Mittwoch, 31. Dezember 2008

DAX: Jahresperformance Minus 41 Prozent

Die deutsche Börse hat 2008 einen Rekordverlust verbucht. Der DAX hat 41,61% an Wert verloren. Damit markiert der Leitindex der grössten deutschen Unternehmen das zweitschlechteste Jahr in seiner Geschichte. Nur 2002 hatte der DAX mit 44% mehr Wert eingebüsst. Es gibt jedoch einen Gewinner. Einzig die VW-Aktie hat gegenüber dem Jahresbeginn zugelegt: +60%.


DAX 1 Jahr Performance, Graph: deutscheboerse.com

Der DAX startete ins Jahr mit 8'067 Punkten und stürzte Mitte Oktober auf 4'010 Punkte ab, um zum Ende Dezember auf 4'810 Punkten zu schliessen. Auch der MDAX, das Kursbarometer für Nebenwerte beendete das schlimmste Aktienjahr mit einer Performance von Minus 43,21%. Noch nie zuvor war der Ausblick auf das nächste Börsenjahr so bange wie jetzt.


MDAX 1 Jahr Performance, Graph: deutscheboerse.com

Es kommt nun darauf an, eine ausgewogene Balance zwischen Mut und Vorsicht zu finden sowie die Eigenschaft, sich selbst und seine Strategie in Frage zu stellen und immer wieder einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Es gilt aber als sicher, dass man sich heute auf die Korrelationen in der Vergangenheit nicht mehr verlassen kann. Diese ändern sich. Die Annahme, dass Risiken verschiedener Anlagekategorien voneinander unabhängig sind, ist nicht haltbar.

Dienstag, 30. Dezember 2008

Nikkei-Index: Jahresperformance Minus 42 Prozent

Der Nikkei-Index hat 2008 mit Minus 42,12% den höchsten Verlust in seiner Geschichte verbucht. Der Dezember war immerhin seit Mai der erste Monat mit einer positiven Wertentwicklung (+4%). Die japanischen Staatsanleihen hingegen schliessen das Jahr mit der besten Performance seit 2002. Die Rendite der 10-jährigen Benchmark-Anleihe fiel um 3,5 Basispunkte auf 1,165% zurück.


Nikkei Index, Graph: wsj.com

Japan hat bekanntlich von 1999 bis 2005 eine schwere Deflation durchgemacht. Die Gefahr, dass es wieder eine langwierige Periode vom Rückgang des allgemeinen Preisniveaus erlebt, ist zur Zeit nicht von der Hand zu weisen. Die Wirtschaft dürfte im IV. Quartal auf Jahresbasis um 12,1% einbrechen, berichtet Bloomberg. Das wäre der kräftigste Wachstumsrückgang seit 1974. Die Industrieproduktion (-8,1%) und die Ausfuhren (-26,7%) vermeldeten vergangene Woche rekordhohe Verluste. Insbesondere die Nachfrage aus dem Ausland ist schlagartig entschwunden.


Yen Wechselkurs

Sollte sich die Rezession vertiefen, dürfte die Deflation zurückkehren. Hinter den Faktoren, welche die Deflation antreiben, stehen laut RGE Monitor: 1) Yen-Aufwertung. 2) Fallende Rohstoffpreise. 3) Die Rezession. 4) Das angeschlagene Exportgeschäft wegen der weltweiten Konjunkturabkühlung und 5) Die schleppende Lohnentwicklung.

Montag, 29. Dezember 2008

Euro-Anleihenmarkt: Die EZB ist hinter der Kurve

Die US-Notenbank (Fed) hat 2008 ihren Leitzins (Fed Funds Rate) um insgesamt 4,25% auf 0 bis 0,25% gesenkt. Auch die Bank of England (BoE) hat kräftig reagiert und den Tagesgeldsatz um 3,5% auf 2,0% gedrückt. Nur die Europäische Zentralbank (EZB) hat von Anfang an gezögert. Die europäischen Währungshüter haben sogar ihren Leitzins im Sommer um 0,25% auf 4,25% angehoben. Erst nach der dramatischen Zuspitzung der Kapitalmarktkrise entschloss sich die EZB, ihre Leitzinsen zu senken: um 1,75% auf 2,50%. Die EZB ist also deutlich hinter der Kurve.


