Donnerstag, 10. September 2015

Was ist der langfristige neutrale Realzins?

Der langfristige neutrale Realzins ist dem Lehrbuch nach dann gegeben, wenn die Wirtschaft bei maximaler Vollbeschäftigung ist und die Inflation dem von der Zentralbank avisierten Zielwert entspricht.

Nüchterne Analysen legen nahe, dass der langfristige neutrale Realzins  (long-run neutral real interest rate) in den vergangenen Jahren zurückgefallen ist.

Es gibt im Wesentlichen zwei Arten von Kosten, die damit einhergehen: Das erhöhte Risiko betrifft v.a. (1) die Geldpolitik, die bei Nominal-Zinsen nahe null (zero lower bound) eingeschränkt wird. Und (2) die finanzielle Stabilität.

Das sind die Aspekte, die Narayana Kocherlakota in einem lesenswerten Referat neulich in Illinois mit Nachdruck hervorgehoben.

Der Fed-Präsident von Minneapolis diskutiert zugleich, wie die Fiskalpolitik eingesetzt werden kann, den langfristigen neutralen Realzins zu erhöhen.

Seiner Schlussfolgerung nach gefährdet der Rückgang des langfristig neutralen Realzinses die finanzielle Stabilität. Und die Finanzpolitik kann dabei Abhilfe schaffen, die Risiken zu mildern.



10y/10y Forward TIPS yields, Graph: Narayana Kocherlakota, Fed-Präsident Minneapolis, Sept 8, 2015


Der neutrale Realzins ist eine latente, nicht beobachtbare, aus Sicht der Geldpolitik aber eine entscheidende Variable. Denn das Ziel des geldpolitischen Ausschusses (FOMC) der US-Notenbank ist eine maximale Beschäftigung zu erreichen und die Inflation auf längere Sicht bei 2% zu halten.

Der FOMC kann dieses Ziel nur dann erfüllen, wenn sichergestellt werden kann, dass der Realzins im Markt mit dem neutralen Realzins auf lange Sicht übereinstimmt.

Im Gegensatz, wenn der Realzins im Markt auf lange Sicht im Verhältnis zum neutralen Realzins voraussichtlich zu hoch ist, dann reicht die Akkommodierung durch die Notenbank nicht aus. In diesem Fall ist zu erwarten, dass die Inflation unter dem Zielwert verläuft und die Beschäftigung unter dem maximalen Niveau bleibt.

Kocherlakota deutet auf die 10-Jahres-Termin Rendite von inflationsgeschützten US-Staatsanleihen (10y/10y forward yield on TIPS) hin, um zu zeigen, dass der langfristige neutrale Realzins in den USA in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Der besagte Messwert gibt an, wo die Marktteilnehmer die jährliche Realrendite auf 10 Jahre in den kommenden 10 Jahren (betrachtet von heute aus) sehen.

Vor dem Ausbruch der globalen Finanzkrise von 2008 lag die Rendite der 10y/10y Forward TIPS im Zeitraum von 2004 bis 2007 zwischen 2% und 2,5%. Und sie beläuft sich in den vergangenen Jahren auf einen Wert unterhalb von 1,5%.

Kocherlakota sieht mindestens zwei mögliche Gründe für den Rückgang der Realzinsen am Markt: (a) der langfristige neutrale Realzins ist zurückgefallen, (b) die Investoren erwarten eine lockere Geldpolitik, bedingt durch einen unveränderten langfristig neutralen Realzins.

Daraus ergeben sich drei Konsequenzen: erhöhte Preise von Vermögenswerten, erhöhte Volatilität von Vermögenswerten und die erhöhte Fusionsaktivitäten. Der Rückgang des neutralen Realzinses stellt die Notenbank möglicherweise vor einen schwierigen Kompromiss (trade-off):

Auf der einen Seite bedeutet ein niedriger neutraler Realzins, dass der FOMC die Realzinsen ungewöhnlich niedrig halten muss, wenn die FOMC-Mitglieder die Aufgaben in Sachen Beschäftigung und Inflation erfüllen wollen. Und auf der anderen Seite wird das Risiko der finanziellen Stabilität erhöht, wenn der Realzins dauerhaft niedrig gehalten wird.

Damit steige laut Kocherlakota die Wahrscheinlichkeit, dass der FOMC seine Ziele angesichts der wachsenden Finanzstabilität nicht erreichen kann, weil die herkömmliche Geldpolitik an Zugkraft verliert, wenn die Nominal-Zinsen nahe Null-Grenze liegen bleiben.

Kocherlakota hält daher als Fazit fest, dass expansive Fiskalpolitik dazu beitragen kann, den neutralen Realzins zu erhöhen. Und der FOMC könnte damit die Zinsen wieder anheben.


PS:

Kocherlakota bevorzugt in seinen agnostischen Schlussfolgerungen overlapping generations (Paul Samuelson und Peter Diamond) and incomplete markets (Truman Bewley und S. Rao Aiyagari) Modelle anstatt Richardian-equivalence-Mechanismus besondere Bedeutung beizumessen.




Keine Kommentare: