Wann wissen wir, dass die Zinsen allzu niedrig
sind? Wenn es in der Wirtschaft Anzeichen für eine Überhitzungsrisiken gibt.
Das heisst, wenn das tatsächlich erzielte Wirtschaftswachstum grösser ist das
maximal mögliche Wachstum (Potenzialwachstum).
Ist das heute der Fall? Nein. Im Euro-Raum beispielsweise
gibt es, wie die EZB vor ein paar Tagen mitgeteilt hat, eine Produktionslücke (output gap). Ein wesentlicher Teil der
Produktionskapazität wird m.a.W. nicht genutzt, was durch die hohe
Arbeitslosigkeit reflektiert wird.
In einer schwach wachsenden Wirtschaft bleibt der
Gleichgewichtszinssatz tief und die Inflation steigt nicht.
Da die Inflation niedrig ist, verlangen Investoren
keinen höheren Zins, um sich gegen die sinkende Kaufkraft zu schützen. Die
Situation, in der die Wirtschaft steckt, bestimmt das nachhaltige Niveau der
Zinsen, nicht unbedingt die Notenbank, die lediglich die kurzfristigen Zinsen
steuert.
Die Zinsen sind also heute nicht künstlich niedrig.
Dennoch: Da scheiden sich die Geister.
Tim
Taylor deutet auf zwei aktuelle Berichte
in seinem Blog hin. Die beiden Beobachtungen beginnen am selben Punkt.
Aber sie gehen dann auf unterschiedliche Richtungen hin, was die
Schlussfolgerung betrifft.
EUR 5y5y breakeven inflation, Graph: Morgan Stanley
Die eine Analyse stammt von CEA (Council of Economic Advisers). Im July
2015 Bericht heisst es kurz zusammengefasst, dass die sehr niedrigen
langfristigen Zinsen v.a. eine Angelegenheit von Angebot und Nachfrage sind, d.h.
auf dem Markt für loanable funds, und insbesondere das Ergebnis eines weltweit hohen
Angebots an Ersparnissen.
2y inflation swaps, Graph: Morgan Stanley
Die BIS
(Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) hingegen sagt in ihrem Bericht, dass die sehr
niedrigen Zinsen, die so lange vorherrschen, kein Gleichgewicht darstellen, was
für eine nachhaltige und ausgewogene globale Expansion förderlich wäre.
Ganz im Gegenteil reflektieren sie nicht die
gegenwärtige Schwäche der Wirtschaft, sondern sie tragen zur Entstehung von
Booms und Krisen bei, so die BIS weiter. Das Ergebnis sei zu viel Schulden, zu
wenig Wachstum und zu niedrige Zinsen.
USD 5y5y breakeven inflation, Graph: Morgan Stanley
Interessant ist, wie Taylor bemerkt, dass keine der
Besorgnise, die die BIS mit Nachdruck unterstreicht, das Risiko eines Anstiegs
der Inflation betrifft. Das heisst, dass die BIS ihren Ruf nach einer
Zinserhöhung nicht mit einem Hinweis auf Inflationsgefahr begründet.
Die BIS-Analyse behauptet, dass die niedrigen
Zinsen eine Quelle für schreckliche Verzerrungen in der Wirtschaft bedeuten.
Das ist nicht nur abwegig, sondern auch erstaulich,
da die BIS in den vergangenen fünf Jahren eine Straffung der Geldpolitik
befürwortet hat, mit der Begründung, weil die Inflation sonst durch die Decke
schiessen würde, wie Paul Krugman in
seinem Blog daran erinnert.
Im BIS-Bericht aus dem Jahr 2011 heisst es nämlich,
dass die sehr lockere Geldpolitik rasch zu einer Bedrohung für die
Preisstabilität werde.
Die BIS lag mit ihrer Prognose mehrmals völlig daneben. Was
zu erwarten gewesen wäre, dass die BIS sich fragt, was wohl falsch gelaufen
ist. Das heisst, dass sie ihre wirtschaftspolitischen Empfehlungen
überdenken würde. Nein. BIS fordert stattdessen immer den gleichen
(gescheiterten) wirtschaftspolitischen Ansatz, während sie, wie Krugman es auf
den Punkt bringt, immer neue Begründungen erfindet.
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