Zinssenkungen 2008; Graph: acemaxx-analytics

Die German Bunds haben es dieses Jahr auf einen Ertrag von insgesamt 12,1% gebracht. Das ist die beste Performance auf dem Euro-Anleihenmarkt seit 1995 (+16%). Die Wertentwicklung der US-Treasuries mit 14,6% übertrifft jedoch die der Bundesanleihen. Die entscheidende Frage ist nun, ob die EZB sich 2009 vehement dagegen stemmen wird, die Geldpolitik weiter zu lockern, oder ob sie doch noch kräftig mitziehen muss wie die Fed und die BoE. Denn es hängt davon ab, ob es sich lohnt, im kommenden Jahr auf die Euro-Anleihen zu wetten.


10-Y US-Treasury Rendite, Graph: bloomberg.com

In einem Vortrag am 16. Dezember hatte EZB-Chef Jean-Claude Trichet gesagt, dass weitere Zinssenkungen durch die EZB missraten dürften, die Wirtschaft anzukurbeln, da die Banken sich weigern, aneinander Kredit zu vergeben. Der Anleihemarkt wird auf alle Fälle im Mittelpunkt des Geschehens im Anlagejahr 2009 stehen. Deutschland plant, im kommenden Jahr laut Bloomberg Anleihen in einer Rekordsumme von 323 Mrd. Euro zu begeben.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Anlagejahr 2009: Ausblick - Chancen und Risiken

Es deuten sich derzeit keine Anzeichen für eine Erholung der Konjunktur. Ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht. Das Anlagejahr 2009 wird auf der Schattenseite der Wirtschaft aus Rezession, Deflation und Firmenpleiten stehen.


S&P-500 Index, Graph: Fed St. Louis

1) Rezession:

Die Rezession hat in den USA offiziell im Dezember 2007 begonnen (Im Vergleich: In Europa Ende des II. Quartals 2008). Seit Jahresbeginn hat die US-Wirtschaft 2,7 Mio. Jobs verloren. Die Arbeitslosigkeit ist zuletzt von 6,5% auf 6,7% gestiegen. Der Zahlenwert zeigt, dass sich der Abschwung weiter vertieft. Die Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Wenn die Gewinne der Unternehmen zurückgehen, können die Aktienpreise nicht steigen.

2) Deflation:

Deflation ist das Gegenstück zu Inflation und bedeutet ein allgemeiner Rückgang des Preisniveaus. Schuldner sind die Verlierer in der Deflation. Gläubiger sind die Gewinner. Deflation bedeutet, dass das Angebot die Nachfrage übertrifft. Da der Realwert der nominellen Schulden steigt, führt die Deflation zu einer Verschlechterung der Kapitalbasis. Und die Sachwerte erleiden Wertverluste. Unternehmen investieren nicht. Verbraucher halten sich mit Ausgaben zurück.

Therapie: Ausweitung der Geldversorgung. Deshalb flutet die Fed die Wirtschaft mit Liquidität (Die Politik des „quantitative easing“). Die Fed lockert die Geldpolitik nicht mehr über die Zinssenkungen, sondern nur noch „mengenmässig“ (d.h. quantitativ), indem sie beispielsweise Anleihen der grössten US-Hypothekenbanken Fannie Mae, Freddie Mac und Federal Home Loan im grossen Stil am offenen Markt ankauft.

Zur Zeit besteht aber auch die Gefahr einer schweren Debt-Deflation. Denn die zwei Voraussetzungen dafür sind erfüllt: 1) Hohe Verschuldung (bzw. Überschuldung) der Unternehmen und der Haushalte und 2) Sinkende Preise von Waren und DL. Deshalb sind reflatorische Massnahmen notwendig, um den Produktionsrückgang zu stoppen. Ansonsten drohen Vermögensverluste. Aus dieser Konstruktion ergeben sich folgende Auswirkungen auf die Zinsen: nominal fallen sie, real aber steigen sie, da Inflation im Minus-Bereich verläuft. Die Folge: Reale Schulden steigen. Der Ausweg: Entweder Konkurse und Zusammenbruch der Wirtschaft zulassen, oder eine Reflationspolitik an den Tag legen. Heute setzt die Politik auf die Reflation.

3) Insolvenz:

Die fatale Kombination aus Rezession und Deflation treibt aber Unternehmen in die Insolvenz. Die Unternehmen haben einen gewaltigen Refinanzierungsbedarf. Die Banken sind extrem restriktiv mit der Kreditvergabe. Die Ratingagenturen rechnen mit einer Verdreifachung der Ausfallraten im Bereich der spekulativen Anleihen innerhalb der kommenden 12 Monate. Die Ausfallrate dürfte von derzeit 2,8% auf 4,3% zum Jahresende steigen, erwartet Moody’s. Die Spreads zwischen den junk-rated Anleihen und US-Treasuries impliziert heute ein Ausfallrisiko von 21% für die USA. Die Quote liegt höher als während der Zeit der Grossen Depression (1929-30).

