Was sich gestern Vormittag angedeutet hat, ist bereits am Nachmittag eingetroffen. Die Future-Kontrakte sind in den vergangenen Tagen aufgrund der starken Nachfrage nach absoluter Sicherheit im Interbanken-Markt kräftig gestiegen.
Der September-Kontrakt für 3-Monats-Zinssatz im Interbankhandel belief sich sogar auf 100,08%. Ein Wert über 100 Zähler bedeutet, dass der Zinssatz für 3-Monats-Gelder demnächst negativ wird, was eigentlich eine phänomenale Angelegenheit darstellt.
Die SNB hat mit der starken Ausweitung der Liquidität ihr Ziel erreicht, die Zinssätze so weit zu drücken, dass der Schweizer Franken als Fluchtwährung an Attraktivität verliert. Der 3-Monats-Libor, der für die SNB als Zielgrösse für die Geldpolitik dient, schloss gestern den Handel mit 0,05% ab. Die SNB will den 3-Monats-Libor nach eigenen Angaben möglichst bei nahe Null halten.
Schweizer Geldmarkt, kurzfristige Zinssätze sind negativ, Graph: Izabella Kaminska, FT Alphaville
Die SNB unternimmt praktisch alles, um den Aufwertungstrend des Schweizer Frankens aufzuhalten. Gestern hat Thomas Jordan, der SNB-Vizepräsident in einem Zeitungsinterview unterstrichen, dass eine vorübergehende Anbindung des Franken an den Euro denkbar ist, solange es mit der Preisstabilität in der langen Frist vereinbar ist.
Der Franken hat sich am Markt darauf hin gegenüber dem Euro rasch abgeschwächt, und zwar um mehr als 5%. Zur Zeit kostet ein Euro 1,0973 Schweizer Franken.
Was darüber hinaus auffällt, ist, dass nicht nur die kurzfristigen Zinssätze am Geldmarkt negativ wurden, sondern auch die Renditen der Staatspapiere mit 2 und 3 Jahren Laufzeit.
Was heisst das? Das heisst, dass die Inhaber von kurzfristigen Schweizer Obligationen einen Verkaufspreis verlangen, der über die Kuponzahlung plus Ertrag liegt. Die Kaufinteressenten wollen aber derzeit nicht mehr als den Nennwert zahlen. Was die Liquidität betrifft, sieht es wie eine Patt-Situation aus, wie Izabella Kaminska von FT Alphaville zu Recht argumentiert.
Was bedeutet das für diejenigen Anleger, die Schweizer Franken Anleihen halten? Es ist naheliegend, dass es von nun an um Kapitalerhalt geht, weil deflationäre Tendenzen sich abzeichnen.
Es gilt, in Erinnerung zu rufen, dass die SNB eine QE-Politik betreibt, d.h. mengenmässige Lockerung (QE: quantitative easing) der Geldpolitik. Es wird massiv Liquidität in den Markt gepumpt. Im Gegensatz zu Handlungen anderer Zentralbanken (EZB, BoE, Fed) findet in der Schweiz derzeit keine Sterilisierung durch die SNB statt, weil es sonst kontraproduktiv wäre. Die US-Notenbank beispielsweise sterilisiert die Liquidität, indem sie die Überschussreserven der Geschäftsbanken bei der Fed verzinst (IOER: interest on excess reserves). Die SNB bietet jedoch bisher keinen „floor mechanism“, wie Izabella Kaminska beschreibt.
Was passiert nun? Die SNB strebt einen raschen Anstieg der Sichtguthaben (Giroguthaben) der Banken bei der SNB (von derzeit 80 Mrd. auf 120 Mrd. Franken) an. Das bedeutet, dass der Anstieg der Sichtguthaben zweifellos zu einer Abwertung des Schweizer Frankens führen wird, weil je mehr Giroguthaben die Banken halten, desto weniger wird der Bedarf, Geld voneinander zu leihen und desto tiefer wird der Zinssatz fallen. Was passiert aber mit der Liquidität? Wird die Liquidität davon negativ betroffen?
Wenn die SNB die Sichtguthaben der Banken bei der SNB nicht verzinst, kann es sein, dass die Banken anfangen, Geld zu horten, anstatt es zu einem negativen Zinssatz auszuleihen. Das würde aber die Ausweitung der Geldmenge beeinträchtigen.
Die SNB hofft darauf, dass die Unattraktivität des Franken (wegen der negativen Zinssätze am Geldmarkt) dazu führt, dass die Investoren (v.a. die ausländischen) den Franken verkaufen, was den Markt mit Franken überfluten und den Wechselkurs des Franken abschwächen würde. Was aber, wenn die Banken nicht bereit sind, den Franken zu einem negativen Satz zu verleihen, und beschliessen, stattdessen vermehrt Cash zu horten.
Wenn angesichts der sich verstärkenden deflationären Tendenzen dem Kapitalerhalt die erste Prioprität zugewiesen wird, kann vorkommen, dass die erstklassigen Schweizer Staatsanleihen zu einem Giffen-Gut werden, wie Kaminska interessanterweise mit Hinweis auf eine ältere Forschungsarbeit von Ben Bernanke bekräftigt.
Es besteht also das Risiko, dass der Franken in die Liquiditätsfalle gerät, bildlich gesprochen in den Bunkern der Banken landet, ohne dass die Liquidität in dem Ausmass wie von der SNB erwünscht ansteigt.
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