Dienstag, 22. November 2011

Neo-Calvinisten und Euro-Krise

Ambrose Evans-Pritchard deutet in einem lesenswerten Artikel („Self-serving myths of Europe’s neo-Calvinists“) in The Telegraph auf einen sehr guten Aufsatz („Why stricter rules threaten the eurozone“) von Centre for European Reform hin, wo vor den Folgen der Interpretation der Eurozone-Krise durch Nord-Europa gewarnt wird:

"Die Nord-Europa-Interpretation sieht die Krise im Wesentlichen als eine moralische Geschichte an, wobei diejenigen, die gesündigt haben (Länder mit Schulden), gegen diejenigen, die dem Pfad der Tugend folgen, gegenübergestellt werden. Die grossen Sünden der Peripherie sind die Geldverschwendungen durch die Regierung und der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Der Weg aus der Krise ist einfach: dem tugendhaften Kern folgen, der die öffentliche Finanzen konsolidiert und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert (durch die Steigerung der Produktivität, der Senkung der Löhne oder beides). Wenn die Peripherie dies erreichen kann, dann kann die Eurozone die Schuldenkrise lösen, ohne institutionelle Hilfe auf dem Sprung nach vorne zu einer Fiskalunion".

Regelmässige Leser wissen, dass dieses Thema mit der selben Argumentation seit geraumer Zeit von Paul Krugman in seinem Blog leidenschaftlich behandelt wird. Hier ist aus didaktischen Gründen eine Bekräftigung:


Leistungsbilanzdefizite (Peripherie) versus Leistungsbilanzüberschüsse (Kern), Graph: Prof. Paul Krugman

Die grundlegende Geschichte des Euro soweit ist, dass die Einführung der Gemeinschaftswährung durch die Schaffung eines falschen Sicherheitsgefühls zu einem grossen Kapitalfluss in die südeuropäische Länder der Eurozone (GIPS: Griechland, Italien, Portugal und Spanien) und zu einen grossen Leistungsbilanzdefiziten an der Peripherie geführt hat (obwohl verwandt, ist Irland eine etwas andere Geschichte).

Nun müssen diese Ungleichgewichte überwunden werden. Wie jeder, der internationale Makroökonomie studiert hat, weiss, dass es zwei Dinge erfordert. Erstens bedarf es einer Verteilung der Ausgaben, und zwar so, dass die Gläubiger mehr, die Schuldner weniger Geld ausgeben. Zweitens bedarf es einer realen Abwertung seitens Schuldner und einer realen Aufwertung seitens Gläubiger: Das heisst, dass die Löhne und Preise in den GIPS im Vergleich zu den Löhnen in Deutschland fallen müssen.

Aber die offizielle Politik der Entscheidungsträger der Eurozone ist, dass diese Anpassung völlig einseitig erfolgen soll. Die Ausgaben in den Schuldnerländern müssen sinken, aber es wird keine ausgleichende expansive Politik in den Gläubigerländern geben. Die Schubrichtung der Politik ist also völlig kontraktiv für die Eurozone als Ganzes.

Zugleich ist die EZB für eine sehr niedrige Inflationsrate auf der aggregierten Ebene verpflichtet, was bedeutet, dass eine reale Wechselkurs-Anpassung hauptsächlich durch Deflation in den GIPS stattfinden muss, was wiederum sehr schwierig ist und den Effekt hat, dass die Schuldenlast in den Schuldnerländern im Vergleich zum BIP zunimmt.

Selbst mit unbegrenztem politischen Willen wäre dies laut Krugman ein Rezept für eine längere Rezession und Stagnation in Europa. Mit begrenztem politischen Kapital in Praxis ist es ein Rezept für eine Katastrophe: man betrachte, wie schnell die neue spanische Regierung so unpopulär wurde wie die alte.

Kein Wunder, dass die Euro-Technokraten ihren Glauben in Vertrauen Fee (confidence fairy) schenken. Aber sie kommt nicht.

Es bedarf einer radikalen Umkehr, um das Ding zu retten. Und weit und breit ist keine Bereitschaft in Sicht, was notwendig wäre, schlussfolgert Krugman.

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