Buchbesprechung:
Andrew Smithers: The Road to
Recovery. How and Why Economic Policy Must Change. John Wiley
& Sons, UK, 2013.
Die grossen Volkswirtschaften haben seitdem Ausbruch
der Finanzkrise von 2008 etwas Gemeinsames. Die geplanten Ersparnisse und die
geplanten Investitionen stimmen nicht überein. Sie sind nicht im Gleichgewicht.
Das Angebot und die Nachfrage liegen weit auseinander: Die Ersparnisse
übersteigen die Investitionen.
Die nominalen Zinsen liegen seit mittlerweile fünf
Jahren auf der Null-Grenze (zero lower
bound). Und de Erholung der Wirtschaft bleibt träge. Wie
kann aber der Nachfrageausfall in der modernen Welt von der Wirtschaftspolitik Buch
mit sieben Siegeln wahrgenommen werden? Warum können Ökonomen keine Abhilfe
schaffen?
Andrew
Smithers denkt, dass es an einem besseren Verständnis von Volkswirtschaft fehlt.
Seiner Ansicht nach weist die moderne akademische Volkswirtschaftslehre zwei
Hauptmängel auf: (1) Abhängigkeit von mathematischen Modellen und (2)
unzulängliche Aufmerksamkeit für Daten.
Der Bedarf nach einem besseren Verständnis für das
ökonomische Geschehen bleibt demnach nicht nur auf Keynesianer und Monetaristen
beschränkt, sondern es gibt auch eine grössere Notwendigkeit unter
anti-Keynesianern, die heute in der Eurozone das Sagen haben.
Eine seltsame Kombination steht heute im Zentrum des
gegenwärtigen wirtschaftlichen Schlamassels: Hohe Gewinnmargen versus schwache
Investitionen. Das ist die Aussage, die Smithers mit seinem Buch
vermitteln will, um seine ökonomische Analyse der globalen Wirtschaft darzulegen.
Es wird zu viel gespart und zu wenig investiert. Wenn die
geplanten Ersparnissen und die geplanten Investitionen nicht mehr übereinstimmen,
bedarf es einer Ausrichtung. Die richtige wirtschaftspolitische Antwort darauf ist,
wie das Lehrbuch nahelegt, dass der Staat ein Haushaltsdefizit fährt. Das
heisst, dass die öffentlichen Ausgaben erhöht werden müssen, wenn der private
Sektor übermässig spart. Ohne Haushaltsdefizit würde die Wirtschaft sonst
aufgrund des anhaltenden Nachfragerückgangs völlig zusammenbrechen: Siehe Great
Depression in den 1930er Jahren.
Damit das Fiskal Defizit wieder aufgehoben wird,
müssen Investitionen steigen. Wo? Im Privatsektor. Die Unternehmen machen aber
keine Anstalten, auf absehbare Zeit mehr Investitionen zu tätigen. Warum? Das Problem
ist nicht konjunkturell, sondern strukturell, erklärt Smithers. Weshalb? Die
übermässigen Ersparnisse haben mit dem viel beschworenen Verlust an Vertrauen
und/oder an animal spirits von
Unternehmen nichts zu tun. In früheren und weniger schwereren Rezessionen wussten
die Unternehmen die Produktion immer wieder anzukurbeln.
Heute ist es nicht mehr der Fall. Warum? Das Ganze hat
mit Bonus Culture zu tun. Das ist der Ausdruck, den der Autor zur Beschreibung des
Vergütungssystems der Führungskräfte von heute geprägt hat: Zwischen 2000-2005
bestand die Vergütung der Top-Manager zu 60% aus Bonus und Aktien-Optionen. Nur
17% der gesamten Entlohnung der führenden Manager von globalen Unternehmen entfiel
2008 auf die Salär-Komponente.
Im heutigen Marktumfeld mit Niedrigzinsen fühlen sich Top-Manager
geradezu ermutigt, das Geld für den Kauf von eigenen Aktien einzusetzen anstatt
für die Investitionsgüter. Warum? Die Eigenkapital-Rendite gilt als
Leistungsmassstab für die Vergütung. Das primäre Ziel ist deshalb, Cash Flow zu
erhöhen, anstatt in physische Einrichtungen zu investieren. Die
Management-Entlohnung erklärt, warum Investitionen zurückbleiben, während
Gewinnmargen steigen, so der Autor.
