Sonntag, 11. Mai 2014

Verfehlen der Zielinflationsrate im Euro-Raum als Misserfolg

Die EZB hat nun die Bereitschaft unterstrichen, unkonventionelle Massnahmen zu ergreifen, um die Eurozone vor Deflation zu bewahren. EZB-Präsident Mario Draghi schätzt die Situation offenbar kritisch ein.

Es gibt aber Widersprüche: Ankäufe von Wertpapieren würden bedeuten, dass die Notenbankgeldmenge im Euro-Raum steigt. Fakt ist, dass die EZB seit einem Jahr dran ist, ihre Bilanz zu verkleinern, da Draghi keine echte Deflationsgefahr erkennen kann.

Trotz einer semantischen Wende scheint die EZB also alles in allem vorerst zuwarten zu wollen, bis die Deflation dinghaft vorliegt, um konkret zu handeln.

Was übersehen wird, ist aber die Tatsache, dass die EZB seit mehr als einem Jahr die gemeinsam festgelegte Inflationsrate von 2% (inflation target) im Euro-Raum unterläuft.

Das heisst, dass das Problem bereits da ist. Und es ist ein ernst zu nehmendes Problem, wenn die EU sonst nicht keine andere Massnahmen trifft, um die Wirtschaft anzukurbeln: Die nominalen Zinsen liegen nahe null (zero lower bound). Das heisst, dass die herkömmliche Geldpolitik an Wirksamkeit verloren hat. Und der Einsatz einer expansiven Fiskalpolitik ist aus dogmatischen Gründen ausgeschlossen.

Die Inflationserwartungen der Verbraucher sind zuletzt auf das niedrigste Niveau seit 2010 gefallen. Alles deutet darauf hin, dass die Inflationsrate in absehbarer Zeit nicht über die 1%-Marke klettert. Die Wirtschaft steckt also längst in einer Deflationsfalle.


EZB – Bilanzsumme im Vergleich, Graph: Morgan Stanley

Wenn die Inflation fällt, steigen die Realzinsen, was auf der bereits angeschlagenen Wirtschaft lastet: Die reale Last der Schulden nimmt zu. Dadurch kommt die Debt-Deflation zur Entfaltung. Es reicht also, dass die Inflation niedriger ist als erwartet, damit der negative Effekt an Intensität gewinnt.


Inflationsprognose für die Eurozone, Graph: Morgan Stanley

Analysten von Morgan Stanley rechnen damit, dass die Inflation in der Eurozone im August auf 0,4% fällt und erst im kommenden Jahr wieder beginnt, etwas zu steigen.

Europas Niedriginflation oder fallende Inflationsrate ist nicht ein Problem, weil es in Deflation münden kann, wie Paul Krugman zum Ausdruck bringt. Es ist ein Problem, und zwar wegen der ungünstigen Auswirkungen, die damit ausgelöst werden.

Es ist daher abwegig, auf das Wachstum der Wirtschaft hinzuweisen. Die Wirtschaft kann auch wachsen, wenn die Inflationsrate unter dem Zielwert liegt. Weil aber die Inflationsrate niedrig ist, gibt es kaum Spielraum, auf negative Schocks zu reagieren. Das heisst, dass das Verfehlen der Zielinflationsrate bereits ein Störfall ist.

Die EZB muss nicht darauf warten, dass etwas schief geht (dass z.B. Deflation regelrecht eintritt). Es ist bereits etwas schief gelaufen. Inflationsbekämpfung mag schmerzhaft sein. Aber die EZB weiss zumindest, was zu tun ist, um Inflation abzuwehren.

Deflation oder Lowflation ist hingegen sehr schwer aufzuhalten, weshalb man sich davor präventiv hüten sollte, was die EZB aber zur Zeit versäumt.


PS: Im Übrigen unterbietet Deutschland die Zielinflationsrate seit mehr als zehn Jahren. Und es hat durch die Senkung der Löhne (im Vergleich zu Produktivität) eine massive reale Abwertung bewirkt, um Überschüsse im Aussenhandel aufzutürmen.

Das ist die sog. Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Raum, die das Kernproblem darstellt. Würden alle nun dem deutschen Beispiel folgen (über Lohnmoderation Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern), wäre das Ergebnis eindeutig Deflation und nicht anders als Depression bei der Binnennachfrage.



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