Vergangene Woche fand vor der Financial Crisis Inquiry Commission des US-Kongress eine Parade von Koryphäen des Finanzsektors statt. Ihr Mantra lautete: Niemand hat die Krise kommen sehen. Das Ziel schien zu sein, alle zu überzeugen, dass die Krise eine Naturkatastrophe war, um es mit Worten von Tim Geithner, dem US-Finanzminister kurz auszudrücken. Das will sich James Kwak aber nicht gefallen lassen. In einem lesenswerten Artikel in The Baseline Scenario setzt er sich mit der Frage auseinander, ob die Finanzkrise das Produkt eines bewussten, vorsätzlichen Verhaltens war oder eine unvorhergesehene und unvorhersehbare Naturkatastrophe. Kwak findet es unglaublich frustrierend. Zunächst einmal hat eine Menge Leute die Krise vorhergesagt wie z.B. Nouriel Roubini und Peter Schiff. Zum zweiten argumentiert Kwak mit Simon Johnson in dem Buch, das sie zusammen geschrieben haben, dass die Krise kein Zufall war. Sie war das Ergebnis der Fähigkeit des Finanzsektors, seine politische Macht zu nutzen, um ein für sich selbst günstiges Regulierungsumfeld zu schaffen.
Gestützt auf den Fall des Hedge Funds Magnetar zeigt Kwak auf, wie eine Gruppe von Menschen nicht nur den Zusammenbruch des Finanzmarktes erwartet und darauf gewettet, sondern damit auch die Spekulationsblase vergrössert und den ultimativen Kollaps verschlimmert haben. Das wirft natürlich einige Fragen über die Wall Street während des vergangenen Jahrzehnts auf, so Kwak. Wie sieht der Fall Magnetar im Einzelnen aus? Es ist mittlerweile ein Klischee, dass eine CDO aus einer Reihe von Wertpapieren besteht, die wiederum in „Scheiben“ (Tranchen) unterschiedlicher Güteklassen umgeformt werden. In der Tat ist das Ganze natürlich etwas komplizierter als das. Zunächst gibt es einen Haufen von Mortgage-backed Securities (Wertpapiere, die verbrieft sind), die von einer Investmentbank gebündelt werden. Die CDO selbst ist eine neue juristische Person (Unternehmen), die diese MBS von einer Bank kauft. Das ist die Aktivseite der Bilanz. Auf der Passiv-Seite erscheinen Schulden (debt) und Eigenkapital (equity). Es gibt eine kleine Menge an „Equity“ (es wäre nicht korrekt, equity in diesem Zusammenhang auf Deutsch als Eigenkapital zu übersetzen. Es handelt sich dabei nicht um Aktien, sondern um Anleihen, die so riskant sind, dass man sie wegen ihrer besonderen Eigenschaften, die einer Aktie ähneln, als "Equity" bezeichnet. Das ist die unterste Stufe, d.h. die Tranche mit dem höchsten Risiko: meine Anmerkung), welches von einem Investor gekauft wird und eine grosse Menge an „Debt“ (die obere Tranche, welche das geringste Risiko trägt), welches in Tranchen aufgeteilt von anderen Investoren gekauft und in einer bestimmten Reihenfolge ausbezahlt werden. Die Investmentbank verkauft nicht nur die MBS an die CDO, sondern platziert auch CDO-Anleihen mit anderen Investoren. Wer „Equity“ kauft, wird eine Art „Aktionär“ des Unternehmens. Es gibt auch einen CDO-Manager, der entscheidet, welche MBS in erster Linie gekauft werden und dann (theoretisch) verkauft werden sollen, wenn sie eine schlechte Wertentwicklung erfahren und dann durch neue ersetzt werden. Der CDO-Manager arbeitet also wie ein Funds-Manager. Wie die Geschichte von Yves Smith in ihrem Buch „ ECONned“ erzählt wird, began Magnetar 2006, als der Markt für CDO’s, die mit MBS