Die zentrale Debatte über die
makroökonomische Wirtschaftspolitik findet zwischen Keynesians und Austerians
statt. Und die Keynesianer haben die Debatte zu diesem Zeitpunkt mit
überwiegender Mehrheit gewonnen.
Die intellektuelle Basis für die Austeritätspolitik
ist inzwischen, wie Paul Krugman in
seinem Blog beschreibt, zusammengebrochen. Der expansive Sparkurs (expansionary austerity) hat sich im
Allgemeinen als nicht plausibel erwiesen und die sog. Schulden-Schwelle von 90% ist eine fatale Täuschung.
Dennoch gibt es viele Stimmen, die darauf
hinweisen, dass die Staatsverschuldung in vielen fortentwickelten Volkswirtschaften
sehr hoch ist und daher Haushaltskonsolidierung stattfinden muss.
Vor diesem Hintergrund liefert Olivier Blanchard einen lesenswerten
Artikel („Fiscal Consolidation: At What
Speed?“) in voxeu.
Während einige Faktoren darauf hindeuten, heute viel mehr zu unternehmen, legen
andere Faktoren nahe, dass später mehr getan werden kann. Der Chefökonom des
IWF und Daniel Leigh versuchen,
diese Faktoren zu identifizieren. Die richtige Entscheidung für jedes Land
hängt von der sorgfältigen Gewichtung der Faktoren ab, heben die Autoren von
Anfang an hervor.
Wenn die fiskalischen Multiplikatoren
gross sind, entfalten Staatsausgabenkürzungen und Steuererhöhungen kurzfristig eine
grosse negative Auswirkung auf den Output. Und der Effekt auf die Schuldenstandsquote
(dept-to-GDP ratio) fällt klein aus.
Es gibt mindestens drei Gründe,
anzunehmen, dass die Multiplikatoren heute grösser sind als sonst, unterstreichen
Blanchard und Leigh.
(1) Liegen die nominalen Zinsen nahe
Null, haben die Zentralbanken wenig Spielraum, die Zinsen weiter zu senken, um
die kurzfristigen negativen Auswirkungen der Haushaltskonsolidierung auf die
Wirtschaft auszugleichen.
(2) Ist das Finanzsystem schwer angeschlagen,
impliziert eine restriktive Fiskalpolitik, dass die gegenwärtige
Konsumnachfrage viel mehr von dem gegenwärtigen als von dem künftigen Einkommen
abhängt. Das gilt auch für Investitionen, die eher von den gegenwärtigen als
die von künftigen Ertragsaussichten abhängen.
(3) Eine Reihe von empirischen Studien
belegen, dass die fiskalischen Multiplikatoren in Zeiträumen von schweren Konjunktureinbrüchen
viel grösser sind als sonst. Es gibt hierzu jedoch auch einen abweichenden
Standpunkt (2013), welcher von Owyang, Ramey und Zubairy vertreten wird.
Der erste Grund, der für backloading
(statt für frontloading) spricht,
sind die Multiplikatoren, die heute grösser sind als in gewöhnlichen Zeiten.
Der zweite Grund, der backloading stützt, ist, dass die
Wirtschaft anfällig ist, erneut in Rezession zu geraten, wenn das Wachstum
schwach ist. Haushaltskonsolidierung ist riskanter, wenn das Wachstum niedrig
ist, als wenn das Wachstum nahe auf dem normalen Niveau verläuft. Ein negativer
Schock im Hinblick auf das Wachstum kann daher, wenn das Wachstum ohnehin sehr
schwach ist, zu einem Teufelskreis führen, erklären die Autoren weiter. Ein
Rückgang des Wachstums von z.B. 4% auf 2% kann auf notleidende Kredite nur eine
moderate Auswirkung entfalten. Aber ein Rückgang des Wachstums von z.B. 0% auf
-2% hätte auf die Wirtschaft einen viel grösseren Einfluss, wo die
angeschlagenen Banken sofort die Kreditvergabe einschränken würden, was weiter
auf dem Wachstum lasten würde.
