Samstag, 31. Mai 2014

House of Debt

Buchbesprechung:

Atif Mian & Amir Sufi: House of Debt. How They (and You) Caused the Great Recession, and How We Can Prevent It From Happening Again, University of Chicago Press, Chicago, 2014.


Die Wirtschaftspolitik seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 war auf beiden Seiten des Atlantiks ein kläglicher Misserfolg. Eine Wiederholung der Great Depression wurde zwar verhindert. Die wirtschaftliche Erholung verläuft aber seit fünf Jahren schleppend und die Langzeitarbeitslosigkeit ist heute höher als zu Beginn der Krise.

Die harschen Sparrmassnahmen (fiscal austerity) scheinen andererseits nicht der einzige Grund für die träge Erholung der Wirtschaft zu sein. Tatsache ist, dass die schwere Schuldenlast der privaten Haushalte, die die Konsumausgaben hemmt, wie ein Klotz am Bein der Wirtschaft wirkt.

Das zentrale Argument dieses hervorragenden Buches lautet, dass die Immobilienkrise in Kombination mit der übermässigen Verschuldung des Privatsektors die wesentliche Treiberin der Konjunkturschwäche ist.

Die Feststellung der Autoren, dass es auf die Verteilung der Verluste auf die Schuldner und Gläubiger ankommt, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch.

Es hat vor diesem Hintergrund keinen Sinn, mit dem Finger auf die eine oder die andere Seite zu zeigen. Es braucht zwei für einen Tango. Ausserdem hat die ganze Problematik mit Moral Hazard nichts zu tun. Der grösste Fehler der Politik war, dass eine wichtige Massnahme, nämlich Schuldenabschreibung nicht energisch vorangetrieben wurde. Mian und Sufi unterstreichen immer wieder, dass die Obama Regierung, v.a. aber der Finanzmininster Tim Geithner sich um einen Schuldenerlass nicht redlich bemüht hat.

Dabei kommt es auf die Differenzen in der Grenzneigung des Konsums (marginale Konsumquote) an, heben die Autoren hervor. Das heisst, dass die Verteilung der Verluste auf die reichen und armen Menschen entscheidend ist.

Im Jahr 2000  ist die dot-com-Blase geplatzt. In den darauf folgenden zwei Jahren wurde Haushaltsvermögen (household wealth) in Höhe von 6‘200 Mrd. USD vernichtet.

Fünf Jahre später ist der Immobilienmarkt zusammengebrochen. Von 2007 bis 2009 fiel der Wert der im Besitz der amerikanischen privaten Haushalten stehenden Immobilien um 6‘000 Mrd. USD zurück.
Trotz ähnlicher Verluste (gemessen am nominalen Wert) hat der Immobilienkrach (housing crash) zu der Great Recession geführt, während der dot-com-Absturz  eine milde Rezession ausgelöst hat.

Warum? Der Unterschied ist am Verlauf der Konsumausgaben zu sehen: Die Immobilienkrise hat den Einzelhandel zum Erliegen gebracht. Die Ausgaben der Verbraucher sind von 2007 bis 2009 um 8% zusammengebrochen. Das Platzen der dot-com-Blase hingegen hatte kaum eine Auswirkung. Der Einzelhandel legte sogar von 2000 bis 2002 um 5% zu.

Wie ist das unterschiedliche Ergebnis zu erklären? Die jungen Ökonomen betonen die Verteilung der Verluste. Der starke Absturz der Hauspreise zu Beginn des Jahres 2007 hat die Verluste auf die Schulter der Menschen gelegt, die am wenigsten in der Lage waren, die Last zu tragen. Die unverhältnismässige Verteilung der Verluste hat die weniger bemittelten Menschen zu einer drastischen Einschränkung der Ausgaben gezwungen.

Im High-tech-Krach waren die Verluste auf die finanzkräftigen Menschen konzentriert. Die vermögenden Menschen hatten aber kaum Schulden. Und sie hatten daher keinen Anlass, ihre Konsumausgaben einzuschränken.

Schulden und Deflation sind Mittäter. Wenn hoch verschuldete Haushalte ihre Ausgaben kürzen, reduzieren Unternehmen die Preise, um den Umsatz anzukurbeln. Das ist jedoch nur dann nachhaltig, wenn Unternehmen, die die Preise reduzieren, auch die Löhne kürzen, um die Kosten zu reduzieren. 

Der Nachfragerückgang führt damit zu Lohnkürzungen, was das Problem noch mehr verschlimmert, da die Last der Schulden für die Haushalte dadurch steigt. Die privaten Haushalte werden gezwungen, die Ausgaben weiterzusenken. Dieser Prozess wurde von Irving Fisher 1933 als "Debt-Deflation“ bezeichnet. 

Es ist ein Verteilungsargument, betonen die Autoren. Da die Schulden (nominal) in US-Dollar festgelegt sind, führt die Deflation dazu, dass die reale Last der Schulden steigt. Der Gläubiger profitiert von Deflation, weil er mit dem selben Betrag an Zinsen, die er auf das von ihm gegebene Darlehen bekommt, mehr Waren kaufen kann. Deflation ist also ein Mechanismus, der die Kaufkraft von dem Schuldner zum Gläubiger verlagert. Das ist auch der Grund dafür, warum einige Ökonomen einen Anstieg der Inflation unter den heute vorherrschenden Bedingungen befürworten. 

Denn ein Anstieg der Preise und Löhne erleichtert es dem Schuldner, seine Schulden zu bedienen. Eine hohe Grenzneigung des Konsums bedeutet aus Sicht des Schuldners, dass ein Transfer in Sachen Kaufkraft der gesamten Wirtschaft zu Gute kommt. Der Schulder gibt mehr von der steigenden Kaufkraft aus als der Gläubiger, der im Fall des selben Verlustes seine Ausgaben kürzt. 

Während der Great Depression ist es der Fed nicht gelungen, die deflationären Kräfte zu unterbinden. Wenn es der Geldpolitik gelungen wäre, der Deflation vorzubeugen und die Inflation zu stützen, hätte sie die nachteiligen Effekte einer von Schulden getriebenen Rezession verringern können.

Heute, während der Great Recession limiert die Nullzins-Grenze (zero lower bound) die Fähigkeit der Fed (bzw. der Geldpolitik) das von den Autoren als levered-losses beschriebene Problem („gehebelte Verluste“) zu bekämpfen. Aus diesem Grund wäre es dringend erforderlich gewesen, nicht nur eine expansive Fiskalpolitik an den Tag zu legen, sondern auch einen Schuldenerlass zu beschliessen. 

Mian und Sufi bieten in diesem mit einem sprachlich sehr angenehmen Stil verfassten und zahlreichen anschaulichen Abbildungen geschmückten Buch vielfältige einleuchtende Beispiele, um vor Augen zu führen, wie wichtig die Verteilungsproblematik in der Makroökonomie in der Gegenwart ist und warum es darauf ankommt, die verzerrte Entwicklung der Vermögens- und Einkommensverteilung mit zu berücksichtigen, um die gesamte Wirtschaft zu verstehen. Ein ausgezeichnetes Buch.

PS:
Atif Mian ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Princeton University. Und Amir Sufi ist Professor für Finanzwissenschaften an der University of Chicago Booth School of Business.

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