Montag, 5. Mai 2014

Grosse Rezession: Schulden und Vermögensungleichheit

Die Hauspreise sind in den USA während der Great Recession um 5'000 Mrd. USD gesunken. Das ist ein enormer Betrag, wenn man v.a. die Grössenordnung der US-Wirtschaft in Vergleich setzt: 14‘000 Mrd. USD.

Angesichts des massiven Einschlags ist es offensichtlich, dass der Vermögenswert (net worth) der Hausbesitzer unter die Räder gekommen sein muss. Interessant wäre es aber, herauszufinden, wie die Verteilung dieses Verlustes aussieht. Wie stark sind z.B. die Kreditnehmer betroffen worden?

Atif Mian und Amir Sufi befassen sich in ihrem gemeinsam vorgelegten lesenswerten neuen Buch („House of Debt“) u.a. auch mit dieser Frage.

Der Nettowert eines privaten Haushaltes besteht i.d.R. aus zwei Arten von Anlageklassen (assets): (1) Finanzanlagen (financial assets) und (2) Wohnungsbauvermögen (housing assets).

Die Finanzanlagen umfassen Aktien, Anleihen, Bankeinlagen usw. Der Nettowert ist dann als „Finanzanlagen plus housing assets minus Schulden“ definiert. Hypotheken (mortgage) und Eigenkapital-Anteil für den Hauskauf (home-equity debt) machen weitgehend die wichtigsten Komponente der Haushaltsschulden aus: Der Wert belief sich z.B. für die USA im Jahr 2006 auf ca. 80%.

2007 gab es dramatische Unterschiede unter amerikanischen Haushalten, was den Nettowert und den Fremdkapital-Einsatz (leverage) betrifft, wie die Autoren hervorheben.


Eigenheimbesitzer in den USA: Anteil der gesamten Finanzanlagen gemessen an 5 Quintiles, Graph: Atif Mian und Amir Sufi in: House of Debt


Hausbesitzer im unteren Bereich der Nettowert-Verteilung (Bottom 20%) waren besonders hoch verschuldet. Die Verschuldungsquote (leverage ratio, d.h. debt to total assets) der ärmsten Hauseigentümer betrug 80 Prozent. Das heisst, dass rund 4 USD aus jedem 5 USD Nettowert in Eigenheimkapital (home equity) steckte. Die Bottom 20% hatte m.a.W. kaum Finanzanlagen, sondern nur home equity.

Die Nettowert-Verteilung im oberen Bereich (Top 20%) wies hingegen einen Verschuldungsgrad (leverage ratio) von lediglich 7 Prozent auf.

Die Abbildung zeigt den Anteil der gesamten Finanzanlagen in jeweils 5 Quintils auf: Je mehr man rechts in der Abbildung geht, desto kleiner wird der Verschuldungsgrad. Und der Vermögenswert wird umso höher. Kein Wunder: Die Schulden des armen Mannes sind das Vermögen des reichen Mannes. Es wird damit deutlich, dass der Einsatz des Fremdkapitals und die Vermögensungleichheit eng miteinander verbunden sind.

Es ist nichts Unheimliches dabei, wenn die Reichen die Armen finanzieren, unterstreichen die Autoren. Das Entscheidende ist jedoch, sich zu vergegenwärtigen, dass die Kreditvergabe in Form von Schuldenfinanzierung (debt financing) erfolgt: Wenn die Reichen die Aktien und die Anleihen einer Bank besitzen, besitzen sie im Gegenzug auch die Hypotheken, die die Bank vergeben hat. Und die Zinszahlungen von Hauseigentümern darauf fliessen durch das Finanzsystem wiederum zu den Reichen.

Die ärmsten Eigenheimbesitzer waren höchst verschuldet und am höchsten den Risiken des Hausmarktes ausgesetzt. Da das Vermögen der ärmsten Hausbesitzer ausschliesslich von dem Eigenheimkapital abhing, hat der Zusammensturz des Immobilienmarktes sie am stärksten betroffen.

Der hohe Fremdkapitaleinsatz hat die Last der Verschuldung verstärkt. Die Verstärkung nennt sich der leverage multiplier. Der Verschuldungsmultiplikator beschreibt, wie ein Rückgang der Hauspreise zu einem grösseren Rückgang des Nettowertes eines privaten Haushaltes (mit der Hebelwirkung der Finanzierungskosten des Fremdkapitals) führen kann.

Ein Beispiel:

Das Haus hat einen Wert von 100‘000 USD. Der Hypothekarkredit beträgt 80‘000 USD. Und das Eigenheimkapital beläuft sich auf 20‘000 USD.

Was passiert nun mit dem Eigenheimkapital des Hauseigentümers, wenn die Hauspreise um 20% fallen?

Die Hypothek bleibt mit 80‘000 USD unverändert. Das Eigenheimkapital des Eigentümers wird aber damit völlig ausgewischt. Das bedeutet ein Verlust um 100%! Der Multiplikator beträgt damit 5.

Die Hauspreise sind in den USA zwischen 2006 und 2009 um 30% gesunken. Nun kann man sich vorstellen, wie schwer die US-Wirtschaft heute angeschlagen ist, v.a. wenn man bedenkt, dass der Faktor um den Multiplikator-Effekt oft übersehen wird, wenn man „nur“ von einem Rückgang der Preise um 30% redet.

Der dramatische Absturz der Preise hat die ohnehin grosse Lücke zwischen den Reichen und den Armen in den USA deshalb weiter vergrössert.

Es ist richtig, dass die Armen zu Beginn der Krise arm waren. Aber sie haben jetzt alles verloren, weil die Verschuldung den gesamten Hauspreis-Absturz genau auf ihren Nettowert ausgerichtet hat. Das ist die grundsätzliche Eigenschaft von Schulden: Das Aufladen von enormen Verlusten ausgerechnet auf die Haushalte, die das Mindeste haben.

Parallelen lassen sich heute auch in Bezug auf die Europäische Währungsunion (EWU) ziehen: Die Schuldner-Länder werden gezwungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit über Lohnsenkungen zu verbessern. Die sinnlose Austeritätspolitik und die gefährliche Haushaltskonsolidierung machen damit den Weg in die Deflation unumgänglich, mit hohen sozialen Kosten für Menschen.

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