Freitag, 23. Mai 2014

Europas Elite, Preisstabilität und Demokratie

Das europäische Projekt ist in einer tiefen Krise, schreibt Paul Krugman in seiner lesenswerten Kolumne („Crisis of the Eurocrats“) am Freitag in NYTimes.

Der Kontinent hat noch Friede. Aber es fällt kurz in Sachen Wohlstand und auf subtilere Weise in Sachen Demokratie. Und wenn Europa wackelt, dann ist es eine sehr schlechte Sache, nicht nur für Europa, sondern auch für die Welt als Ganzes, unterstreicht der Träger des Wirtschaftsnobelpreises.

Warum ist Europa aber in Schwierigkeiten? Das unmittelbare Problem ist die schwache Wirtschaftsleistung. Der Euro sollte den Höhepunkt der Schritte in Bezug auf die wirtschaftliche Integration  markieren. Die Gemeinschaftswährung hat sich aber als Falle erwiesen, so der seit neuem am Graduierten-Zentrum der City University of New York (CUNY) forschende Wirtschaftsprofessor.

Zunächst kam es zu einer gefährlichen Selbstgefälligkeit, als Investoren riesige Mengen Gelder nach Südeuropa schickten, ungeachtet des Risikos. Und dann, nach dem Platzen des Booms fanden sich die Schuldnerländer nicht mehr in der Lage, die verlorene Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen, mit einer hohen Arbeitslosigkeit wie in einer Depression als Folge.

Die anhaftenden Probleme des Euro sind durch schlechte Wirtschaftspolitik verschärft worden. Europäische Staats- und Regierungschefs bestehen immer noch darauf, dass die Krise  (trotz der gegenteiligen Beweise) mit haushaltspolitischer Verantwortungslosigkeit zu tun hat. Und sie haben dazu wilde Sparmassnahmen ergriffen, was die Situation  noch schlimmer machte.



Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, EU-Japan-USA, Graph: Prof. Paul Krugman

Mit einer schrumpfenden Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und ohne Nachfrageschub dürfte Europa sehr wahrscheinlich einen deutlich niedrigeren Zinssatz (natural real rate of interest rate) in den kommenden Jahren haben.

Die gute Nachricht ist, dass der Euro nicht zusammengebrochen ist, legt Krugman dar: (1) Weil die EZB die Märkte hat beruhigen können, mit dem Satz, „alles dafür zu tun“, dass die Gemeinschaftswährung überlebt. Und (2) Weil die europäische Elite sich für das Projekt zutiefst engagiert.

Aber die Kosten des Zusammenhalts via Elite vergrössert die wachsende Distanz zwischen den Regierungen und dem Volk. Durch die Schliessung der Reihen hat die Elite wirksam sichergestellt, dass es keine gemässigte Stimmen gibt, die von der politischen Orthodoxie abweichen. Und der Mangel an moderaten Dissens hat Gruppen wie National Front in Frankreich gestärkt, argumentiert Krugman weiter.

Die bittere Ironie ist dabei, dass Europas Elite nicht tatsächlich technokratisch ist. Die Einführung des Euro war politisch und ideologisch geprägt, nicht eine sorgfältige Antwort aus wirtschaftlicher Analyse. Und der Umstand, dass Europas Elite die Ideologie wie Know-how verschleiert, dass alles getan werden muss, was sie will, erzeugt ein Defizit an Legitimität.

Es ist zwar der Elite so weit gelungen, den Zusammenhalt zu sichern. Aber wir wissen nicht, wie lange noch, hebt Krugman hervor. Und es gibt einige sehr beängstigende Leute, die in den Startlöchern warten.

Wenn wir Glück haben, können wir in den nächsten Jahren eine echte wirtschaftliche Erholung erleben, was das europäische Projekt wieder auf Pfad bringen würde. Aber wirtschaftliche Erholung allen reicht nicht aus. Europas Elite muss in Erinnerung rufen, worum es beim Projekt geht.

Es ist laut Krugman erschreckend zu sehen, wie Europäer demokratische Werte zurückweisen. Zumindest ein Teil der Schuld liegt bei den Beamten, die mehr an Preisstabilität und finanzpolitischer Integrität interessiert sind als an Demokratie. Das moderne Europa ist auf einer noblen Idee gebaut. Aber diese Idee braucht heute mehr Verteidiger, hält Krugman als Fazit fest.



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