Rückschluss:

Vor fast 20 Jahren war Japan in eine schwere Finanzkrise geraten. Im Januar 1990 platzte eine riesige Spekulationsblase am japanischen Immobilienmarkt. Die japanische Erfahrung lehrt, dass die Deflation den Aktienmarkt nicht davor abgehalten hat, einmal im Jahr eine Rally von 20% zu fahren. Besonders die Aktien von weniger konjunkturabhängigen Unternehmen mit guter Bilanzqualität und hohen Free-Cashflows haben damals von Anlegerinteresse profitiert, zum Beispiel Unternehmen mit Preissetzungsmacht wie die Versorger. Die Small Caps hatten es jedoch sehr schwer, sich über Wasser zu halten. Die zinssensitiven Aktien wie die von Banken und Versicherungen kamen nicht vom Fleck. Aber auch die Baubranche, die auf Bankkredite angewiesen ist, hat während Japans Deflationsperiode unterdurchschnittlich abgeschnitten.

Fazit:

Die Aktien aus den Sektoren 1) Banken und 2) Versicherungen sind auf alle Fälle zu meiden. Der Auto-Sektor darbt bereits seit mehr als zehn Jahren. Die Zukunft der Autoindustrie ist daher mit grossem Fragezeichen versehen. Da insbesondere die amerikanische Administration und aber auch die europäischen Regierungen Milliarden in die Infrastruktur (Aufbau und Erhalt) investieren werden, um die Wirtschaft anzukurbeln, dürften sich hier für Investoren an der Börse mittel- bis langfristig Chancen ergeben.

Die Performance der Aktienmärkte hängt davon ab, wie schnell sich die Kreditmärkte auftauen lassen. Die als verlässliche Indikatoren für das Risikomass am Interbankenmarkt geltende Spreads wie TED-Spread: 1,4776% (Jahreshoch: 4,64% im Okt.), im lfr. Durchschnitt (5 J): 0,31% und LIBOR-OIS-Spread: 1,2445% (Jahreshoch: 3,640% im Okt.), im lfr. Durchschnitt (5 J): 0,11% notieren nach wie vor von der Normalisierung weit entfernt.

Die Bewertungen erscheinen günstig. Viel wichtiger sind aber: Konjunktur, Gewinn, Gewinnentwicklung, Liquidität, technische Konstruktion des Marktes.

Schlussfolgerung:

Das Ziel muss sein, das Portfolio so zusammenzustellen, dass es nicht an einem einzigen Tag seinen gesamten Wert verlieren kann. Voraussetzung dafür ist, nur Risiken einzugehen, die man versteht. Es gibt m.a.W. keinen Grund zum Überoptimieren.

Freitag, 26. Dezember 2008

Quantitative Easing (QE): Ein Vergleich -
Japan vs. USA

Marktbeobachter fragen sich zur Zeit, ob und wenn ja, welche Lehren die US-Notenbank (Fed) aus den japanischen Erfahrungen der 1990er Jahre gezogen hat? Vor rund 20 Jahren war Japan in eine schwere Finanzkrise mit Deflation geraten. Japans Zentralbank (BoJ) hatte die Wirtschaft mit Liquidität geflutet. Im Januar 1990 war eine riesige Spekulationsblase am japanischen Immobilienmarkt geplatzt. Dann stürzte der Aktienmarkt ab.

Monetary Base, Graph: Fed St. Louis

Die BoJ hat aber erst im März 2001 angefangen, das Bankensystem mit Liquidität zu versorgen. Die US-Notenbank (Fed) hat hingegen sofort mit der Politik des „Quantitative Easing“ (QE) reagiert. Die amerikanischen Währungshüter intervenierten gezielt im Markt für verbriefte Wertpapiere, um die Konditionen am Immobilienmarkt zu lockern. Die US-QE war auch was das Ausmass betrifft, grösser als die japanische. Ein näherer Vergleich zeigt, dass die amerikanische Geldbasis („monetary base“) während der ersten vier Monaten um 97,2% gewachsen ist. In Japan stieg die Geldbasis in der Vergleichsperiode moderat um 6,7% an, wie FT Alphaville berichtet. Tatsächlich legte die japanische Geldbasis 12 Monate nach dem Start der QE-Politik der BoJ lediglich um 32,5% zu. Die astronomische Zunahme der Geldbasis ist der qualitative Unterschied zwischen der QE-Politik der USA und Japans. Die BoJ setzte darauf, zunächst mit staatlichen Ausgabeprogrammen die überschuldeten Unternehmen zu retten, erklärt FT Deutschland. Die Fed hat hingegen von Anfang an eine aggressive Geldpolitik verfolgt.


