Buchbesprechung:
Mark
Schieritz: Die Inflationslüge. Wie uns
die Angst ums Geld ruiniert und wer daran verdient. Droemer Knaur, München, 2013.
Es ist der staatlichen Geldschöpfung aus dem Nichts (fiat money) zu verdanken, dass moderne Marktwirtschaften
heute funktionieren. Werden die Erwartungen im Markt im Hinblick auf die
Zukunft durch einen Schock schwer verdüstert, muss der Staat stabilisierend
eingreifen, damit Sparen und Investieren wieder Wachstumsdynamik entfalten. Vor
diesem Hintergrund markiert die inzwischen viel zitierte Aussage des
EZB-Präsidenten Mario Draghi im Sommer 2012 „alles zu tun, um den Euro zu
retten“ einen Wendepunkt in der Euro-Krise. Dadurch ist es gelungen, die Panik
an den Finanzmärkten zu stoppen.
Die EZB hat nämlich versprochen, die Banken im
Euro-Raum mit Liquidität (LTRO) einzudecken.
Draghi hat damit insbesondere Banken im Süden den Zugang zu Zentralbankgeld
zugesichert. „Das Geld der EZB ersetzte dadurch das private Geld, das nicht
mehr floss“, wie Mark Schieritz in seinem kürzlich erschienenen Buch schön
beschreibt. „Die Aktionen der EZB in der Krise machen deutlich, dass die Rolle
der Notenbanken darüber hinausgeht, durch die Wahl des Leitzinses das
Preisniveau zu stabilisieren. Ihre Aufgabe ist es auch, in Krisensituationen
dafür zu sorgen, dass die Panik an den Finanzmärkten nicht überhandnimmt“,
fährt der Autor fort.
Die Idee geht auf Walter Bagehot, den britischen Ökonomen und Herausgeber der heute noch publizierten
Zeitschrift „The Economist“ zurück: The lender of last resort. Wenn sonst
niemand mehr Kredite vergeben will, springt die Zentralbank ein, als
Kreditgeber der letzten Instanz, damit Banken und Staaten nicht kollabieren.
Bei der Bewertung eines Geldmodells sollte es daher nicht darauf ankommen, wie
der wirtschaftspolitischer Korrespondent der Zeit in Berlin hervorhebt, wer
dafür ist und wer dagegen, sondern ob es dem Gemeinwohl dienlich ist oder
nicht. Ohne die Interventionen der Zentralbanken wären die sozialen Kosten der
Krise noch viel höher gewesen, weil die Wirtschaftsleistung noch stärker
eingebrochen wäre.
Insbesondere solche Exkurse machen den Wert des Buches
aus. Es geht um Mythen und den Einfluss, den die Mythen auf die Politik ausüben,
nicht darum Inflation schönzureden. Deutschland erlebt seit dem Ausbruch der
Euro-Krise eine Inflationsblase, obwohl die reale Gefahr von der Deflation her
droht. Mythos 1: Die Hyperinflation der 20er Jahre hat den Untergang der
Weimarer Republik verursacht und Adolf Hitler an die Macht gebracht. Schon rein
zeitlich sind Zweifel an dieser Behauptung angebracht, bemerkt Schieritz: Die
Hyperinflation war 1923 zu Ende.
Hitler aber kam 1933 an die Macht.
Ausgehend von den drei Funktionen des Geldes
(Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel, Recheneinheit) erläutert der Blogger für die Laien ohne Floskeln, was
unter Geld und Notenbankgeldmenge zu verstehen ist und wie moderne
Zentralbanken funktionieren. Der Autor bemüht sich nach Kraft, die Leser nicht
mit Fachausdrücken zu langweilen. Dennoch gibt es dazwischen genug Spielraum,
Begriffe wie Buchgeld, Fristentransformation, Geldmultiplikator, Geldmenge,
Mindestreserve usw. im Kontext mit Preis und Menge unkompliziert zu erklären.
„Das deutsche Trauma ist Inflation“, weil „der
Monetarismus hierzulande keine wissenschaftliche Methode, sonder Ausdruck einer
ökonomischen Weltanschauung ist“. Der Monetarismus ist zum Teil der ideologische
Überbau in der von Konservativen geprägten deutschen Wirtschaftspolitik. Bis
heute lehren deutsche Professoren, dass die Geldmenge die Preise treibt, hält
der Autor fest. In einer Marktwirtschaft bestimmen die Preise, welche Güter
hergestellt und verbraucht werden.
