Samstag, 3. Mai 2014

66 starke Thesen zum Euro

Buchbesprechung:

Heiner Flassbeck: 66 starke Thesen zum Euro, zur Wirtschaftspolitik und zum deutschen Wesen. Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2014.



Anzeichen mehren sich, dass der Euro-Raum zu mehreren Jahren der Deflation und Stagnation verdammt ist. Wie kann aber der Euro gerettet werden? Oder was taugt die Währungsunion in der heutigen Konstellation? Wer profitiert davon? Wer leidet?

Bevor man mögliche Antworten sucht, ist in Erinnerung zu rufen, dass die Euro-Krise nicht gleich Staatsschuldenkrise ist. Die Krise kam nicht durch unverantwortliche Haushaltsführung in den einzelnen Staaten zustande. Irland und Spanien hatten am Vorabend der Krise Haushaltsüberschuss und wenig Schulden. Die Finanzkrise ist durch die Finanzinstitute verursacht worden. Die Banken hatten zu wenig Eigenkapital und zu viel Fremdkapital. Ist es aber eine abschliessende Erklärung v.a. für die Entstehung der Euro-Krise?

Heiner Flassbeck legt grossen Wert darauf, allgemeinverständlich zu erläutern, dass die gesamte Schuld nicht allein den Banken  in die Schuhe zu schieben ist, vor allem was die Euro-Krise in Bezug auf die Währungsunion angeht.

Die Rolle der Banken ist seiner Ansicht nach bisher in der Öffentlichkeit „ein grosses Rätsel“ geblieben. Die Mehrzahl der Krisen in der Vergangenheit waren Währungskrisen und auch die Euro-Krise ist eine, hält der ehemalige Chefvolkswirt der UNCTAD (Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen) in Genf fest:

Krisen entstehen wegen Über- und Unterbewertungen von Währungen, die eine Änderung von Währungsrelationen verlangen. Oder wie im Fall von Euro eine Änderung von Wettbewerbsrelationen über Lohnanpassungen.

Vorerst müssen also andere Fragen beantwortet werden, um Parameter für die Euro-Krise festzumachen. Was wird bei einer Währungsunion harmonisiert? Woher kommt die Inflation? Welche Rolle spielt die nationale Produktivität? Wie funktioniert der Arbeitsmarkt?


Flassbeck verwendet einen analytischen und weniger politischen Ansatz. Ihm geht um die Logik der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge, nicht um die Ideologie, was die hohe Qualität des Buches ausmacht. Der Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation ist der Lohn (bzw. sog. die goldene Lohnregel). Dazu gehört natürlich auch die Rolle, die die Währungen dabei spielen.

Der ehemalige Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen betrachtet eine Währungsunion in erster Linie als „Inflationsgemeinschaft“. Denn die Mitgliedstaaten verzichten mit dem Start einer Währungsunion (EWU) auf die Führung einer nationalen (autonom gestalteten) Geldpolitik und einigen sich stattdessen auf die Verfolgung einer gemeinsam festgelegten Inflationsrate.

Flassbeck macht aus einer Synthese keinen Hehl: Solange das Grundproblem, dass die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Euro-Zone auseinander läuft, nicht gelöst wird, ist damit zu rechnen, dass „diese dämliche Währungsunion“ gegen eine Wand fährt.

Die Austeritätspolitik ist daher fehl am Platz. Sparen fördert das Investieren nicht, v.a. nicht in einer Welt, wo die Zinsen gegen null tendieren. Wenn das gemeinsam beschlossene Inflationsziel von dem einen oder anderen Mitglied unterlaufen wird, um über Lohnsenkungen die eigene Wettbewerbsfähigkeit gegen die restlichen Mitgliedstaaten zu erhöhen, wird das Ergebnis nicht nur Deflation sein, sondern auch der Untergang der Währungsunion.

In einer Währungsunion werden nämlich die Inflationsraten harmonisiert. Die Inflation hat genau zwei Ursachen: (1) hohe Nachfrage und (2) stark steigende Kosten. Dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage im Euro-Raum fehlt, ist nicht zu übersehen. Es reicht schon, einen kurzen Blick auf den Verlauf desEinzelhandels in der grössten Volkswirtschaft Europas zu werfen: Eine Katastrophe. Der private Verbrauch ist in Deutschland flach wie ein Brett.

Da die Lohnstückkosten eine der Grössen sind, die die Inflationsraten vorwiegend bestimmen, muss im Euro-Raum die Lohnstückkostenentwicklung harmonisiert werden, legt Flassbeck dar. Und die Lohnregel besagt, dass jedes Land seine Löhne an die Produktivität und das Inflationsziel anzupassen hat. Das heisst, dass die Lohnstückkosten wie die Zielinflationsrate der EZB und die Reallöhne wie die Produktivität steigen müssen.