FFR, Graph: Fed St. Louis

Dienstag, 23. Dezember 2008

Qualitative Easing: Definition

Aufgrund der zunehmenden Gefahr dauerhaft sinkender Preise (Deflation) ist die US-Notenbank bekanntlich kürzlich zur Politik des Quantitative Easing übergegangen. Das bedeutet, dass die Fed die Liquidität in der Wirtschaft systematisch erhöhen will. Dafür kauft sie am offenen Markt im grossen Stil Anleihen mit langer Laufzeit.

Ein signifikanter Wandel in der Zusammensetzung der Vermögenswerte (assets) auf der Bilanz einer Notenbank, in Richtung weniger liquider und riskanter Vermögensposten wird hingegen als Qualitative Easing genannt.


Effective FFR, Graph: Fed

Die US-Notenbank (Fed) macht bisher keinen Hehl daraus, die Zinsen am langfristigen Ende tiefer zu drücken. Der Fed-Chef Ben Bernanke will aber auf alle Fälle die Spreads zwischen den offiziellen Zinssätzen (Fed Funds Rate) und den die für Kreditvergabe und- nahme verringern, indem er die Fed veranlasst, vermehrt Wertschriften privater Natur anzukaufen, wie Professor Willem Buiter neulich in seinem Weblog zum Ausdruck gebracht hat. Das heisst, dass die US-Notenbank die Bandbreite von Wertschriften, die sie als Kollateral für Repos, Discount-Fenster und die steigende Anzahl ihrer speziellen Fazilitäten akzeptiert, erweitert. Das ist „Qualitative Easing“.

Montag, 22. Dezember 2008

TED-Spread: Licht am Ende des Geldmarkt-Tunnels?

Der TED-Spread ist erstmals seit der Lehman-Pleite unter die Marke von 1,50% gesunken. Der TED-Spread ist die Differenz zwischen dem 3-Monats-Libor und der Rendite der 3-Monats-US-Schatzwechsel und gilt als verlässlicher Indikator für das Risikomass am Interbankenmarkt. Nachdem der 3-Monats-Libor heute um 0,03% auf 1,47% gefallen ist, fiel der Aufschlag für unbesicherte Kredite auf 1,4754% zurück. Das markiert den tiefsten Wert seit dem 12. September.


TED-Spread, Graph: bloomberg.com

Auch der Libor-OIS-Spread, der das Stressausmass am Geldmarkt im Hinblick auf die kurzfristige Liquidität anzeigt, bildete sich zurück. Der Aufschlag für besicherte Kredite ist auf 1,2622% gesunken. Der Libor-OIS-Spread ist die Differenz zwischen dem 3- Monats Libor und dem OIS-Satz (Overnight Indexed Swap Rate) und gilt weltweit als den wichtigsten Geldmarktsatz, wonach sich jeder Zinsswap und jede Anleihenemission richtet. LIBOR bedeutet London Interbank Offered Rate und gilt als Benchmark für Finanzprodukte weltweit im Wert von 360 Billionen Dollar.

Die US-Notenbank (Fed) pumpt zusätzliche Liquidität in das Finanzsystem, um die eingefrorenen Kreditmärkte aufzutauen. Trotz niedriger Zinsen horten die Geschäftsbanken Cash und misstrauen sich im Kreditgeschäft. Die Überschussreserven bei der Fed legen inzwischen massiv zu. Per 17. Dezember hatten die Banken laut Tony Crescenzi von Miller Tabak Überschussreserven eines gigantischen Ausmasses von 774 Mrd. Dollar angehäuft. Laut Crescenzi sei der Kassenhaltungsbestand der Geschäftsbanken erstmals auf ein Volumen von 1'000 Mrd. Dollar angewachsen. Im Vergleich: Vor der Lehman-Pleite sei es um eine Grössenordnung von rund 300 Mrd. Dollar gegangen. Die Fed versucht, die Geschäftsbanken zur Wiederaufnahme des Kredithandels zu animieren, indem sie aufzeigt, dass die Kosten des Haltens von Geld und geldnahen Mitteln höher liegen als die Null-Zinsen. Die Fed kauft deshalb im offenen Markt Wertschriften wie Treasuries, Agency Bonds und staatlich geförderte MBS an und drückt die Renditen auf die Null-Linie. Das sind alles Investments, wo die Geschäftsbanken zur Zeit ihre Barbestände parken, um nicht Kredit vergeben zu müssen. Diese Anlagen gelten als sehr sicher. Die Grenzkosten der Kassenhaltung sind aber tatsächlich höher. Da dazu die Betriebskosten, FDIC-Versicherung und regulatorische Compliance-Kosten usw. kommen, wie Mark Sunshine neulich in einem Beitrag in Seeking Alpha erklärt hat. Die Strategie der Fed zielt darauf ab, dass die Banken endlich zum Kreditgeschäft übergehen, um endlich wieder mehr Erträge zu holen, anstatt Barmittel zu halten, die nichts als Kosten bringen.