In guten Geschäftsjahren machen die Saläre nur einen
kleinen Teil der Entlohnung der Unternehmensführung aus. Der Bonus-Teil
hingegen steigt stark. Der technische Begriff dafür ist „convex contract“. Die Top-Manager neigen dazu, so wenig wie nötig
Eigenkapital und so viel wie möglich Fremdkapital aufzunehmen. Der Fokus auf
die Eigenkapitalrendite ist so tief verwurzelt, dass die Unternehmensführung
bereitwillig „short-termism“ beherzigt.
Der Verlust von Marktanteilen auf lange Sicht wird hemmungslos in Kauf
genommen, während mit der Hebelwirkung auf die kurze Sicht die Kompensation der
Führungskräfte vorangetrieben wird. Der neue Anreiz für die
Management-Entlohnung schadet folglich der gesamten Wirtschaft über weite
Strecken.
Das Bonus-System veranlasst das Management, hohe
Risiken auf lange Sicht zu akzeptieren, aber zugleich Risiken auf kurze Sicht
zu vermeiden. Denn der Beschluss, nicht zu investieren, erhöht das Risiko, in
Zukunft mit hohen Kosten konfrontiert zu werden als die Konkurrenz. Aber der
Beschluss, zu investieren beinhaltet die Wahrscheinlichkeit, dass Gewinne auf
kurze Sicht zurückgehen können, wegen der Finanzierungskosten.
Der Effekt des Bonus-Systems geht zudem mit dem
Anstieg der Monopolmacht von Unternehmen einher. Wie PaulKrugman mit Hinweis auf eine aktuelle Forschungsarbeit
von Barry Lynn und Philip Longman unterstreicht, ist seit geraumer Zeit ein
rasanter Anstieg der Marktkonzentration und Marktmacht zu beobachten. Die
Marktmacht erhöht die durchschnittliche Rendite des Kapitals und verringert den
Ertrag auf Investitionen, wie Unternehmen es wahrnehmen. Im Ergebnis entfalten
sich negative Auswirkungen auf das Kapazitätswachstum in der gesamten
Wirtschaft.
Smithers Ansicht wird im Übrigen auch von einer Studie („Some Unpleasant General Equilibrium
Implications of Executive Incentive Compensation Contracts“) der Fed New
York geteilt. Auch Bill White
deutet nämlich darauf hin, dass der Anstieg des Cash Flow aus einer Kombination
von „hohen Gewinnmargen und tiefen Investitionen“ stammt, was mit dem
Bonus-System v.a. im Finanzsektor zu tun hat. Wenn man bedenkt, dass der Anteil
des Finanzwesens in der gesamten Wirtschaft im Verlauf der Zeit zugenommen hat,
wird es deutlicher, dass der Sektor für die Wirtschaft allmählich zu einer
chronischen Quelle von Instabilität wird. Die Gewinnspanne im Finanzsektor war in
den vergangenen Jahren deutlich höher als in anderen Sektoren der Wirtschaft,
wie die Beispiele die USA und Grossbritannien belegen.
Als Fazit hält Smithers fest, dass die gegenwärtige
Kombination von hohen Schulden und Vermögenspreisinflation gefährlich ist. Es
hat aber keinen Sinn, zuzuwarten, bis der Schuldenabbau-Prozess abgeschlossen wird.
Das gegenwärtige Problem sei nämlich nicht zyklisch, sondern strukturell. Die
Unternehmen werden auch nach dem deleveraging
nicht investieren, weil die Top-Manager nur an ihre Bonus und
Aktien-Optionen denken und daher kurzfristig handeln. Es müssen Wege gefunden
werden, um die Bonus Culture, die
auf der Nachfrage lastet, umzugestalten.
In erster Linie muss das „Keynesian Trio“ (USA,
Grossbritannien und Japan) ihre Leistungsbilanz-Salden in Ordnung bringen,
sodass die Länder (Deutschland und China), die bisher Konjunkturprogramme (fiscal stimulus) verneinten, angehalten
werden, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die international angemessen ist.
Wie Alice im Wunderland fragt: What
is the use of a book without pictures or conversations? Es gibt
praktisch auf jeder Seite des Buches eine aussagekräftige Abbildung. Das
akribisch recherchierte Buch gibt Denkanstösse für alle interessierte Menschen,
ohne dass besondere volkswirtschaftliche Kenntnisse vorausgesetzt werden.
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