Dienstag, 7. Oktober 2014

Warum ist die Nullzinsgrenze ein Problem?

Es gibt eine Nullgrenze für den Nominalzinssatz. Das heisst, dass der Nominalzinssatz nicht unter null fallen kann.

Die Frage ist, ob die Notenbank die Fähigkeit hat, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln. Die Nullgrenze  (zero lower bound) kann nämlich die Wirksamkeit der (herkömmlichen) Geldpolitik begrenzen.

Die volkswirtschaftliche Situation, in der Geldpolitik versagt, weil der Nominalzinssatz nicht unter null fallen kann, wird als Liquiditätsfalle (liquidity trap) bezeichnet.

Wenn die Wirtschaft also in eine Liquiditätsfalle gerät, geht die Kreditnachfrage zurück und es entsteht eine Produktionslücke (output gap). Die Arbeitslosenquote steigt rasch über die natürlichen Arbeitslosenquote.

Jede Erhöhung der Notenbankgeldmenge (monetary base) hat keine Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, weil Bargeld (cash) und kurzfristige Staatspapiere als gleichwertig wahrgenommen werden. Die privaten Wirtschaftssubjekte bevorzugen Kassenhaltung, weil sie dadurch bei einer negativen Inflationsrate einen positiven Realzinssatz erzielen.

Das war in den 1930er Jahren während der Grossen Depression in den USA der Fall. Die amerikanische Wirtschaft steckte in einer Liquiditätsfalle und das Publikum erwartete Deflation.

Japan hat in den 1990er Jahren die Nullzinsgrenze kennengelernt. Die Öffentlichkeit erlebte Deflation. Die japanische Zentralbank (BoJ: Bank of Japan) war unfähig, durch weitere Zinssenkungen die Wirtschaft wiederzubeleben.

Die Tatsache, dass Japan als erste grosse Volkswirtschaft seit den 1930er Jahren Deflation begegnete, sollte Europa alarmieren. Doch reagierten die europäischen Entscheidungsträger auf die Verminderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die sich aus der wachsenden Schuldenlast (debt deflation) ergab, mit Austeritätspolitik:


Das heisst Haushaltskonsolidierung via harsche Sparmassnahmen. Die Peripherie der Eurozone geriet schnell in eine Schuldendeflation, wo die steigende reale Last der Schulden die Rezession im Euro-Raum weiter verstärkt hat.

Die Eurozone erfährt nun Sparparadoxon (paradox of thrift): Wenn in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft alle sparen, sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Es steht fest, dass die Austerität genau das falsche Rezept ist. Die Regierung kann das Haushaltsdefizit nicht reduzieren, wenn ihre Einnahmequelle (nämlich das Volkseinkommen) schrumpft.

Die Lösung ist à la Keynes: Expansive Fiskalpolitik. Eine Vergrösserung der Basisgeld führt in einer Welt, wo Schulden abgebaut werden und die Zinsen nahe null liegen, nicht zu einer galoppierenden Inflation. Investitionen der öffentlichen Hand in die Infrastruktur zur Ankurbelung der Konjunktur in Zeiten der Depression ist „free lunch“, schreibt Larry Summers in einem lesenswerten Artikel („Why public investment really is a free lunch“) heute in der FT. Warum sträubt sich aber die EU wider besseres Wissen dagegen?

PS: Die Angst vor Deflation ist der Grund dafür, warum die Zentralbanken Preisniveaustabilität verfolgen, d.h. eine niedrige Inflationsrate von 2 oder 3% anstreben als null Prozent, weil dadurch die volkswirtschaftlichen Kosten tief bleiben und die Gefahr, in eine Liquiditätsfalle zu geraten, erheblich abnimmt.

Man denke daran, dass Deutschland in den 10 Jahren davor, bevor die Euro-Krise ausbrach, jedes Jahr im Durchschnitt eine Inflationsrate von weniger als 1,5% gehabt hat und damit die Zielinflationsrate der EZB deutlich unterboten hat. Dass diese Entwicklung in der EWU früher oder später zu deflationären Tendenzen führen würde, lag auf der Hand, wovor z.B. Heiner Flassbeck in Europa mehrmals gewarnt hat.

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