China: Zinssenkung zum 5. Mal binnen 3 Monaten

China hat heute zum fünften Mal binnen drei Monaten den Leitzins gesenkt, um die 4. grösste Wirtschaft der Welt anzukurbeln. Die Zentralbank in Peking reduzierte zugleich auch die Reserveanforderungen für Banken. Aufgrund der schweren Rezession in den USA, Euroland und Japan kommt Chinas Wirtschaft deutlich ins Wanken.





ChinaZinssätze
Einlagen (1 year borrowing rate)2,25%
Ausleihungen (1 year lending rate)5,31%
Mindestreservesatz15,50%


1 $= 6,8510 Yuan

Der Satz für Ausleihungen (1 year lending rate) wurde um 27 Basispunkte auf 5,31% gelockert. Auch der Satz für Einlagen (1 year borrowing rate) wurde um denselben Prozentsatz auf 2,25% zurückgenommen. Der Mindestreservesatz wurde von bisher 16% auf 15,5% gesenkt.

Die Ausfuhren sind erstmals seit 7 Jahren im vergangenen Monat gesunken. Auch die Einfuhren sind eingebrochen. Für das kommende Jahr rechnen Experten mit einem Wirtschaftswachstum von nur noch 5 Prozent, nachdem die Wirtschaft 5 Jahre in Folge mit zweistelligen Wachstumsraten zugelegt hatte. Der Abschwung droht laut Bloomberg soziale Unruhen auszulösen, da Betriebe schliessen und die Arbeitslosigkeit steigt. Die chinesische Führung will sich mit einem 4 Billionen Yuan (584 Mrd. Dollar) schweren Konjunkturpaket dagegen wehren.


Shanghai Composit, Graph: finance.yahoo.com

Finanzsektor: Ausblick 2009

Die Ratingagentur S&P hat am Freitag die Bonitätsnoten von 11 europäischen und amerikanischen Banken gesenkt. Hintergrund ist laut S&P die drohende Gefahr, dass der gegenwärtige Abschwung sich verlängert und vertieft.

Die Banken dürften sich 2009 in erster Linie in der Tat mit der Sanierung ihrer Bilanzen (d.h. Schuldenabbau) beschäftigen. Die Versorgung der Wirtschaft ist für sie sekundär. Denn mit der weltweiten Verschlechterung der Konjunktur werden die Kreditrisiken bei den Banken deutlich steigen. Die Banken müssen ihre Rückstellungen für Kreditrisiken erheblich erhöhen. Dieselbe Aussage gilt mehr oder weniger auch für die Versicherungen.


NYSE Financial Index, Graph: wsj.com

Der Finanzsektor macht in den USA 8% des Bruttoinlandsproduktes aus. In früheren Zeiten belief sich der Anteil auf rund 5%. Die Differenz von 3% entspricht rund 400 Mrd. Dollar und repräsentiert nach Einschätzung von Paul Krugman money for nothing“, das heisst die Gelder, die inzwischen in Verschwendung, Betrug und Missbrauch durch die Lappen gegangen sind. Tatsächlich beträgt die Summe, die im Zuge der anrollenden Finanzkrise von den Finanzinstituten abgeschrieben wurde, aktuell etwas mehr als 500 Mrd. Dollar.

Die Finanzbranche machte Ende der 1990er Jahre 15% der US-Börsenkapitalisierung aus. Mit 23% erreichte sie im Jahre 2006 ihren Höhepunkt. Der Bankensektor macht zwar 40% aller Gewinne an der Wall Street aus, aber er ist nur 8% der Wirtschaftsleistung verantwortlich.

