Buchbesprechung:
Atif Mian & Amir Sufi: House of Debt.
How They (and You) Caused the Great Recession, and How We Can Prevent It From Happening Again, University
of Chicago Press, Chicago, 2014.
Die Wirtschaftspolitik seit dem
Ausbruch der Finanzkrise 2008 war auf beiden Seiten des Atlantiks ein
kläglicher Misserfolg. Eine Wiederholung der Great Depression wurde zwar verhindert.
Die wirtschaftliche Erholung verläuft aber seit fünf Jahren schleppend und die
Langzeitarbeitslosigkeit ist heute höher als zu Beginn der Krise.
Die harschen Sparrmassnahmen (fiscal austerity) scheinen andererseits nicht
der einzige Grund für die träge Erholung der Wirtschaft zu sein. Tatsache ist,
dass die schwere Schuldenlast der privaten Haushalte, die die Konsumausgaben
hemmt, wie ein Klotz am Bein der Wirtschaft wirkt.
Das zentrale Argument dieses
hervorragenden Buches lautet, dass die Immobilienkrise in
Kombination mit der übermässigen Verschuldung des Privatsektors die wesentliche
Treiberin der Konjunkturschwäche ist.
Die Feststellung der Autoren, dass
es auf die Verteilung der Verluste auf die Schuldner und Gläubiger ankommt,
zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch.
Es hat vor diesem Hintergrund keinen
Sinn, mit dem Finger auf die eine oder die andere Seite zu zeigen. Es braucht
zwei für einen Tango. Ausserdem hat die ganze Problematik mit Moral Hazard
nichts zu tun. Der grösste Fehler der Politik war, dass eine wichtige Massnahme,
nämlich Schuldenabschreibung nicht energisch vorangetrieben wurde. Mian und
Sufi unterstreichen immer wieder, dass die Obama Regierung, v.a. aber der Finanzmininster
Tim Geithner sich um einen Schuldenerlass nicht redlich bemüht hat.
Dabei kommt es auf die
Differenzen in der Grenzneigung des Konsums (marginale Konsumquote) an, heben die Autoren hervor. Das heisst, dass die Verteilung der Verluste auf die reichen und armen Menschen entscheidend ist.
Im Jahr 2000 ist die dot-com-Blase
geplatzt. In den darauf folgenden zwei Jahren wurde Haushaltsvermögen (household wealth) in Höhe von 6‘200 Mrd.
USD vernichtet.
Fünf Jahre später ist der Immobilienmarkt zusammengebrochen. Von
2007 bis 2009 fiel der Wert der im Besitz der amerikanischen privaten
Haushalten stehenden Immobilien um 6‘000 Mrd. USD zurück.
Trotz ähnlicher Verluste (gemessen
am nominalen Wert) hat der Immobilienkrach (housing
crash) zu der Great Recession
geführt, während der dot-com-Absturz eine milde Rezession ausgelöst hat.
Warum? Der Unterschied ist am
Verlauf der Konsumausgaben zu sehen: Die Immobilienkrise hat den Einzelhandel
zum Erliegen gebracht. Die Ausgaben der Verbraucher sind von 2007 bis 2009 um
8% zusammengebrochen. Das Platzen der dot-com-Blase
hingegen hatte kaum eine Auswirkung. Der Einzelhandel legte sogar von 2000 bis
2002 um 5% zu.
Wie ist das unterschiedliche
Ergebnis zu erklären? Die jungen Ökonomen betonen die Verteilung der
Verluste. Der starke Absturz der Hauspreise zu Beginn des Jahres 2007 hat die
Verluste auf die Schulter der Menschen gelegt, die am wenigsten in der Lage
waren, die Last zu tragen. Die unverhältnismässige Verteilung der Verluste hat
die weniger bemittelten Menschen zu einer drastischen Einschränkung der
Ausgaben gezwungen.
Im High-tech-Krach waren die
Verluste auf die finanzkräftigen Menschen konzentriert. Die vermögenden
Menschen hatten aber kaum Schulden. Und sie hatten daher keinen Anlass, ihre
Konsumausgaben einzuschränken.
Schulden und Deflation sind Mittäter. Wenn hoch verschuldete Haushalte ihre Ausgaben kürzen, reduzieren Unternehmen die Preise, um den Umsatz anzukurbeln. Das ist jedoch nur dann nachhaltig, wenn Unternehmen, die die Preise reduzieren, auch die Löhne kürzen, um die Kosten zu reduzieren.
Der Nachfragerückgang führt damit zu Lohnkürzungen, was das Problem noch mehr verschlimmert, da die Last der Schulden für die Haushalte dadurch steigt. Die privaten Haushalte werden gezwungen, die Ausgaben weiterzusenken. Dieser Prozess wurde von Irving Fisher 1933 als "Debt-Deflation“ bezeichnet.
Es ist ein Verteilungsargument, betonen die Autoren. Da die Schulden (nominal) in US-Dollar festgelegt sind, führt die Deflation dazu, dass die reale Last der Schulden steigt. Der Gläubiger profitiert von Deflation, weil er mit dem selben Betrag an Zinsen, die er auf das von ihm gegebene Darlehen bekommt, mehr Waren kaufen kann. Deflation ist also ein Mechanismus, der die Kaufkraft von dem Schuldner zum Gläubiger verlagert. Das ist auch der Grund dafür, warum einige Ökonomen einen Anstieg der Inflation unter den heute vorherrschenden Bedingungen befürworten.
Denn ein Anstieg der Preise und Löhne erleichtert es dem Schuldner, seine Schulden zu bedienen. Eine hohe Grenzneigung des Konsums bedeutet aus Sicht des Schuldners, dass ein Transfer in Sachen Kaufkraft der gesamten Wirtschaft zu Gute kommt. Der Schulder gibt mehr von der steigenden Kaufkraft aus als der Gläubiger, der im Fall des selben Verlustes seine Ausgaben kürzt.
Während der Great Depression ist es der Fed nicht gelungen, die deflationären Kräfte zu unterbinden. Wenn es der Geldpolitik gelungen wäre, der Deflation vorzubeugen und die Inflation zu stützen, hätte sie die nachteiligen Effekte einer von Schulden getriebenen Rezession verringern können.
Heute, während der Great Recession limiert die Nullzins-Grenze (zero lower bound) die Fähigkeit der Fed (bzw. der Geldpolitik) das von den Autoren als levered-losses beschriebene Problem („gehebelte Verluste“) zu bekämpfen. Aus diesem Grund wäre es dringend erforderlich gewesen, nicht nur eine expansive Fiskalpolitik an den Tag zu legen, sondern auch einen Schuldenerlass zu beschliessen.
Mian und Sufi bieten in diesem mit einem sprachlich sehr angenehmen Stil verfassten und zahlreichen anschaulichen Abbildungen geschmückten Buch vielfältige einleuchtende Beispiele, um vor Augen zu führen, wie wichtig die Verteilungsproblematik in der Makroökonomie in der Gegenwart ist und warum es darauf ankommt, die verzerrte Entwicklung der Vermögens- und Einkommensverteilung mit zu berücksichtigen, um die gesamte Wirtschaft zu verstehen. Ein ausgezeichnetes Buch.
PS:
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