Montag, 22. Juni 2015

Griechenland: Was von der Austerität übrig bleibt

Die europäischen Regierungen hatten im Jahr 2010 die an Griechenland gewährten Kredite als ein Mittel verwendet, um Banken in Deutschland und Frankreich zu helfen, schreibt Karl Whelan in einem lesenswerten Eintrag in seinem Blog.

Die ursprüngliche Entscheidung, eine Rettungsaktion (bail out) bereitzustellen ist seiner Meinung nach die Quelle der aktuellen Krise. Es ist Zeit, dass die EU sich dazu bekennt und die Folgen trägt.

In der gegenwärtigen Krise geht es daher überhaupt nicht um Griechenlands Währungs-Arrangements, unterstreicht der an der University College Dublin lehrende Wirtschaftsprofessor weiter.

Auch Paul Krugman bemerkt in seinem Blog, dass die griechischen Wähler im Euro bleiben wollen, während das Unvorstellbare immer mehr plausibel erscheine.

Das hat laut Krugman damit zu tun, dass die Wähler sich im Allgemeinen durchweg eine starke Währung wünschen. Die Vorteile erscheinen offensichtlich. Auch ein Element des nationalen Stolzes gehört dazu.




Rendite der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit im Euro-Raum, Graph: Karl Whelan 

Es liegt auf der Hand, dass die Schwierigkeiten, die eine überbewertete Währung auslöst, unmittelbar im Export-Geschäft spürbar sind.

Das griechische Volk fordert aber keine Rückkehr zur Drachme, wie Whelan hervorhebt, obwohl es im Land einige geben mag, die die Wettbewerbsvorteile einer Abwertung ins Auge fassen.

Griechenland hat keine formalen Regeln verletzt, was zu einem Exit aus dem Euro führen würde, zumal der Euro eine festgelegte und unwiderrufliche Währungsunion ist, so Whelan.

Gibt es aber empirische Evidenz, die die Idee unterstützt, dass die Wähler starke Währung bevorzugen? Ja, sagt Krugman und deutet auf eine Umfrage aus dem Jahr 1985, als der USD sehr stark war. Es kam sogar zu einem Treffen von G5 im Hotel Plaza, wo die Teilnehmer sich einigten, den USA Wechselkurs zu schwächen. 64% der Amerikaner, die befragt wurden, antworteten mit “gut” auf die Frage, ob ein starker US-Dollar gut oder schlecht für das Land ist.

Wenn die griechischen Wähler gegen die Idee einer neuen Drachme sind, dann sind sie auch gegen einen schwachen Euro.

Mit Bezug auf den derzeit viel zitierten “Grexit” sagt Heiner Flassbeck in einem lesenswerten Interview mit ARTE, dass die gegenwärtige Diskussion sinnlos sei, da sie nicht den Kern trifft und destruktiv ist.

Der Wettbewerbsvorteil, den Deutschland mittels Lohndumping bekommen hat, ist die eigentliche Ursache der Eurokrise, bekräftigt der ehemalige Chef-Volkswirt der UNCTAD in Genf. Die deutsche Wirtschaftspolitik ist eine echte Gefahr für Europa. Die Rolle Deutschlands müsse endlich beleuchtet werden, argumentiert  Flassbeck weiter.

Auch Simon Wren-Lewis nimmt zum Thema “Grexit” via  Twitter Stellung und vertritt die Ansicht, dass die beste Möglichkeit für die Gläubiger, etwas Geld zurückzubekommen, das Wirtschaftswachstum in Griechenland zu fördern ist. Die von Brüssel und Berlin aufgezwungene Austeritätspolitik, die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage abwürgt, ist deshalb genau die falsche Massnahme, legt der an der Oxford University in Grossbritannien forschende Wirtschaftsprofessor dar. 



Der um konjunkturelle Effekte bereinigte Haushaltssaldo Griechenland, Graph: Paul Krugman in: NYTimes

Es ist äusserst ungerecht, wenn Menschen behaupten, dass Griechenland nichts unternommen hat, um sich anzupassen, erklärt Krugman weiter. Ganz im Gegenteil hat sich Athen einer harschen Austerität und erheblichen Reformen unterworfen. Man mag zwar einwenden, dass die Ergebnisse zeigen, dass Griechenland nicht genug getan hat.

Letztes Jahr hat Griechenland aber einen Primärüberschuss erreicht. Und in diesem Jahr ist das Land wieder in Primärdefizit gerutscht. Gemessen am Haushaltssaldo, wenn die Zinszahlungen nicht berücksichtigt werden, und die Wirtschaft Vollbeschäftigung hätte, ist Griechenland laut Krugman in der Eurozone (2014) das fiskalpolitisch verantwortlichste Land überhaupt.

Warum steckt das Land aber in einer Finanzkrise? Weil die Wirtschaft schwer angeschlagen ist (depression): Die stumpfsinnige Austeritätspolitik. Solange Griechenland im Euro bleibt, sind keine schnellen Ergebnisse zu erwarten, genau wegen der Euro-Zwangjacke.

Im Grunde genommen war es nie eine Finanzkrise vom Ursprung her. Es ist richtig, dass Griechenland über seine Verhältnisse gelebt hat. Aber Deutschland hat dramatisch tief unter seinen Verhältnissen gelebt. Das geht in einer Währungsunion nicht.

So entstanden Ungleichgewichte in der Eurozone: Das eine Land hat Überschüsse erzielt, während der Rest Defizite in der Leistungsbilanz eingefahren hat. Daraus resultierten Haushaltsprobleme, die die europäischen Entscheidungsträger gestützt auf die neoliberale Ideologie ins Zentrum der EU-Agenda rückten.

Seither wird das Problem in einem moralischen Gewand gekleidet verkauft: Wer Schulden hat, hat gesündigt und muss leiden. Die eigentliche Ursache der Eurokrise wird also “hellenisiert”, während die Öffentlichkeit weiter leidet.



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