Der dritte Grund zu Gunsten von backloading ist, dass
Haushaltskonsolidierung das Risiko in sich birgt, langfristige wirtschaftliche
Schäden anzurichten, und zwar durch den Hysterese-Effekt (siehe mehr dazu hier).
in Hysterese-Prozess verlinkt nämlich den
kurzfristigen Zyklus mit dem langfristigen Trend, sodass die Effekte der restriktiven
Fiskalpolitik anhaltend werden. Geht man von grösseren Multiplikatoren aus als
sonst üblich ist, wirkt sich der Hystereris-Effekt stärker aus. Solange die
Arbeitslosenquote relativ niedrig ist, gibt es nur wenige Langzeitarbeitslose.
Wenn die Arbeitslosigkeit aber weiter steigt, steigt auch der Anteil der
Langzeitarbeitslosen schnell an.
Die Motivation hinter Haushaltskonsolidierung
ist laut Autoren, dass eine hohe Verschuldung Kosten und Risiken präsentiert,
und die Verschuldung daher rasch abgebaut werden müsse. Das Lehrbuch fokussiert hierbei
auf zwei Arten von Kosten:
(a) Verdrängung des Kapitals durch die Verschuldung
und
(b) Verzerrungen durch höhere Steuern. Beide Faktoren reduzieren das
Wachstum.
Es gibt aber weitere zwei Faktoren, die berücksichtigt werden
müssten:
(i) Schulden-Überhang: Wenn die Anleihe-Gläubiger denken, dass der
Staat zahlungsunfähig werden dürfte, verlangen sie eine Risikoprämie und einen
höheren Zinssatz. Im Sog der Finanzkrise von 2008 kam es z.B. zu einer Flucht
in sichere Staatsanleihen. Die Unsicherheit verbunden mit der Möglichkeit einer
Zahlungsunfähigkeit (default) füttert
die Unsicherheit über Steuern und die Inflation, legen die Autoren dar. Und all
diese Effekte führen dazu, dass das Wachstum schrumpft.
(ii) Das Risiko von „multiplen Gleichgewichten“ (multiple equilibria). Wenn der
Verschuldungsgrad hoch ist, aber nicht so hoch, dass default sicher ist, ergeben sich möglicherweise sich selbst
erfüllende zwei Gleichgewichte: ein „gutes“
und ein „schlechtes“. Das „gute“ Gleichgewicht entsteht, wo die Investoren
daran glauben, dass die Wahrscheinlichkeit von default gering ist und daher niedrige Verzinsung fordern. Das „schlechte“
Gleichgewicht entsteht, wenn die Investoren daran glauben, dass die
Wahrscheinlichkeit von default höher
ist und daher eine höhere Verzinsung verlangen, um das Risiko auszugleichen,
was es aber dem Staat erschwert, den default-Fall
zu vermeiden und damit die Erwartungshaltung der Investoren nährt.
Blanchard und Leigh betonen, dass die
Situation, da es fast unmöglich ist, zu wissen, wie die Investoren reagieren,
mit der die Entscheidungsträger konfrontiert sind, als „Knightian“-Unsicherheit
beschrieben werden kann. Der umsichtige Ansatz mit „unknown unknown“ umzugehen
ist, sich aus der Gefahrenzonen zu entfernen. Aber wie, ist nicht
offensichtlich.
Eine Möglichkeit, um das Entstehen von
multiplen Ungleichgewichten ist, dass die Zentralbank die Bereitschaft
signalisiert, zu intervenieren, um das gute Gleichgewicht wiederherzustellen. Grossbritannien
hat zwar viel mehr Schulden als Spanien.
Aber während die Rendite der britischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit heute
1,73% beträgt, beläuft sich die Rendite der vergleichbaren spanischen
Staatsanleihen auf 4,04%. Während die Bank of England (BoE) die lender of last resort-Funktion ausübt,
begnügt sich die EZB lediglich mit dem OMT-Programm,
um das sog. Redenomination Risiko abzuwehren.
Wie entfernt man sich aber von der Gefahrenzone? Die
Evidenz zeigt, dass es auf die Glaubwürdigkeit ankommt. Die Gefahrenzone kann
deswegen nicht mit einer Schwelle von 90%-Schulden-im Verhältnis-zum BIP
festgelegt werden. Die Antwort auf die Frage, ob frontloading (d.h. sich am Anfang viel zu viel vorzunehmen) die
Glaubwürdigkeit steigert, ist nein.
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