Buchbesprechung:
Heiner
Flassbeck: 66 starke Thesen zum Euro,
zur Wirtschaftspolitik und zum deutschen Wesen. Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2014.
Anzeichen mehren sich, dass der Euro-Raum zu mehreren
Jahren der Deflation und Stagnation verdammt ist. Wie kann aber der Euro
gerettet werden? Oder was taugt die Währungsunion in der heutigen
Konstellation? Wer profitiert davon? Wer leidet?
Bevor man mögliche Antworten sucht, ist in Erinnerung
zu rufen, dass die Euro-Krise nicht gleich Staatsschuldenkrise ist. Die Krise
kam nicht durch unverantwortliche Haushaltsführung in den einzelnen Staaten zustande.
Irland und Spanien hatten am Vorabend der Krise Haushaltsüberschuss und wenig
Schulden. Die Finanzkrise ist durch die Finanzinstitute verursacht worden. Die
Banken hatten zu wenig Eigenkapital und zu viel Fremdkapital. Ist es aber eine
abschliessende Erklärung v.a. für die Entstehung der Euro-Krise?
Heiner Flassbeck legt grossen Wert darauf, allgemeinverständlich zu erläutern, dass
die gesamte Schuld nicht allein den Banken
in die Schuhe zu schieben ist, vor allem was die Euro-Krise in Bezug auf
die Währungsunion angeht.
Die Rolle der Banken ist seiner Ansicht nach bisher in
der Öffentlichkeit „ein grosses Rätsel“ geblieben. Die Mehrzahl der Krisen in
der Vergangenheit waren Währungskrisen und auch die Euro-Krise ist eine, hält
der ehemalige Chefvolkswirt der UNCTAD (Welthandels- und Entwicklungskonferenz
der Vereinten Nationen) in Genf fest:
Krisen entstehen wegen Über- und Unterbewertungen von
Währungen, die eine Änderung von Währungsrelationen verlangen. Oder wie im Fall
von Euro eine Änderung von Wettbewerbsrelationen über Lohnanpassungen.
Vorerst müssen also andere Fragen beantwortet werden,
um Parameter für die Euro-Krise festzumachen. Was wird bei einer Währungsunion
harmonisiert? Woher kommt die Inflation? Welche Rolle spielt die nationale
Produktivität? Wie funktioniert der Arbeitsmarkt?
Flassbeck verwendet
einen analytischen und weniger politischen Ansatz. Ihm geht um die Logik der
gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge, nicht um die Ideologie, was die hohe
Qualität des Buches ausmacht. Der Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation ist
der Lohn (bzw. sog. die goldene Lohnregel).
Dazu gehört natürlich auch die Rolle, die die Währungen dabei spielen.
Der ehemalige Staatssekretär im Bundesministerium für
Finanzen betrachtet eine Währungsunion in erster Linie als „Inflationsgemeinschaft“. Denn die
Mitgliedstaaten verzichten mit dem Start einer Währungsunion (EWU) auf die
Führung einer nationalen (autonom gestalteten) Geldpolitik und einigen sich stattdessen
auf die Verfolgung einer gemeinsam festgelegten Inflationsrate.
Flassbeck macht aus einer Synthese keinen Hehl: Solange
das Grundproblem,
dass die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Euro-Zone auseinander läuft, nicht
gelöst wird, ist damit zu rechnen, dass „diese dämliche Währungsunion“ gegen
eine Wand fährt.
Die Austeritätspolitik ist daher fehl am Platz. Sparen
fördert das Investieren nicht, v.a. nicht in einer Welt, wo die Zinsen gegen
null tendieren. Wenn das gemeinsam beschlossene Inflationsziel von dem einen
oder anderen Mitglied unterlaufen wird, um über Lohnsenkungen die eigene
Wettbewerbsfähigkeit gegen die restlichen Mitgliedstaaten zu erhöhen, wird das
Ergebnis nicht nur Deflation sein,
sondern auch der Untergang der Währungsunion.
In einer Währungsunion werden nämlich die
Inflationsraten harmonisiert. Die Inflation hat genau zwei Ursachen: (1) hohe
Nachfrage und (2) stark steigende Kosten. Dass die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage im Euro-Raum fehlt, ist nicht zu übersehen. Es reicht schon, einen kurzen
Blick auf den Verlauf desEinzelhandels in der grössten Volkswirtschaft Europas zu werfen: Eine Katastrophe.
Der private Verbrauch ist in Deutschland
flach wie ein Brett.
Da die Lohnstückkosten eine der Grössen sind, die die
Inflationsraten vorwiegend bestimmen, muss im Euro-Raum die Lohnstückkostenentwicklung harmonisiert werden, legt Flassbeck dar. Und die Lohnregel besagt, dass jedes Land seine
Löhne an die Produktivität und das Inflationsziel anzupassen hat. Das heisst,
dass die Lohnstückkosten wie die
Zielinflationsrate der EZB und die Reallöhne wie die Produktivität steigen
müssen.
