Die Hauspreise sind in den USA während der Great Recession um 5'000 Mrd. USD
gesunken. Das ist ein enormer Betrag, wenn man v.a. die Grössenordnung der
US-Wirtschaft in Vergleich setzt: 14‘000 Mrd. USD.
Angesichts des massiven Einschlags ist es
offensichtlich, dass der Vermögenswert (net
worth) der Hausbesitzer unter die Räder gekommen sein muss. Interessant
wäre es aber, herauszufinden, wie die Verteilung dieses Verlustes aussieht. Wie
stark sind z.B. die Kreditnehmer betroffen worden?
Atif
Mian und Amir Sufi befassen sich
in ihrem gemeinsam vorgelegten lesenswerten neuen Buch („House of Debt“)
u.a. auch mit dieser Frage.
Der Nettowert eines privaten Haushaltes besteht i.d.R.
aus zwei Arten von Anlageklassen (assets):
(1) Finanzanlagen (financial assets)
und (2) Wohnungsbauvermögen (housing
assets).
Die Finanzanlagen umfassen Aktien, Anleihen,
Bankeinlagen usw. Der Nettowert ist dann als „Finanzanlagen plus housing assets
minus Schulden“ definiert. Hypotheken (mortgage)
und Eigenkapital-Anteil für den Hauskauf (home-equity
debt) machen weitgehend die wichtigsten Komponente der Haushaltsschulden aus:
Der Wert belief sich z.B. für die USA im Jahr 2006 auf ca. 80%.
2007 gab es dramatische Unterschiede unter
amerikanischen Haushalten, was den Nettowert und den Fremdkapital-Einsatz (leverage) betrifft, wie die Autoren
hervorheben.
Eigenheimbesitzer in den USA: Anteil der gesamten Finanzanlagen gemessen
an 5 Quintiles, Graph: Atif Mian und
Amir Sufi in: House of Debt
Hausbesitzer im unteren Bereich der
Nettowert-Verteilung (Bottom 20%)
waren besonders hoch verschuldet. Die Verschuldungsquote (leverage ratio, d.h. debt to
total assets) der ärmsten Hauseigentümer betrug 80 Prozent. Das heisst,
dass rund 4 USD aus jedem 5 USD Nettowert in Eigenheimkapital (home equity) steckte. Die Bottom 20%
hatte m.a.W. kaum Finanzanlagen, sondern nur home equity.
Die Nettowert-Verteilung im oberen Bereich (Top 20%) wies hingegen einen
Verschuldungsgrad (leverage ratio)
von lediglich 7 Prozent auf.
Die Abbildung zeigt den Anteil der gesamten
Finanzanlagen in jeweils 5 Quintils
auf: Je mehr man rechts in der Abbildung geht, desto kleiner wird der
Verschuldungsgrad. Und der Vermögenswert wird umso höher. Kein Wunder: Die
Schulden des armen Mannes sind das Vermögen des reichen Mannes. Es wird damit
deutlich, dass der Einsatz des Fremdkapitals und die Vermögensungleichheit eng miteinander
verbunden sind.
Es ist nichts Unheimliches dabei, wenn die Reichen die
Armen finanzieren, unterstreichen die Autoren. Das Entscheidende ist jedoch,
sich zu vergegenwärtigen, dass die Kreditvergabe in Form von Schuldenfinanzierung (debt financing) erfolgt: Wenn die
Reichen die Aktien und die Anleihen einer Bank besitzen, besitzen sie im
Gegenzug auch die Hypotheken, die die Bank vergeben hat. Und die Zinszahlungen
von Hauseigentümern darauf fliessen durch das Finanzsystem wiederum zu den
Reichen.
Die ärmsten Eigenheimbesitzer waren höchst verschuldet
und am höchsten den Risiken des Hausmarktes ausgesetzt. Da das Vermögen der
ärmsten Hausbesitzer ausschliesslich von dem Eigenheimkapital abhing, hat der
Zusammensturz des Immobilienmarktes sie am stärksten betroffen.
Der hohe Fremdkapitaleinsatz hat die Last der Verschuldung
verstärkt. Die Verstärkung nennt sich der leverage
multiplier. Der Verschuldungsmultiplikator
beschreibt, wie ein Rückgang der Hauspreise zu einem grösseren Rückgang des
Nettowertes eines privaten Haushaltes (mit der Hebelwirkung der
Finanzierungskosten des Fremdkapitals) führen kann.
Ein Beispiel:
Das Haus hat einen Wert von 100‘000 USD. Der
Hypothekarkredit beträgt 80‘000 USD. Und das Eigenheimkapital beläuft sich auf
20‘000 USD.
Was passiert nun mit dem Eigenheimkapital des
Hauseigentümers, wenn die Hauspreise um 20% fallen?
Die Hypothek bleibt mit 80‘000 USD unverändert. Das
Eigenheimkapital des Eigentümers wird aber damit völlig ausgewischt. Das bedeutet
ein Verlust um 100%! Der Multiplikator beträgt damit 5.
Die Hauspreise sind in den USA zwischen 2006 und 2009 um 30% gesunken. Nun kann man sich
vorstellen, wie schwer die US-Wirtschaft heute angeschlagen ist, v.a. wenn man
bedenkt, dass der Faktor um den Multiplikator-Effekt oft übersehen wird, wenn
man „nur“ von einem Rückgang der Preise um 30% redet.
Der dramatische Absturz der Preise hat die ohnehin
grosse Lücke zwischen den Reichen und den Armen in den USA deshalb weiter
vergrössert.
Es ist richtig, dass die Armen zu Beginn der Krise arm
waren. Aber sie haben jetzt alles verloren, weil die Verschuldung den gesamten
Hauspreis-Absturz genau auf ihren Nettowert ausgerichtet hat. Das ist die
grundsätzliche Eigenschaft von Schulden: Das Aufladen von enormen Verlusten
ausgerechnet auf die Haushalte, die das Mindeste haben.
Parallelen lassen sich heute auch in Bezug auf die
Europäische Währungsunion (EWU)
ziehen: Die Schuldner-Länder werden gezwungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit über
Lohnsenkungen zu verbessern. Die sinnlose Austeritätspolitik und die gefährliche
Haushaltskonsolidierung machen damit den Weg in die Deflation unumgänglich, mit
hohen sozialen Kosten für Menschen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen