Der Senat hat einen umfassenden Gesetzentwurf verabschiedet. Es geht erstens um eine strenge Bankenregulierung und zweitens um eine stärkere Aufsichtsrolle der US-Notenbank. Der Reformplan des Senats (eine gute und kurze Zusammenfassung hier in FTD) muss jetzt mit der Vorlage des Repräsentantenhauses in Einklang gebracht werden. Was ist von dem Gesetzesentwurf zu halten? Für die eine Denkschule (vertreten durch z.B. Simon Johnson und James Kwak), die TBTF bekämpft, ist er „nicht gut genug“. Für die andere Denkschule (vertreten durch z.B. Paul Krugman), die das Schatten Bankensystem abschaffen will, ist er „nicht schlecht“. Der Vollständigkeit halber ist auch die dritte Denkschule zu erwähnen. Der Standpunkt der Finanz-Oligarchie ist allgemein hinlänglich bekannt: Gewinne privatisieren, und Verluste von der Öffentlichkeit tragen lassen.
Der Reformplan des Senats bleibt geflissentlich vage über Eigenkapitalanforderungen, kritisiert James Kwak in einem lesenswerten Essay („The Mystery of Capital“) in Baseline Scenario. Der Entwurf enthält beispielsweise keine harte Deckelung des Verschuldungsgrads (leverage). Das ist, was die Regierung will. Aus zwei Gründen: Die Regulierungsbehörden brauchen Flexibilität, um (1) nötige Eigenkapitalanforderungen anzupassen, und (2) um ein einheitliches internationales Abkommen auszuhandeln. Es gibt eine Sache, die umstritten genug ist, argumentiert Kwak, um die Aufmerksamkeit der Lobbyisten zu wecken: Eine Klausel, die die republikanische Senatorin Susan Collins (siehe Collins Amendment) durchsetzte. Mike Konczal hat kürzlich darüber geschrieben. Die wichtigste Bestimmung ist, unabhängig von den Eigenkapitalanforderungen für die von der FDIC gedeckten Institutionen (Banken), dass sie auch für systemrelevante Finanzinstitute gelten, einschliesslich der Holdinggesellschaften. Frau Collins will Banken mit einer Bilanzsumme von mehr als 250 Mrd. $ zu höheren Eigenkapitalquoten verpflichten.
Die Fed, das US-Schatzamt und die Wall Street sind vehement dagegen. Sheila Bair, die Chefin der FDIC ist dafür. Sie argumentiert, dass Bank-Holdinggesellschaften nicht in der Lage sein sollten, sich der Vorschriften, die für deren Tochtergesellschaften gelten, zu entziehen. Sie will aber Banken mit Einlagengeschäft nicht regulieren. Das ist jedoch irrelevant, wie Kwak zu Recht moniert. Da der Zusammenbruch einer Bank-Holdinggesellschaft ein Durcheinander quer durch alle Banken mit Einlagengeschäft auslösen würde. Die wahre Bedrohung für die Banken ist, wie Konczal darauf hinweist, dass es für sie schwerer wird, sich auf der Ebene der Holdinggesellschaften in Sachen „Financial Engineering“ zu engagieren, um Eigenkapitalanforderungen zu umgehen. Die Regierung ist von der Idee nicht begeistert, weil sie die Meinung vertritt, dass solche Regeln international ausgehandelt werden und daher nicht vom US-Kongress festgelegt werden sollten. Kurzum: Die Regierung stellt sich auf internationaler Ebene auf die Seite der Banken.
Die Collins-Klausel will grundsätzliche Eigenkapitalanforderungen einfacher gestalten, mit der Option der Hinzufügung von mehr komplexen Anforderungen an die Spitze. Die Gegner hingegen wollen Behörden so viel wie möglich Ermessensspielraum einräumen. Die Bestimmung eines festen Bodens für die Anforderungen ist richtig, findet Kwak. Weil man sich sonst mit „Diskretion“ und „Komplexität“ selbst täuscht, indem man sich einbildet, etwas messen zu können, was inhärent unmessbar ist, erklärt Kwak. Was meint er damit?
Bank-Kapital kann nicht gemessen werden. So hatte einst Steve Randy Waldman das Ganze kurz formuliert, und zwar aus praktischen und erkenntnistheoretischen Gründen. Auf der praktischen Seite zeigt der Blick auf Lehman auf, dass die Bank, bevor sie richtig zusammengebrochen ist, auf dem Papier gut ausgesehen hat. Ein paar Tage später hatte Lehman jedoch ein negatives Kapital (negative equity) von mind. 20 Mrd. $. Hier ist die erkenntnistheoretische Seite: „Kapital existiert in der Welt nicht. Es ist für die Sinne nicht zugänglich. Wenn wir von einer Bank oder einem Unternehmen reden, die/der so viel Kapital hat, dann modellieren wir ihre/seine Vermögenswerte (assets) und Verbindlichkeiten (liablities) und Contingent Positionen. Und wir kommen auf eine Zahl. Es gibt leider kein eindeutiges „wahres“ Modell, um Bank-Kapital zu messen. Selbst gestützt auf die GAAP-Regeln mit allen anderen regulatorischen Anforderungen müssen Tausende von Schätzungen und willkürliche Annahmen getroffen werden, um die Kapital-Position einer Bank zu berechnen. Es gibt nur einen breiten, mehrdimensionalen „Raum“ von vertrettbaren Modellen, mit denen das Kapital berechnet werden kann. Wenn wir das Kapital „messen“, dann wählen wir ein Modell und berechnen. Wenn wir nach dem Zufallsprinzip unter den potenziellen Modellen wählen, dann würden wir eine Wahrscheinlichkeitsverteilung des Kapitals generieren. Diese Verteilung wäre sehr breit, sodass negative Werte für grosse, komplexe Banken wahrscheinlich moderat wären, im Vergleich zu den tatsächlich gemeldeten positiven Werten. Angesichts der Heterogenität der realen Welt kann also kein Modell für alle Banken („one-size-fits-all“) gesetztlich legitimiert werden. Wir können nicht beide haben, innovative Banken und sinnvolle Bemessungsmassnahmen für das zu regulierenden Kapital“, schreibt Waldman. Das ist ein Punkt, der oft verloren geht, bemerkt Kwak. Die Leute reden über das Kapital wie Dämme, die gegen die Flut schützen, erklärt er. „Es ist aber ein Deich, den man nicht sehen und messen kann. Man kann es nur vermuten“, so Kwak. „Kapital is probabilistisch, und nur so weit zuverlässig, wie Ihre Fähigkeit zulässt, diese Wahrscheinlichkeit zu beurteilen“.
Wie lautet nun die Schlussfolgerung: Waldman ist der Ansicht, dass wir die Banken entweder vereinfachen müssen, um sie zu den traditionellen Ansätzen zugänglich zu machen, oder wir kommen mit fähigeren Ansätzen, um die Banken der schönen neuen Welt des Bankwesens zu erfassen.
Fazit: Letztlich sind Eigenkapitalanforderungen allein nicht die Lösung. Solange aber die Bankenregulierung sich darauf stützt, müssen sie gegenüber definitorischen Fehlern und Messfehlern so weit wie möglich widerstandsfähiger gemacht werden.
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