Mittwoch, 10. Juni 2015

Die Beschaffenheit der Makroökonomie in Deutschland

Keynesianische Ideen sind ziemlich Mainstream woanders. Warum ist aber Makroökonomie in Deutschland ein Ausreisser? Das ist eine Frage, die
Simon Wren-Lewis in seinem Blog aufwirft. Angesichts der Schäden, die die Austerität in der Eurozone, v.a. vorangetrieben durch Berlin angerichtet hat, ist es eine berechtigte Frage.

Die Lehrbücher über Makroökonomie in Deutschland sind so keynesianisch wie anderswo. Doch Peter Bofinger ist der einzige Keynesianer im Sachverständigenrat, erstaunt der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor.

Es gibt laut Wren-Lewis zwei Erklärungen, die ausserhalb Deutschlands beliebt, jedoch unzureichend sind. (1) Deutschland ist in Sachen Inflation durch die Erfahrung der Hyperinflation der Weimarer Republik voreingenommen. Und das prägt auch die deutsche Haltung gegenüber Staatsschulden. Die Rezession der 1930er Jahre hat eine viel schlimmere Katastrophe ausgelöst. Aber die Erinnerung an die Hyperinflaton ist bleibt vorherrschend.

(2) Die Deutschen sind kulturell Schulden gegenüber abgeneigt. Und debt (Schulden) auf Englisch bedeutet auf Deutsch zugleich auch Schuld.

Das Problem mit beiden Stories ist, dass Deutschlands Staatsverschuldung niedriger sein sollte als in anderen Ländern. Aber es ist nicht.

Im Jahr 2000 waren die Netto-Verbindlichkeiten der deutschen Bundesregierung als Prozentsatz des BIP so hoch wie die von Frankreich und etwas mehr als von Grossbritannien und der USA.

Es ist so, wie wenn wirtschaftliches Denken in Deutschland in mancher Hinsicht seit den 1970er Jahren nicht vom Fleck gekommen wäre, legt Wren-Lewis dar: keynesianische Ideen werden immer noch als anti-Markt angesehen, nicht als Mittel zur Korrektur des Markt-Versagens.

Es wäre leicht, Ordoliberalismus (*) mit Neoliberalismus gleichzusetzen. Eine der Besonderheiten der deutschen Wirtschaft scheint aber sehr weit weg von Neoliberalismus zu sein. Man denke an die Mitbestimmung: die Bedeutung der Arbeitnehmerorganisationen im Management und ganz allgemein die Anerkennung, dass die Gewerkschaften eine wichtige Rolle in der Wirtschaft spielen, argumentiert Wren-Lewis weiter.

Doch wundert sich der britische Ökonom, ob dies eine unbeabsichte Folge hat: die Polarisierung und Politisierung der wirtschaftspolitischen Beratung.

Wenn Lohnverhandlungen auf nationaler Ebene institutionalisiert geführt werden, ist der Einfluss der Ideologie auf die Wirtschaftspolitik wahrscheinlich vorprogrammiert, mehr als sonst, lautet sein Fazit.



(*) Ordoliberalismus erkennt tatsächliche Abweichungen von einem Ideal der perfekten Märkte und die Notwendigkeit, damit (wie z.B. mit Monopol) zu handeln. Und er ist daher möglicherweise viel mehr zugänglich zu neukeynesianischen Ideen als dem Neoliberalismus.


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