Das Zentralbankgeld (=Notenumlauf + Giroguthaben der
Banken bei der Zentralbank) hat sich im Sog der Finanzkrise mehr als
verdoppelt. Aber es kam nicht zu einem Anstieg der Inflation, weil die Produktionskapazitäten
im Angesicht der mangelhaften Nachfrage unterausgelastet (output gap) sind und die restriktive Fiskalpolitik die Situation
zusätzlich verschlimmert. Das Zentralbankgeld (genannt auch M0, d.h. monetary base) zirkuliert zwischen
Banken und Notenbank. Die Banken halten sich mit Kreditvergabe (Angebot) zurück,
weil sie damit beschäftigt sind, nach Kreditexzessen mit undurchsichtigen
Finanzprodukten in der Vergangenheit die eigene Bilanz wieder in Ordnung zu
bringen. Die Nachfrage der Unternehmen nach Kredit ist auch schwach, weil der
Privatsektor noch immer mitten im Schuldenabbau-Prozess (deleveraging) steckt. Weniger Kredite bedeuten weniger
Investitionen. Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Es sind die
Geschäftsbanken,die wie die Zentralbank Geld schaffen, ohne das vorher Geld
gespart werden muss. Die Ersparnis, aus der sich der Kredit speist, entsteht
gewissermassen im Nachhinein, schildert der Autor ganz schick.
Der Kredit schafft also das Einkommen. Erst wird
investiert, dann gespart. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist m.a.W. die
entscheidende Determinante der Inflation. Die Preise steigen, wenn die
Lohnkosten steigen. Und die Lohnkosten steigen, wenn die Nachfrage nach Gütern
und Dienstleistungen steigen. Es gelingt Schieritz, den Zusammenhang zwischen
Sparen und Investieren im Lichte der gesamtwirtschaftlichen Logik eines
einfachen Beispiels mit einer Sorte Apfel im Obstmarkt locker und überzeugend
aufzuzeigen.
Das Phänomen der Inflation lässt sich also erklären, ohne dass man
sich mit der Menge des umlaufenden Geldes beschäftigen muss. Es ist der
Preisanstieg, der durch eine hohe Nachfrage ausgelöst wird, der dafür sorgt,
dass mehr Geld in Umlauf kommt. Die Geldmenge ist damit nicht Ursache, sondern
Ergebnis wirtschaftlicher Entwicklungen. Die Unternehmen erhöhen die Preise
nicht, weil sie in der Zeitung lesen, dass die Geldmenge gestiegen ist. Sie tun
es, wenn ihre Kosten steigen und wenn sie ihre Produkte auch zu höheren Preisen
loswerden können, wenn also das Geld dafür ausgegeben wird.
Der Autor hätte die Gelegenheit wahrnehmen können, im
Abschnitt „Eine andere Art der Inflation“ auch die Unterschiede zwischen Kerninflation (core inflation) und
der allgemeinen Inflation (headline
inflation) kurz anzuschneiden. Das Konzept der Kerninflation wird zwar in
Europa nicht grossgeschrieben. Aber in den USA und in den Lehrbüchern gewinnt
das Thema um Kerninflation immer mehr an Bedeutung, vor allem in Zeiten wie
Great Moderation oder wenn die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt. Im
Angesicht der heute in Europa vorherrschenden menschenverachtenden Haushaltskonsolidierung ist es angebracht, statt von Sparmassnahmen von
Austerität zu sprechen. Das ist auf alle Fälle ein informatives, erfrischendes
Buch. Mark Schieritz zeigt Mainstream-Ökonomen und Goldbugs, wo der Hammer hängt.
3 Kommentare:
Na ja, schon Heinsohn (Eigentums-Ökonomik) war der Meinung, dass erst der Kredit, dann das Sparen kam. Es beschrieb es am Beispiel der Landwirtschaft: Kredit - Samen kaufen und Säen - Ernten - Kredit tilgen, Profit kumulieren.
Im Grunde genommen war das sogar eines der Grundsteine der Eigentums-Ökonomik. Vielleicht sollte man diese "Erkenntnis" nicht ganz so hochhängen - andere hatten sie auch schon.
Ein wenig Wahrheit steckt im Mythos 1.
Die Hyperinflation führte, unter anderem, zur Austeritätspolitik Brünings. Er wollte damit eine Inflation verhindern und ist kläglich gescheitert.
Es steckt mehr als nur ein wenig Wahrheit darin: Der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung hatte während der Inflation alles verloren; dies führte nicht nur zur Gründung einer relativ unabhängigen Notenbank sondern auch dazu, dass ein erneutes Inflationieren durch Brüning auch aus politischen Gründen völlig unmöglich war. Brüning _musste_ sparen - eine andere Möglichkeit hatte er gar nicht. Aber diese Erkenntnis - Austerität als unmittelbare Folge der Inflationserfahrungen - ist noch nicht überall angekommen, vorallem nicht bei diversen amerikanischen "Nobelpreisträgern". Für die eigene Argumentation wird sich nur das herausgepickt, was passt.
Zuguterletzt gilt stets, was Eucken schrieb: Zu jeder Zeit gelten zwar stets die gleichen Naturgesetze, nicht jedoch die der Ökonomie. Man kann Erkenntnisse von vor 100 Jahren schlicht nicht auf heute übertragen.
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