In der makroökonomischen Theorie spielt der nominale Zinssatz die zweite Geige im Vergleich zum sog. Realzins. Der reale Zinssatz ist ein relativer Preis. Es ist der Preis für die heutige Wirtschaftsleistung gemessen in Einheiten über die künftige Wirtschaftsleistung, schreibt David Andolfatto in seinem Blog. Wenn also der risikofreie Zinssatz einer inflationsindexierten US-Staatsanleihe auf 2% liegt, dann ist die heutige Einheit der Wirtschaftsleistung 1,02 Einheit der Wirtschaftsleistung in Zukunft wert.
Die Ökonomen konzentrieren sich i.d.R. auf den realen Zinssatz, weil die Menschen sich vermutlich um die Wirtschaftsleistung (output) und nicht um das Geld (money) kümmern. Um das Geld kümmert man sich in dem Ausmass, dass es zum Kauf von Wirtschafstleistung verwendet werden kann. Je höher der reale Zinssatz, desto mehr wird die Wirtschaftsleistung von heute gegenüber der künftigen Wirtschaftsleistung geschätzt. Ein hoher Realzins reflektiert den starken Wunsch des Marktes, dass Sie an der Wirtschaftsleistung heute teilnehmen, im Austausch für das Versprechen der künftigen Wirtschaftsleistung, erklärt Andolfatto.
US Realzinsen (gemessen an US-Staatsanleihen), Graph: Prof. David Andolfatto
Anders als der Nominalzins gibt es jedoch nichts, was den Realzins auf natürliche Art daran hindert, negativ zu werden (vg. Nick Rowe). Und in der Tat scheint dies kürzlich in den USA geschehen zu sein. Die Abbildung zeigt den Realzins gemessen an n-Jahren mit Bezug auf die inflationsindexierten US-Staatsanleihen (konstante Fälligkeit) für n=5, 10 und 20 Jahre.
Vor der Grossen Rezession schwebten die Realzinsen auf rund 2% und die Renditekurve (Zinsstrukturkurve) war steigend geneigt, d.h. die langfristigen Zinsen lagen höher als die kurzfristigen, zumindest bis Anfang 2006. Dann wurde die Ertragskurve flach. Infolge der gewaltsamen Zuspitzung der Realzinssätze (in Verbindung mit dem Lehman-Fall) sind die Realzinsen seither in der meisten Zeit stetig gefallen. Die Realrendite für US-Staatsanleihen mit 20 Jahren Laufzeit sind unter 1%, die für US-Treasury Bonds mit 10 Jahren Laufzeit sind praktisch Null, und die für Staatspapiere mit 5 Jahren Laufzeit wesentlich negativ. Was heisst das?
Der Rückgang der Realzinsen, die seit Beginn des Jahres 2011 stattfindet, ist ein beunruhigendes Zeichen. Diese Prämie dürfte eine erwartete Verknappung der künftigen Wirtschaftsleistung signalisieren. Wenn dem so ist, dann ist es ein bearish Signal, argumentiert der an der Simon Fraser University, Kanada lehrende Wirtschaftsprofessor.
Der Rückgang im Markt für Realzinsen ist konsistent mit einem Zusammenbruch (und einer anämischen Erholung) der Investitionsausgaben (im weiteren Sinne einschliesslich der Investitionen in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen). Aus irgendeinem Grund sieht die Zukunft nicht so hell aus wie i.d.R. am Ende einer Rezession. Für einige Beobachter sieht es wie das Phänomen einer mangelhaften gesamtwirtschaftlichen Nachfrage aus, legt Andolfatto dar.
Für andere ist es das Ergebnis eines rationalen Pessimismus, was den Fluss von neuen regulatorischen Belastungen und eines potenziell bestrafenden Steuerregimes, beschreibt Andolfatto weiter. Beide Hypothesen sind konsistent mit dem Phänomen der beobachteten Flucht in die Sicherheit (flight to safety) und des damit verbundenen Rückgangs der realen Renditen.
„Leider liefern die beiden Hypothesen sehr unterschiedliche wirtschaftspolitische Implikationen. Die erstere fordert einen Anstieg der Staatsausgaben, um die Nachfrage anzukurbeln, während die zweitere den Abbau von Hemmnissen für private Ausgaben für Investitionen verlangt“.
„Es scheint dennoch einen Spielraum für Kompromisse zu geben“, hebt Andolfatto hervor. Es gibt sicherlich öffentliche Infrastrukturprojekte, die voraussichtlich eine reale Rendite höher als Null ergeben. Es ist eine grossartige Zeit für das US-Finanzministerium, Geld aufzunehmen, vorausgesetzt, dass das aufgenommene Geld nicht verschwendet wird.
In jedem Fall sind die Realzinsen bereits ungewöhnlich niedrig. Wie niedriger gehen sie noch? Ist es wirklich der Fall, dass die Wirtschaft krank ist, auch wenn einige der Schwierigkeiten durch niedriegere Realzinsen gelöst werden dürften? Wahrscheinlich nicht, schlussfolgert Andolfatto. Wenn es etwas gibt, was die Fed tun kann, ist, durch einen anderen Mechanismus zu agieren.
Er sei zuversichtlicher als Andolfatto. Die Fed kann noch helfen, die Wirtschaft anzukurbeln, aber sie kann es nicht auf eigene Faust. Und wenn man sich zu sehr auf die Fed fokussiert, dann nimmt der Druck auf den US-Kongress ab, dazu beizutragen, die Krise mit der Arbeitslosigkeit zu überwinden, argumentiert der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor.
Die Mitglieder des Kongresses müssen befürchten, dass ihre eigenen Arbeitsplätze in Gefahr sind, wenn sie Arbeitslosen nicht helfen. Und sie dürfen nicht davonkommen, zu behaupten, dass der Defizitabbau durch die Kürzung der Sozialversicherungsprogramme ein Mittel zu diesem Zweck sei. Aus diesem Grund plädiert Thoma seit langem, dass auch die Fiskalpolitik eingesetzt werden muss. Die Politiker sollen so viel Druck wie möglich spüren, zu handeln.
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