Fazit: Die Aktien aus dem Banken- und Versicherungssektor sind 2009 auf alle Fälle zu meiden. Andererseits wird sich der Aktienmarkt nicht nachhalting erholen können, bevor der Bereinigungsprozess im Bankensektor abgeschlossen ist.

Sonntag, 21. Dezember 2008

Geldmarkt: Spreads entspannen sich wegen Null Prozent Leitzinsen

TED-Spread: 1,5066%,
(Jahreshoch: 4,64% im Okt.),
Im lfr. Durchschnitt (5 J): 0,31%.

LIBOR-OIS-Spread: 1,2915%,
(Jahreshoch: 3,640% im Okt.),
Im lfr. Durchschnitt (5 J): 0,11%.

Der TED-Spread (Spread für unbesicherte Kredite) hat sich im Vergleich zur vergangenen Woche um ca. 20% entspannt. Der Libor-OIS-Spread (Spread für besicherte Kredite) ist um ca. 32% geschrumpft. Beide Aufschläge verharren dennoch nach wie vor auf hohem Niveau und sind von der Normalisierung weit entfernt.


TED-Spread, Graph: bloomberg.com


Die Kosten für die Absicherung von Kreditrisiken für europäische Unternehmen sind zum Wochenschluss wieder etwas gestiegen, nachdem sie sich im Verlauf der Woche etwas zurückgebildet hatten.

Markit iTraxx Crossover Index 50: Der Index (für Unternehmen mit geringer Bonität, d.h. high-risk, high-yield credit rating) legte zum Wochenschluss um 20 Basispunkte auf 1'060 Basispunkte* zu.

* Das heisst, dass Investoren 10,60% der Summe, die sie absichern wollen, als Versicherungssumme für eine Anleihe im Wert von 10 Mio. Euro für fünf Jahre zahlen müssen.

Markit iTraxx Europe Index 125: Der Index, der 125 europäische Unternehmen mit Anlagequalität (investment-grade) erfasst, legte um 9,5 Basispunkte auf 191 Basispunkte zu.

Die Credit Default Swaps (CDS) auf den Markit iTraxx Financial Index, der 25 europäische Banken und Versicherungen erfasst, legten um 7 Basispunkte auf 127 Basispunkte zu. Grund: Die Ratingagentur S&P hat den Bonitätsausblick für 12 Finanzinstitute herabgesetzt.

Die A2/P2-Spreads, d.h. die Aufschläge zwischen non-financial Commercial Paper (30 Tage) niedriger und hoher Qualität (Rating), nahm etwas ab und schloss die Woche mit 469 Basispunkten.


A2/P2-Spread, Graph: Fed

Der Markt für Commercial Papers (CP, Geldmarktpapiere mit Laufzeiten von bis zu zwei Jahren) zeigt die 8. Woche in Folge dank Hilfspakete (CPFF, AMLF und MMIFF-Programms) der US-Notenbank (Fed) erhöhte Kreditnahme der Unternehmen. Das Marktvolumen (CP outstanding) stieg seit dem Tiefstpunkt am 20. Oktober laut Morgan Stanley um 17% auf 1'7087 Mrd. Dollar. Kreditgeber und –nehmer versuchen, kurz vor Jahresende dem Refinanzierungsbedarf aus dem Weg zu gehen.

Samstag, 20. Dezember 2008

US-Treasury Market: Money for nothing – Bills for free

Die US-Notenbank (Fed) senkte ihren Leitzins auf ein historisches Tief. Seit dem Dienstag gilt für die Fed Funds Rate ein Zielband von Null bis 0,25%. Als Folge klettern die Kurse der US-Treasuries weiter. Die Flucht in die Sicherheit hält also trotz des Null-Punkts am Anleihenmarkt an. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen ist auf 2,12% zurückgefallen. Mit 2,0352% sah die 10-jährige Anleihe sogar den niedrigsten Wert seit 1953 im Verlauf dieser Woche. Auch die Rendite der 30-jährigen Treasuries ist mit 2,55% auf das tiefste Niveau seit 1977 gesunken. Mittlerweile stellt sich die Frage, ob die amerikanischen Staatsanleihen überbewertet sind. William Poole, der ehemalige Präsident der Notenbank Federal Reserve of St. Louis bejaht die Frage in einem Interview mit der FAZ.


10 Year Treasury, Graph: wsj.com


Staatsanleihen: Die nächste Blase?