verbrieft sind, zur Schwäche neigte, „Equity“-Tranche (die unterste Tranche, welche das höchste Risiko trägt) von neuen CDOs zu kaufen. Die Aktion hat CDO-Manager unter Druck gesetzt, besonders riskante MBS in die CDOs zu bündeln, was die Ausfallgefahr von CDOs steigerte. Dann hat Magnetar CDS (Credit Default Swaps) auf „Debt“ von CDOs gekauft. Wenn die CDOs zusammenbrechen sollten, dann wäre die „Equity“-Tranche wertlos. Aber die CDS auf „Debt“ würden das Mehrfache auszahlen. Der Schlüsselfaktor dabei ist, dass Magnetar das mangelhafte Verfahren zur CDO-Gestaltung ausnutzte. Weil die Banken up-front Gebühren für die Herstellung von CDOs kassieren, kümmern sie sich nicht darum, ob die CDOs zusammenbrechen oder nicht. Sie wollen Magnetar’s Geld, um mehr CDOs zu gestalten. Da die Modelle der Ratingagenturen keine Unterscheidung zwischen den Inhalten, die in die CDO’s gebündelt werden, machen, können Magnetar und die Banken die CDOs mit den stärksten toxischen Inhalten füllen, um die Ausfallgefahr zu erhöhen. Wie ist es aber arithmetisch möglich, dass eine CDO mit wenig „Equity“-Tranche und einer „Debt“-Tranche, auf die man ein CDS zu einem niedrigen Preis kaufen kann, ausfällt, wenn es zu einem Zusammenbruch kommt? Man würde denken, dass es, (a) um die Anleihe überhaupt verkaufen zu können, viel mehr „Equity“-Tranche geben müsste, um die „Debt“-Tranche zu schützen und (b) die CDS teuer genug sein müssten, um die Profite aus dem Deal aufzuzehren. Aber zur Erinnerung: Das war 2006, als mehrere Hedge Fonds CDOs leerverkauft haben (short) und viele Investmentbanken auf der Suche nach Schutz für ihre CDOs waren. Die Antwort ist: Nichts war, was den Preis betrifft, effizient bemessen. Die Preise der CDOs waren gemäss Modellen der Ratingagenturen ermittelt, welche nicht hinreichend detaillierte Daten für die Preisfestlegung suchten. Die CDS waren unterbewertet, weil es den Banken erlaubt war, neue synthetische CDOs zu kreieren. Die erste Lehre ist, so Kwak, dass die Idee, dass die Märkte zu effizienten Preisen führen, in diesem Fall ein Unsinn ist. Durch die Ausnutzung der Ineffizienzen liess Magnetar die Wall Street Banken wie Trottel aussehen. Das ist nur ein Beispiel, wie Magnetar 10 Mio. $ in die „Equity“-Tranche steckte (long) und dann Anleihen mit AAA-Rating, die von CDOs ausgegeben wurden, für 1 Mrd. $ leerverkaufte (short). Es stellte sich heraus, dass JP Morgan Chase in diesem Deal, eine Investmentbank, die eigentlich Anleihen mit AAA-Rating hielt, einen Verlust von 880 Mio. $ eingefahren hat. Im Gegenzug verdiente die Bank mit up-front Gebühren 20 Mio. $. Wer ist aber der Trottel? Sicher hat die JPMorgan Chase als Bank 880 Mio. $ verloren. Aber 10 Mio. $ von 20 Mio. $ an Gebühren, die sie kassiert hat, sind sofort als Vergütung an die Bank Mangager ausbezahlt worden. JP Morgan Chase Banker haben es gut gehabt, obwohl sie eine Zeitbombe in die Bilanz der (eigenen) Bank gelegt haben. Die zweite Lehre ist, dass es Quatsch ist, dass die Vergütung der Banker auf ihre Leistungen beruht. Wer hat also Schuld? Dem ersten Instinkt nach: Magnetar. Das übersieht aber eine Wall Street Maxime: „You can’t blame the predator for eating the prey“. (Frei übersetzt: Du kannst ein Raubtier dafür nicht beschuldigen, seine Beute zu fressen). Magnetar zog aus, für seine limitierten