natürlichen“ Zinssatz erhöhen und (d) den gegenwärtigen Problemen entgegenwirken, wenn die Politik den natürlichen Zinssatz so viel anhebt, dass er nicht mehr niedriger ist als der Markt-Zinssatz, legt DeLong dar.

Im Anschluss geht Krugman heute in seinem Blog auf die Ringverteilung (Andolfatto, Williamson, Cowen, DeLong) ein. Sein Erstaunen betrifft den Sachverhalt, warum so viele Ökonomen sich derzeit bemühen, einfachen Schlussfolgerungen aus dem Weg zu gehen. Und warum sie gerne das Einfache kompliziert und das Klare verschwommen machen.

Andere Dinge gleich, führt ein niedriger Realzins zu einem Anstieg der Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen. Zur Zeit herrscht aber eine schwache Nachfrage. Und der Zinssatz kann nicht weiter gesenkt werden, wegen der Null-Grenze (zero lower bound). In diesem Sinne sind die Zinssätze heute zu hoch, was bedeutet, dass es gut wäre, Inflationserwartungen zu erhöhen, und das ist damit ein Argument für Konjunkturprogramme, d.h. fiscal stimulus, erklärt Krugman.

Cowen und co sagen aber, nein, die Zinsen sind heute nicht zu hoch, sie sind zu niedrig. Was heisst das?

Sind die an der Diskussion beteiligten Ökonomen in eine Art Wortspiel verwickelt? Wenn Krugman sagt, dass der Zinssatz zu hoch ist, meint er im Vergleich zum Zinssatz, wo es Vollbeschäftigung gäbe, was auch von Brad DeLong offensichtlich so erfasst wird,  mit dem Hinweis auf das Theorem von Wicksell im Hinblick auf den „natürlichen“ Zinssatz. Da Wichsell seine Analyse im Jahr 1890 verfasste, ist es andererseits nicht die Liquiditätsfalle unserer Oma, sondern der Gross-Gross-Grossmutter.

Wenn die anderen also sagen, dass der Zinssatz zu niedrig ist, meinen sie, dass dieser zu niedrig ist, verglichen mit einem platonisch idealen Zinssatz, wo der Zinssatz wäre, wenn wir keinen Mangel an sicheren Anlagen hätten, legt Krugman dar. In der von Krugman dargestellten Abbildung würde demnach die Nachfrage-Kurve sich weiter nach rechts verschieben und damit die Vollbeschäftigung bei einem höheren Zinssatz als heute der Fall ist, herstellen.

Na und? Der interessante Punkt ist, wenn es stimmt, dass man die Geldpolitik auf die Wirtschaft, die man hat, anwendet, nicht die Wirtschaft, die man sich wünscht. Insofern ändert sich an der von Krugman von Anfang an präsentierten Analyse nichts, gar nichts.

PS: Meine Oma kann es nicht fassen, dass heute so viele junge Menschen arbeitslos sind. Und sie möchte nur wissen, was die Ökonomen und Politiker sich von der Finanzglobalisierung, die ja für das ganze Elend nach 30 Jahren verantwortlich ist, in erster Linie versprochen haben.

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