Die EZB hat nun die Bereitschaft
unterstrichen, unkonventionelle Massnahmen zu ergreifen, um die Eurozone vor
Deflation zu bewahren. EZB-Präsident Mario Draghi schätzt die Situation
offenbar kritisch ein.
Es gibt aber Widersprüche: Ankäufe
von Wertpapieren würden bedeuten, dass die Notenbankgeldmenge im Euro-Raum
steigt. Fakt ist, dass die EZB seit einem Jahr dran ist, ihre Bilanz zu
verkleinern, da Draghi keine echte Deflationsgefahr erkennen kann.
Trotz einer semantischen Wende
scheint die EZB also alles in allem vorerst zuwarten zu wollen, bis die
Deflation dinghaft vorliegt, um konkret zu handeln.
Was übersehen wird, ist aber die
Tatsache, dass die EZB seit mehr als einem Jahr die gemeinsam festgelegte
Inflationsrate von 2% (inflation target)
im Euro-Raum unterläuft.
Das heisst, dass das Problem
bereits da ist. Und es ist ein ernst zu nehmendes Problem, wenn die EU sonst
nicht keine andere Massnahmen trifft, um die Wirtschaft anzukurbeln: Die
nominalen Zinsen liegen nahe null (zero
lower bound). Das heisst, dass die herkömmliche Geldpolitik an Wirksamkeit verloren hat. Und
der Einsatz einer expansiven Fiskalpolitik ist aus dogmatischen Gründen
ausgeschlossen.
Die Inflationserwartungen der
Verbraucher sind zuletzt auf das niedrigste Niveau seit 2010 gefallen. Alles
deutet darauf hin, dass die Inflationsrate in absehbarer Zeit nicht
über die 1%-Marke klettert. Die Wirtschaft steckt also längst in einer Deflationsfalle.
EZB – Bilanzsumme im Vergleich, Graph: Morgan Stanley
Wenn die Inflation fällt, steigen
die Realzinsen, was auf der bereits angeschlagenen Wirtschaft lastet: Die
reale Last der Schulden nimmt zu. Dadurch kommt die Debt-Deflation zur Entfaltung. Es reicht also, dass die Inflation niedriger ist
als erwartet, damit der negative Effekt an Intensität gewinnt.
Inflationsprognose für die
Eurozone, Graph: Morgan Stanley
Analysten von Morgan Stanley
rechnen damit, dass die Inflation in der Eurozone im August auf 0,4% fällt und
erst im kommenden Jahr wieder beginnt, etwas zu steigen.
Europas Niedriginflation oder
fallende Inflationsrate ist nicht ein Problem, weil es in Deflation münden
kann, wie Paul Krugman zum Ausdruck bringt. Es ist ein Problem, und zwar wegen der ungünstigen
Auswirkungen, die damit ausgelöst werden.
Es ist daher abwegig, auf das
Wachstum der Wirtschaft hinzuweisen. Die Wirtschaft kann auch wachsen, wenn die
Inflationsrate unter dem Zielwert liegt. Weil aber die Inflationsrate niedrig
ist, gibt es kaum Spielraum, auf negative Schocks zu reagieren. Das heisst,
dass das Verfehlen der Zielinflationsrate bereits ein Störfall ist.
Die EZB muss nicht darauf warten,
dass etwas schief geht (dass z.B. Deflation regelrecht eintritt). Es ist
bereits etwas schief gelaufen. Inflationsbekämpfung mag schmerzhaft sein. Aber
die EZB weiss zumindest, was zu tun ist, um Inflation abzuwehren.
Deflation oder Lowflation ist hingegen
sehr schwer aufzuhalten, weshalb man sich davor präventiv hüten sollte, was die
EZB aber zur Zeit versäumt.
PS: Im Übrigen unterbietet
Deutschland die Zielinflationsrate seit mehr als zehn Jahren. Und es hat durch
die Senkung der Löhne (im Vergleich zu Produktivität) eine massive reale Abwertung
bewirkt, um Überschüsse im Aussenhandel aufzutürmen.
Das ist die sog. Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Raum, die das Kernproblem darstellt. Würden
alle nun dem deutschen Beispiel folgen (über Lohnmoderation Wettbewerbsfähigkeit
zu verbessern), wäre das Ergebnis eindeutig Deflation und nicht anders als
Depression bei der Binnennachfrage.
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