Partner Geld zu verdienen. Hätte es Geld verloren, wäre es nicht gerettet worden, so Kwak. „Ich habe aber ein Problem mit Wall Street Banker“, bemerkt Kwak weiter. „880 Mio. $ Verlust einzufahren, um für sich selbst schnelles Geld zu machen, ist entweder inkompetent oder einfach falsch“. Und „dem Magnetar zu erlauben, CDOs zu gestalten, die möglichst toxisch sind, und dann diese aktiv an Investoren zu verkaufen, ist entweder inkompetent oder einfach falsch“, argumentiert Kwak weiter. "Selbst wenn dem so ist, weiss ich nicht, ob die Frontline Bankers letzlich Schuld sind. Vielleicht waren sie einfach unfähig. Oder sie haben wissentlich versucht, das System zu nutzen, um ihre Gewinne zu maximieren. Nur in diesem Fall war es das System, das sie benutzten, mit der verkorksten Entschädigungspolitik der eigenen Banken und ethischen Richtlinien, so Kwak. In diesem Fall gehört die Schuld denen, die das System so erstellten und damit so was ermöglichten. Das wären die Führungskräfte der Banken, die gescheitert sind, Angelegenheiten in Bezug auf Vergütung, Risiko oder Ethik zu regeln". Und "es wären die Regulierungsbehörden und Politiker, die zugelassen haben, dass Investmentbanken an Investoren alles verkauft haben, was sie wollten, und zwar ohne Aufsicht". Die Lehre aus dem Fall Magnetar sind die grundlegenden Lehren aus der Finanzkrise. Finanmärkte ohne Regulierung führen nicht unbedingt zur effizienten Preisbildung oder zur optimalen Kapitalallokation, erklärt Kwak. "Die Gewinner sind nicht unbedingt diejenigen, die den grössten Nutzen für ihre Kunden oder für die Gesellschaft gezogen haben, sondern diejenigen, die herausgefunden haben, die Spielregeln zum eigenen Vorteil zu nutzen". Die Krise ist passiert, weil die Banken unregulierte Finanzmärkte wollten und sie auch bekommen haben. Es hat sich herausgestellt, dass sie nicht so schlau sind, wie sie dachten. Sie haben es verbockt. Und das war kein Unfall ohne Schuld, lautet Kwak's Fazit.
3 Kommentare:
Ein wirklich großartiger Artikel.
In der Tat, sehr gut! "Nichts war, was den Preis betrifft, effizient bemessen." - Genau da liegt der Haken: Rating-Agenturen ebenso wie die "Rocket Scientists", die die mathematischen Modelle fuer die CDOs und CDSs etc. gestrickt haben, waren gruene Jungs ("Yuppies"), die keine Ahnung hatten, dass Maerkte sich AM ENDE nicht an Modelle, sondern an risikogerecht bewertete Marktpreise durch Angebot und Nachfrage halten. Haetten die Regierungen von vornherein klargestellt, dass Unternehmen wie AIG, Fannie und Freddie KEINERLEI Unterstuetzung zu erwarten haetten, haette auch niemand solche unsinnigen Risiken "versichern" koennen, auch trotz unsinng guter Ratings. Dann haetten sie aber auch den politisch gewuenschten Immobilienkaufrausch nicht initiioeren koennen. Da das Counterparty Risk als im Zweifel nicht-existent betrachtet wurde, konnte jeder machen, was er will.
Nochmal: 1. Märkte richten sich weder nach Modellen, noch nach der Illusion von Angebot und Nachfrage. 2. Die grünen Jungs wussten genau, was sie machen mussten, um ihre Lohntüten zu füllen. 3. Hätte die Regierung deutlich gemacht, dass von ihr keine Unterstützung hinsichtlich Bail-Outs zu erwarten war, wäre diese Krise trotzdem eingetreten. Regulierung ist das Zauberwort.
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