Buchbesprechung:
Peter Temin and David Vines: Keynes –
Useful Economics for the World Economy, MIT
Press, Massachusetts and London, 2014
Griechenland hatte einst
Deutschland Schulden erlassen. Es geschah im Rahmen des Londoner
Schuldenabkommens im Februar 1953.
65 Staaten (darunter Griechenland) haben damals zur Entschuldung der Deutschen zugestimmt (rund die
Hälfte der Auslandschulden in Höhe von 30 Mrd. DEM). Deutschlands
Auslandsschulden bestanden aus Vorkriegsschulden und Nachkriegsschulden.
Im Jahr 1919 hatte einer der hochrangigen Vertreter Grossbritanniens die
Verhandlungen um den Versailles Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg wütend
verlassen. Sein Name war John Maynard
Keynes. Sein Argument lautete, dass es zu harsch sei, dem Verlierer des
Krieges zu viel Schulden aufzubürden.
Von Deutschland hohe Reparationszahlungen
(an die Siegermächte) zu verlangen, sei kontraproduktiv, sagte Keynes. Das globale
Wirtschaftswachstum würde abgeschwächt, wenn die Deutschen statt Güter im
Ausland zu kaufen, Reparationszahlungen leisten müssten. Damals profitierte die britische Wirtschaft von einem export-getriebenen Wachstum.
Keynes hat seine Gedanken dazu in
einem später veröffentlichten Buch „The
Economic Consequences of the Peace“ (1919) zusammengetragen. Die Theorie
über die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Beschäftigung hat er aber aus
seiner Analyse des internationalen Handels hergeleitet und im Buch „The General Theory of Employment, Interest
and Money“ im Jahr 1936 publiziert: Staatsausgaben können Arbeitslosigkeit
reduzieren und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln.
Peter Temin and David Vines
zeigen in diesem lesenswerten Buch auf, wie Keynes sich mit dem Rahmenwerk einer geschlossen Wirtschaft
beschäftigt, aber sein Augenmerk immer global gerichtet hat. Die
Schlussfolgerung der Autoren für die Gegenwart steht von Anfang an fest, dass Keynes‘
Idee von deficit spending (d.h. Ausgabe
von staatlichen Haushaltsmitteln zur Belebung der Konjunktur, wenn die
Wirtschaft schwer angeschlagen ist) Europa heute sehr gut tun würde.
Aus Sicht von Temin und Vines geht Deutschland heute im Lichte der Geschichte über Gebühr harsch vor, Schuldnerländern
in der Eurozone Austeritätspolitik vorzuschreiben. Stattdessen wäre eine expansive
Fiskalpolitik nötig, wenn säkulare Stagnation droht, so der an der MIT Wirtschaftsgeschichte lehrende Temin
und der an der Oxford University
tätige Wirtschaftsprofessor Vines.
Was das Buch alles in allem
unterstreicht, ist, dass eine genau Studie der Great Depression der 1930er Jahre eine Warnung nahelegt, nicht
frühzeitig Haushaltskonsolidierung anzustreben bzw. die Zinsen zu erhöhen. Die EZB (2011 im April und im Juli) und die
Schwedens Riksbank hoben die Zinsen
tatsächlich vorschnell an. Infolgedessen dirigiert Niedriginflation in der
Euro-Zone im Vorfeld einer potenziellen triple-dip
Rezession-Gefahr, während Schweden mit Deflation konfrontiert ist.
Liegen die nominalen Zinsen nahe
null (zero lower bound), funktioniert
der gewöhnliche Korrelation zwischen der Geldmenge und Inflation sowie
Kreditaufnahme und Zinssätze nicht mehr. Das ist die Lehre aus Keynes
Wirtschaftstheorie. Wer trotzdem die Quantitätstheorie an den Tag legt,
befürwortet wider besseres Wissen fiscal
austerity in Angst vor Bond Vigilantes und löst damit deflationäre
Tendenzen aus, während die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verharrt.
Keynes hat nie eine Theorie der Erwartungen formuliert. Stattdessen
hat er geltend gemacht, dass die Erwartungen durch „animal spirits“ bestimmt werden, welche stabil bleiben, wenn das „Meer
flach ist“, sonst aber Panik ausgesetzt sind, wenn Sturm aufzieht. Nach Auffassung
von Keynesianern führen irrationale Elemente im Wirtschaftsgeschehen wie z.B.
unreflektierte Instikte und Herdenverhalten zu konjunkturellen Schwankungen.
Heute verwenden renommierte Ökonomen in der amerikanischen
Blogosphäre eine bunte Sprache, geschmückt mit Zombies, cockroaches (Kakerlaken-Idee), confidence fairy (Vertrauen Fee), derp (auch hier), um Aufmerksamkeit zu erwecken und das schiere Ausmass des Unsinns in der
makroökonomischen Diskussion hervorzuheben.
Die Begriffe richten sich nicht an Personen, sondern an Argumente, um historisch ignorante Behauptungen,
dass Keynes z.B. heute angesichts der hohen Schulden nicht fiscal stimulus gefordert hätte.
Das Keynes Modell ist ein Abbild
der Wirtschaft, keine Beschreibung. Die Vereinfachung im Modell geht zu Lasten
von Einzelheiten der Realität. Der Vorteil ist aber das Verständnis davon, wie
die Wirtschaft funktioniert.
Deutschlands Wirtschaftswachstum ging in der EWU auf Kosten der anderen europäischen Länder.
Berlin hat mit Lohn-Dumping den Rest der Euro-Zone an die Wand gefahren. Während
die Euro-Zone nun in einer Deflationsfalle steckt, drohen unvorteilhafte
Auswirkungen der Austeritätspolitik sich auf den Rest der Weltwirtschaft
auszuweiten (spill over effect).
Starkes Buch, gerade zum richtigen Zeitpunkt, um zu verstehen, was die Märkte uns heute mit Niedriginflation mitteilen.
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