Mittwoch, 29. Mai 2013

Euro-Krise und prozyklische Politik für Deutschland

Die 90%-Behauptung hat einen bemerkenswert schlechten Einfluss auf die politische Debatte gehabt. Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff hätten nie behaupten sollen, dass das Wirtschaftswachstum drastisch einbricht, wenn die Staatsverschuldung 90% der Wirtschaftsleistung (gemessen am BIP) übersteigt.

Das ist mehr oder weniger der Standpunkt von Paul Krugman. Der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor hat in seinem Blog dazu mehrfach Stellung genommen.

Reinhart und Rogoff (kurz: R&R) haben sich neulich in diesem auf makroökonomischer Ebene ausgetragenen politischen Streit mit einem offenen Brief an Krugman gewandt, um zu zeigen, wie tief sie enttäuscht sind, weil Krugman sich in den letzten Wochen spektakulär unhöflich verhalten habe: Krugman habe sie praktisch non-Stop sehr persönlich angegriffen.

Im Grunde genommen gibt es einige wenige Punkte, wo R&R und Paul Krugman sich einig sind, wie Rogoff in einem Artikel („Europe’s Lost Keynesians“) in Project Syndicate unterstreicht. Allerdings erhebt Rogoff am Anfang seiner Ausführungen einen absurden Vorwurf an die „Keynesianer Europas“, wahrscheinlich als eine Art Seelenmassage für die Verfechter der harschen Austeritätspolitik im Euro-Raum; ein Gefallen sozusagen. Der an der Harvard University lehrende Wirtschaftsprofessor plädiert dafür, dass Nordeuropa mehr tun muss, um die Euro-Krise in den Griff zu bekommen. Aber auch er sieht wenig Chancen für mehr Konjunkturprogramme an der Peripherie wie Krugman.

Während aber Rogoff die Ansicht vertritt, dass expansive Fiskalpolitik in Deutschland kaum Abhilfe schaffen würde, ist Krugman der Ansicht, dass Stimulus in Deutschland die gesamtwirtschaftliche Nachfrage im Euro-Raum ankurbeln würde.

Rogoff will die wirtschaftlichen Probleme nur mit Geldpolitik anpacken, sowohl in Europa als auch in den USA. Schliesslich steht er der republikanischen Partei nahe. Krugman hingegen vertritt die Meinung, dass die Fiskalpolitik zum Einsatz kommen muss, weil die nominalen Zinsen nahe Null liegen (zero lower bound) und die Geldpolitik daher an Wirksamkeit verloren hat. Zumal es keine Inflationsgefahr gibt und die Wirtschaft noch immer in einer Liquiditätsfalle steckt.

Die deutsche Wirtschaft ist nahe Vollbeschäftigung. Eine expansive Fiskalpolitik würde dort Inflation auslösen, behauptet Rogoff. Und er fordert eine lockere Geldpolitik in Europa. Wie soll aber eine expansive Geldpolitik durch die EZB aussehen? Die nominalen Zinsen sind auch in Europa mittlerweile auf der Null-Grenze angelangt. Soll die EZB also eine mengenmässige Lockerung der Geldpolitik durch einen unbegrenzten Ankauf von Staatspapieren im Euro-Raum betreiben? Oder soll die EZB eine Art „Abenomics“ in Europa durchführen? Die EZB müsste dann aber eine höhere Inflationsrate zulassen, was von der deutschen Regierung aber als Gräuel betrachtet wird, wie Krugman in seinem Blog beschreibt.

Wie stellen sich R&R aber eine expansivere Geldpolitik in Europa vor, wenn sie gegen eine Politik sind, die ihrer Meinung nach prozyklisch für die deutsche Wirtschaft ist? Europa steckt in einer tiefen Rezession; Deutschland nicht. Was die Bedenken von R&R betrifft, gibt laut Krugman daher keinen Unterschied zwischen expansiver Fiskal- und Geldpolitik.

Krugman fasst zusammen: Es gibt eine Lücke in Wettbewerbsfähigkeit zwischen der Peripherie und dem Kern der Eurozone. Die Löhne in Portugal, Spanien usw. müssen fallen und die Löhne in Deutschland müssen steigen.

Die Idee ist, das Gleichgewicht dieser Anpassung von den Ländern, die in Deflation stecken, weg zu verschieben. Die Überhitzung der deutschen Wirtschaft ist deshalb keine Störung, sondern ein Hauptmerkmal, was in der Tat entscheidend ist. Wie R&R dies erreichen wollen, ist unklar. Denn sie sind gegen eine expansive Fiskalpolitik.

1 Kommentar:

Hardy hat gesagt…

Man stelle sich vor: Deutschland begibt Infrastrukturfonds mit einem AAA, 10 Milliarden Investition im Monat, bei negativen Realzinsen, um unsere verrottete Infrastruktur wieder auf die Beine zu bekommen. Italiener, Spanier und Portugiesen kommen zum Arbeiten, Eurovia aus Frankreich macht die Straßen, was gäbe das ein Sog, ein Wohlfahrtsgewinn! Aber Makro, das ist schon ein schwieriges Fach - manche Wirtschaftsweise ist schon mit dem Dreisatz überfordert. Ein einzigartiges Elend.