Die entscheidende Beziehung zwischen Lohnstückkosten und Inflation, Graph: Prof. Heiner Flassbeck, in einem Referat in Washington im April 2014
Griechen müssen also nicht germanisiert werden. Sie müssen sich an ihre eigenen Verhältnisse
anpassen und das gemeinsam festgelegte Inflationsziel respektieren. Die
deutsche Strategie der relativen Lohnsenkung und der Exportüberschüsse sind
nicht einfach auf die gesamte EWU zu übertragen. Wettbewerbsfähigkeit ist nämlich
keine makroökonomische Kategorie. Wettkampf der Nationen (rat race) ist gefährlich.
Die Anhänger der neoklassischen Schule bestehen aber trotzdem
auf die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte (d.h. Lohnzurückhaltung), um die EU
aus der Krise zu führen. Das Traurige daran ist, dass die eigene Beschäftigung
nur in einer Währungsunion durch relative Lohnsenkung ausgeweitet werden kann,
und zwar zu Lasten der anderen Mitglieder, aber solange, bis sie nicht das
Gleiche versuchen. Ansonsten würden sich die betreffenden Länder mit
Handelsschranken und Abwertung ihrer Währung dagegen wehren.
Es ist in diesem Kontext ein offenes Geheimnis, dass
die Löhne in Deutschland in den letzten
zehn Jahren kaum gestiegen sind. Die EU-Kommission ist aber inzwischen aus dem
Dornröschenschlaf aufgewacht und wegen der anhaltenden makroökonomischen
Ungleichgewichte ein Überprüfungsverfahren gegen Deutschland in Gang gesetzt.
Die deutschen Unternehmen haben zu viel Geld. Dank Lohndumping haben sie extrem hohe
Gewinne im Aussenhandel gemacht. Aber sie investieren wegen der dadurch
ausgelösten Nachfrageschwäche im Binnenmarkt zu wenig.
Das zentrale Problem ist, dass die Unternehmen ihre
Rolle als Investor nicht wahrnehmen. Der
Unternehmenssektor als Sparer und das Ausland als einziger Schuldner zeigen,
dass die Angebotspolitik gescheitert
ist.
Wenn die Unternehmen die von den privaten Haushalten gebildeten
Ersparnisse bei den Banken nicht aufnehmen und in Sachanlagen investieren, muss
der Staat seine Verschuldung erhöhen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn der Staat sich selbst nicht mehr
verschulden will, muss er dafür sorgen, dass die Unternehmen wieder die Rolle
des Schuldners und des Investors übernehmen. Der Staat kann beispielsweise die
Unternehmenssteuern erhöhen, um die Unternehmen zu Investitionen zu bewegen.
Folgen die EWU-Staaten dem von Deutschland
vorgeschriebenen Wirtschaftsmodell in Form von Lohnmoderation, wird das
Ergebnis nichts anderes als Deflation
sein, und eine lange Phase der Massenarbeitslosigkeit. Flassbeck hat das alles
bereits vor 5-6 Jahren in seinen diversen Vorträgen und Schriften festgehalten.
Die Wirtschaftspolitik, die auf angebotspolitische Reformen
setzt und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sucht, während die
nominalen Zinsen nahe Null (zero lower
bound) liegen, kann kein Ersatz für die Nachfragepolitik sein. Zumal der Ausgangspunkt dieser
Angebotspolitik nicht einmal eine Produktivitätssteigerung ist, sondern eine
Nominallohnsenkung. Vor diesem Hintergrund verschlechtert sich die
Einkommenssituation der privaten Haushalte und die Nachfrage sinkt.
Ein Land kann seine Produktivkräfte dann
wiederherstellen, wenn die Unternehmen
investieren. Das geschieht wiederum erst, wenn die Wirtschaft wächst. Die
Produktivität kann also nicht erhöht werden, bevor die Wirtschaft angekurbelt
wird. Weil sonst die Lohnstückkosten bei gleichbleibenden Löhnen nicht gesenkt
werden können. Die Katze beisst sich in den Schwanz.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass das Verbleiben
im Euro-Raum für viele Bürger allmählich unerträglich wird. Menschen, die vor
die Hunde gehen, fangen an, ihre Stimme für anti-europäische und extreme
Bewegungen zu geben. Auf der Strecke bleibt am Ende die Demokratie.
Wer verstehen will, was die wahre Krisenursache in
Europa ist und warum sie unbearbeitet bleibt, muss dieses Buch unbedingt lesen
und lesen lassen. Ein starkes Buch mit prägnanten und empirisch
nachvollziehbaren Argumenten. Die Abschnitte zum Arbeitsmarkt („Arbeit ist kein
Produkt“) sind besonders empfehlenswert. Ohne Weiteres gelingt es Flassbeck, mit
der überzeugenden Widerlegung des neoklassischen Arbeitsmarktdogmas vor Augen
zu führen, wie dumm und zynisch das Wirtschaftsmodell der EU ist.
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