Tatsächlich bringen die US-Treasuries es seit Jahresbeginn auf einen Ertrag von 15,1%. Das ist die beste Performance seit 1995. Die Unternehmensanleihen hingegen haben in diesem Jahr um 12,4% an Wert verloren. Besorgniserregend ist der Spread zwischen der 2-jährigen und den 10-jährigen Treasuries. Die Renditedifferenz ist indes auf 1,41% geschmolzen. Der höchste Spread des Jahres wurde mit 2,62% am 13. November gemessen. Mit anderen Worten wird die Zinskurve flacher. Die abnehmende Differenz zwischen den Renditen am kurzen und langen Ende der Kurve ist eine Belastung für die Banken, da das Geschäft weniger einträglich wird. Denn die Finanzinstitute leihen das Geld kurzfristig und verleihen es als Kredit langfristig weiter. Die Schrumpfung des Spreads bringt die Fristentransformation für die Banken aus dem Gleichgewicht.


Die Differenz zwischen 2Y vs 10Y Notes, Graph: bloomberg.com

Reflationierungspolitik

Die Fed will mit allen Mitteln die Deflation bekämpfen und pumpt zu diesem Zweck massiv Geld in die Wirtschaft. Dadurch wird sich die Geldmenge erhöhen. Das soll dann zu einem höheren Preisniveau führen und die Deflation beseitigen. Ben Bernanke hat angekündigt, das Zinsniveau auf absehbare Zeit so niedrig zu lassen. Zudem denkt der Fed-Chef über den Kauf von Staatsanleihen nach. Das Gebot der Stunde sind also tiefe Realzinsen. Deswegen dürften die US-Staatsanleihen trotz der Überbewertung vorerst weiter zulegen.


3-Month T-Bill, Graph: wsj.com

Freitag, 19. Dezember 2008

SNB StabFund: Recyling und Entsorgung

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat heute abend mitgeteilt, dass sie eine erste Tranche illiquider und anderer Aktiven von der UBS übernommen hat. Die UBS habe insgesamt 4'042 Wertschriftenpositionen im Gegenwert von 16,4 Mrd. Dollar auf das Wertschriftenkonto des StabFund (eine Zweckgesellschaft) übertragen. Der Kaufpreis sei aufgrund einer Bewertung durch unabhängige Experten bestimmt worden.



Die SNB beschafft sich das dafür notwendige Geld über das Swap-Abkommen mit der US-Notenbank (Fed) und am Devisenmarkt.

Systemische Risiken, die durch exzessive Spekulation entstehen, werden von den Zentralbanken (bzw. Steuerzahlern) getragen: Die „lender of last resort“-Funktion der Notenbank. Das ist der Fall, wenn Gewinne privatisiert, und Verluste der Allgemeinheit übertragen werden. Die UBS hatte sich im Markt für die hypothekenbesicherten Wertschriften massiv verspekuliert und musste mehr als 50 Mrd. CHF abschreiben. Im Sog der Finanzmarktkrise agieren die Notenbanken aber mittlerweile als „lender of first resort“, da die Banken sich mistrauen und untereinander keine Gelder ausleihen. Neuerdings engagieren sich die Notenbanken auch als „Recyling und Entsorgung“-Stelle.

Fazit: Ist auch im Abfall Optimierungspotenzial vorhanden? Die SNB analysiert die Zusammensetzung der Abfälle (z.B. „toxic waste“ wie MBS) und zeigt dann optimierte Entsorgungswege auf. Die Kehrricht-Gebühr berappen aber die Bürger.

BoJ senkt Leitzins auf 0,1%: déjà vu-Erlebnis?

Die Bank of Japan (BoJ) hat den Leitzins auf 0,1% von 0,3% gesenkt. Nachdem die Fed am Dienstag die dortigen Zinsen radikal auf faktisch Null Prozent gesenkt hatte, gehen jetzt auch die japanischen Währungshüter in die Offensive. Das Terrain um die Null Linie ist jedoch für die BoJ sehr gut bekannt. Bereits Ende der 1990er Jahre hatte Japan angesichts der anhaltenden Rezession und Deflation die Zinsen auf praktisch Null reduzieren müssen. Einmal ZIRP, immer ZIRP?


Nikkei Index (1Y), graph: sz.de

Nach der düsteren Konjunkturprognose der BoJ schloss der Nikkei Index (8'588 Punkte) im Minus. Der Ausblick für die Weltwirtschaft ist sehr trüb.

