In vielen Ländern einschliesslich der USA werden Regierungen aufgefordert, mehr Geld auszugeben, um der Wirtschaft eine Starthilfe zu gewährleisten und der Versuchung zu widerstehen, die Ausgaben zu kürzen. Deutschland hingegen hat beschlossen, finanzpolitische Vorsicht walten zu lassen, schreibt Tyler Cowen in einem Essay („What Germany Knows About Debt“) in der Sonntagsausgabe von NYT. „Deutschland hat es geschafft, das Wachstum anzuheben und die Arbeitslosigkeit zu senken, während es einen Plan für eine nahezu ausgeglichenen Haushalt für die nächsten sechs Jahre zusammengestellt hat. In Sachen Fiskalpolitik und wirtschaftliche Erholung können die Amerikaner vom deutschen Beispiel etwas lernen“, behauptet Cowen. Die Geschichte des 20. Jahrhunders kann helfen, die deutsche Haltung von heute zu erklären, argumentiert der an der George Mason University lehrende Wirtschaftsprofessor.
Immerhin haben die Deutschen zwei Weltkriege verloren, die Weimar-Hyperinflation erlebt und gesehen, dass ihr Land geteilt und durch den Kommunismus teilweise ruiniert wurde, bemerkt Cowen. „Was ein Amerikaner als schlechte wirtschaftliche Zeit auffasst, dürfte ein Deutscher als relativen Wohlstand sehen. Diese Perspektive spricht für eine grössere Auseinandersetzung mit langfristiger fiskalischer Vorsicht, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine bessere Zukunft alle Rechnungen bezahlen würde“, so Cowen. „Keynesianer kritisieren fiskalpolitische Vorsicht in diesem Punkt des Konjunkturzyklus und argumentieren, dass Konjunkturstimulierung der Wirtschaft mehr, und nicht weniger Schutz gegen unerwünschte Ereignisse gibt. Ist dieses Argument aber gültig?“, schreibt Cowen weiter. Deutschlands Erfahrung mit Konjunkturpaket in jüngster Geschichte ist nicht ganz positiv, behauptet Cowen. Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 hat die deutsche Regierung sich verschuldet und enorme Geldsummen in den Wiederaufbau investiert, um den ostdeutschen Lebensstandard auf das westdeutsche Niveau anzuheben. Diese Politik hat das Land politisch vereinigt, aber sie war wirtschaftlich nicht überwältigend erfolgreich, betont er. Es sei daher nicht überraschend, dass die Deutschen jetzt einer schuldenfinanzierten Wirtschaftspolitik skeptisch gegenüberstehen. "In jüngster Zeit hat Deutschland Zeichen der Wiedergewinnung einer herausragenden wirtschaftlichen Stellung gezeigt. Die politischen Entscheidungsträger planen wieder langfristig und sie haben während des letzten Jahrzehnts die Arbeitsmärkte liberalisiert und für grössere Flexibilität bei Löhnen gesorgt. Kürzlich haben sie eine Verfassungsänderung für einen nahezu ausgeglichenen Haushalt verabschiedet“, so Cowen. Die deutsche Wirtschaft sei aber bei weitem nicht perfekt. Neben hohen Steuern und einer niedrigen Geburtenrate gebe es potenzielle Solvenz-Probleme bei deutschen Banken und diesen Institutionen mangele es an Transparenz.
Fazit: Die Lektüre dieses Essays hinterlässt den Eindruck, als ob der Autor sich bei seinen Argumenten weniger auf makroökonomische Analysen, als viel mehr auf die Berichterstattung von Mainstream-Medien gestützt hätte. Lohndumping als Lohnflexibilität zu bezeichnen, grenzt an Übermut. Die Lohnzurückhaltung als Erfolgsrezept zu loben, stimmt bedenklich. Dass die Mittelschicht schrumpft, wird nicht erwähnt. Was die Staatsausgaben pro Bürger betrifft, liegt Deutschland im OECD-Vergleich auf einer mittleren Position. Die Steuerbelastung wurde in Deutschland in den letzten Jahren deutlich vermindert. Die Steuerquote liegt mit 21,9% deutlich niedriger als im Durchschnitt der EU15 mit 28,8%. Warum immer noch über Steuersenkungen diskutiert wird, ist daher erstaunlich.
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