Der langfristige neutrale Realzins ist dem Lehrbuch
nach dann gegeben, wenn die Wirtschaft bei maximaler Vollbeschäftigung ist und
die Inflation dem von der Zentralbank avisierten Zielwert entspricht.
Nüchterne Analysen legen nahe, dass der
langfristige neutrale Realzins (long-run neutral real interest rate) in
den vergangenen Jahren zurückgefallen ist.
Es gibt im Wesentlichen zwei Arten von Kosten, die
damit einhergehen: Das erhöhte Risiko betrifft v.a. (1) die Geldpolitik, die
bei Nominal-Zinsen nahe null (zero lower
bound) eingeschränkt wird. Und (2) die finanzielle Stabilität.
Das sind die Aspekte, die Narayana Kocherlakota in einem lesenswerten Referat neulich in
Illinois mit Nachdruck hervorgehoben.
Der Fed-Präsident von Minneapolis diskutiert
zugleich, wie die Fiskalpolitik eingesetzt werden kann, den langfristigen
neutralen Realzins zu erhöhen.
Seiner Schlussfolgerung nach gefährdet der Rückgang
des langfristig neutralen Realzinses die finanzielle Stabilität. Und die
Finanzpolitik kann dabei Abhilfe schaffen, die Risiken zu mildern.
10y/10y Forward TIPS yields, Graph: Narayana Kocherlakota, Fed-Präsident Minneapolis, Sept 8, 2015
Der neutrale Realzins ist eine latente, nicht
beobachtbare, aus Sicht der Geldpolitik aber eine entscheidende Variable. Denn
das Ziel des geldpolitischen Ausschusses (FOMC)
der US-Notenbank ist eine maximale Beschäftigung zu erreichen und die Inflation
auf längere Sicht bei 2% zu halten.
Der FOMC kann dieses Ziel nur dann erfüllen, wenn
sichergestellt werden kann, dass der Realzins im Markt mit dem neutralen
Realzins auf lange Sicht übereinstimmt.
Im Gegensatz, wenn der Realzins im Markt auf lange
Sicht im Verhältnis zum neutralen Realzins voraussichtlich zu hoch ist, dann reicht
die Akkommodierung durch die Notenbank nicht aus. In diesem Fall ist zu
erwarten, dass die Inflation unter dem Zielwert verläuft und die Beschäftigung
unter dem maximalen Niveau bleibt.
Kocherlakota deutet auf die 10-Jahres-Termin
Rendite von inflationsgeschützten US-Staatsanleihen (10y/10y forward yield on TIPS) hin, um zu zeigen, dass der
langfristige neutrale Realzins in den USA in den letzten Jahren zurückgegangen
ist. Der besagte Messwert gibt an, wo die Marktteilnehmer die jährliche
Realrendite auf 10 Jahre in den kommenden 10 Jahren (betrachtet von heute aus)
sehen.
Vor dem Ausbruch der globalen Finanzkrise von 2008
lag die Rendite der 10y/10y Forward TIPS
im Zeitraum von 2004 bis 2007 zwischen 2% und 2,5%. Und sie beläuft sich in den
vergangenen Jahren auf einen Wert unterhalb von 1,5%.
Kocherlakota sieht mindestens zwei mögliche Gründe
für den Rückgang der Realzinsen am Markt: (a) der langfristige neutrale
Realzins ist zurückgefallen, (b) die Investoren erwarten eine lockere
Geldpolitik, bedingt durch einen unveränderten langfristig neutralen Realzins.
Daraus ergeben sich drei Konsequenzen: erhöhte
Preise von Vermögenswerten, erhöhte Volatilität von Vermögenswerten und die
erhöhte Fusionsaktivitäten. Der Rückgang des neutralen Realzinses stellt die
Notenbank möglicherweise vor einen schwierigen Kompromiss (trade-off):
Auf der einen Seite bedeutet ein niedriger
neutraler Realzins, dass der FOMC die Realzinsen ungewöhnlich niedrig halten
muss, wenn die FOMC-Mitglieder die Aufgaben in Sachen Beschäftigung und
Inflation erfüllen wollen. Und auf der anderen Seite wird das Risiko der
finanziellen Stabilität erhöht, wenn der Realzins dauerhaft niedrig gehalten
wird.
Damit steige laut Kocherlakota die
Wahrscheinlichkeit, dass der FOMC seine Ziele angesichts der wachsenden
Finanzstabilität nicht erreichen kann, weil die herkömmliche Geldpolitik an
Zugkraft verliert, wenn die Nominal-Zinsen nahe Null-Grenze liegen bleiben.
Kocherlakota hält daher als Fazit fest, dass expansive
Fiskalpolitik dazu beitragen kann, den neutralen Realzins zu erhöhen. Und der
FOMC könnte damit die Zinsen wieder anheben.
PS:
Kocherlakota bevorzugt in seinen agnostischen Schlussfolgerungen overlapping generations (Paul Samuelson und Peter Diamond) and incomplete markets (Truman Bewley und S. Rao Aiyagari) Modelle anstatt Richardian-equivalence-Mechanismus besondere Bedeutung beizumessen.
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