Die entscheidende Beziehung zwischen Lohnstückkosten und Inflation, Graph: Prof. Heiner Flassbeck, in einem Referat in Washington im April 2014

Griechen müssen also nicht germanisiert werden. Sie müssen sich an ihre eigenen Verhältnisse anpassen und das gemeinsam festgelegte Inflationsziel respektieren. Die deutsche Strategie der relativen Lohnsenkung und der Exportüberschüsse sind nicht einfach auf die gesamte EWU zu übertragen. Wettbewerbsfähigkeit ist nämlich keine makroökonomische Kategorie. Wettkampf der Nationen (rat race) ist gefährlich.

Die Anhänger der neoklassischen Schule bestehen aber trotzdem auf die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte (d.h. Lohnzurückhaltung), um die EU aus der Krise zu führen. Das Traurige daran ist, dass die eigene Beschäftigung nur in einer Währungsunion durch relative Lohnsenkung ausgeweitet werden kann, und zwar zu Lasten der anderen Mitglieder, aber solange, bis sie nicht das Gleiche versuchen. Ansonsten würden sich die betreffenden Länder mit Handelsschranken und Abwertung ihrer Währung dagegen wehren.

Es ist in diesem Kontext ein offenes Geheimnis, dass die Löhne in Deutschland  in den letzten zehn Jahren kaum gestiegen sind. Die EU-Kommission ist aber inzwischen aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht und wegen der anhaltenden makroökonomischen Ungleichgewichte ein Überprüfungsverfahren gegen Deutschland in Gang gesetzt.

Die deutschen Unternehmen haben zu viel Geld. Dank Lohndumping haben sie extrem hohe Gewinne im Aussenhandel gemacht. Aber sie investieren wegen der dadurch ausgelösten Nachfrageschwäche im Binnenmarkt zu wenig.

Das zentrale Problem ist, dass die Unternehmen ihre Rolle als Investor nicht wahrnehmen.  Der Unternehmenssektor als Sparer und das Ausland als einziger Schuldner zeigen, dass die Angebotspolitik gescheitert ist. 

Wenn die Unternehmen die von den privaten Haushalten gebildeten Ersparnisse bei den Banken nicht aufnehmen und in Sachanlagen investieren, muss der Staat seine Verschuldung erhöhen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn der Staat sich selbst nicht mehr verschulden will, muss er dafür sorgen, dass die Unternehmen wieder die Rolle des Schuldners und des Investors übernehmen. Der Staat kann beispielsweise die Unternehmenssteuern erhöhen, um die Unternehmen zu Investitionen zu bewegen.

Folgen die EWU-Staaten dem von Deutschland vorgeschriebenen Wirtschaftsmodell in Form von Lohnmoderation, wird das Ergebnis nichts anderes als Deflation sein, und eine lange Phase der Massenarbeitslosigkeit. Flassbeck hat das alles bereits vor 5-6 Jahren in seinen diversen Vorträgen und Schriften festgehalten.

Die Wirtschaftspolitik, die auf angebotspolitische Reformen setzt und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sucht, während die nominalen Zinsen nahe Null (zero lower bound) liegen, kann kein Ersatz für die Nachfragepolitik sein. Zumal der Ausgangspunkt dieser Angebotspolitik nicht einmal eine Produktivitätssteigerung ist, sondern eine Nominallohnsenkung. Vor diesem Hintergrund verschlechtert sich die Einkommenssituation der privaten Haushalte und die Nachfrage sinkt.

Ein Land kann seine Produktivkräfte dann wiederherstellen, wenn die Unternehmen  investieren. Das geschieht wiederum erst, wenn die Wirtschaft wächst. Die Produktivität kann also nicht erhöht werden, bevor die Wirtschaft angekurbelt wird. Weil sonst die Lohnstückkosten bei gleichbleibenden Löhnen nicht gesenkt werden können. Die Katze beisst sich in den Schwanz.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass das Verbleiben im Euro-Raum für viele Bürger allmählich unerträglich wird. Menschen, die vor die Hunde gehen, fangen an, ihre Stimme für anti-europäische und extreme Bewegungen zu geben. Auf der Strecke bleibt am Ende die Demokratie.

Wer verstehen will, was die wahre Krisenursache in Europa ist und warum sie unbearbeitet bleibt, muss dieses Buch unbedingt lesen und lesen lassen. Ein starkes Buch mit prägnanten und empirisch nachvollziehbaren Argumenten. Die Abschnitte zum Arbeitsmarkt („Arbeit ist kein Produkt“) sind besonders empfehlenswert. Ohne Weiteres gelingt es Flassbeck, mit der überzeugenden Widerlegung des neoklassischen Arbeitsmarktdogmas vor Augen zu führen, wie dumm und zynisch das Wirtschaftsmodell der EU ist.

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