Donnerstag, 18. Dezember 2008

US-Dollar in freefall: From Keynes to Kenyans

The Fed has been pumping out vast amounts of money into the financial system in order to fight the recession. The benchmark interest rate (FFR) is meanwhile at zero. The Dollar is in freefall. On the other hand dealers expect Kenya’s currency to remain firm to the year’s end. Lacklustre dollar demand amid good greenback flows from abroad lifted the Kenya Shilling, says Reuters.


€/$ Exchange Rate, Graph: finance.yahoo.com

Türkische Zentralbank senkt Leitzinsen

Auch die Türkische Zentralbank (CBT) reagiert auf die globale Wirtschaftskrise mit aggressiven Zinsschritten. Die CBT hat heute ihren Tagesgeldeinlagensatz (overnight borrowing rate) auf 15% von 16,25% gesenkt. Auch der Tagesgeldausleihsatz (overnight lending rate) wurde von 18,75% auf 17,50% reduziert.




Tagesgeld (overnight)in %
Einlagensatz15%
Ausleihsatz17,5o%


Die heutige Zinssenkung fiel stärker aus als erwartet. Aufgrund der trüben Konjunkturlage, der anhaltenden Nachfrageschwäche und des deutlichen Rückgangs der Rohstoffpreise rechnen die türkischen Währungshüter nicht mit einem Anstieg der Inflation und sehen noch Spielraum für weitere Zinssenkungen. Noch in der ersten Jahreshälfte 2009 dürfte der Leitzins bis auf 12% reduziert werden.

US-Dollar/TRY: 1,5064
Euro/TRY: 2,154
CHF/TRY: 1,3978.

Deutsche Bank verzichtet auf Kündigung einer Anleihe

Die Deutsche Bank hat gestern am Anleihenmarkt auf die vorzeitige Kündigung einer Euro-Anleihe verzichtet und damit die Marktteilnehmer aufgeschreckt. Es handelt sich dabei um eine nachrangige Anleihe (hybrid-capital Bond) mit einem Volumen von einer Mrd. Euro. Die Deutsche Bank hat die Call-Option nicht ausgeübt. Die Bank hatte die Option: entweder die Anleihen mit einem Kupon von 3,875% (Laufzeit 2004/2014) zurückzuzahlen oder den sog. Step-up Kupon (88 Basispunkte über Euribor) zu zahlen. Die Refinanzierung durch die bestehende Anleihe sei für die Deutsche Bank günstiger als die Begebung einer neuen Anleihe, erklärte die Bank. Die Aktie der Deutschen Bank reagierte mit einem Kursabschlag von rund 8% auf 25,53 € im gestrigen Handel. Aber auch die Kosten für die Absicherung von Kreditrisiken (CDS) der Deutschen Bank legten zu.


Keine Ausübung der Call-Option

In der Branche ist es üblich, solche Anleihen nicht weiterlaufen zu lassen. Insofern stellt die Nicht-Ausübung der Call-Option eine Art Stilbruch im breiten „Callable Bond Markt“ dar. Das könnte ein Präsedenzfall werden, befürchten viele Händler. Andere Emittenten dürften dem Beispiel der Deutschen Bank folgen. Die Ausübung einer Call-Option wird im Markt laut RGE Monitor mit „guter Markt-Performance“ und „hohen Investmentaktivitäten“ in Verbindung gebracht. Eine Nicht-Ausübung bedeutet hingegen eine Reduktion des Marktvolumens der Hyrid Bonds, das in den vergangenen 10 Jahren auf rund 800 Mrd. Dollar angewachsen ist. Die Marktteilnehmer hatten erwartet, dass die Deutsche Bank die nachrangige Anleihe (Lower Tier 2 Capital Bond) am nächsten Termin (16. Januar 2009) zu 100% (at par) zurückzahlen würde, meldet FT Alphaville. Der Konventionsbruch wirft daher viele Fragen auf. Die LT2 Bonds haben heute morgen schwach eröffnet.

US-Treasury Markt: Die Renditen sinken auf Rekordtiefstände

Der Höhenflug der US-Treasuries setzt sich ungebremst fort. Im Sog der historischen Zinssenkung der US-Notenbank (Fed) am 16. Dezember erreichten die Renditen neue Rekordtiefstände. Die Suche nach Sicherheit sorgt für weitere Aufschläge bei festverzinslichen Papieren so, dass die Renditen mittlerweile unter dem Trend für die Kerninflationsrate notieren.


US-Treasury 10 Y, graph: bloomberg.com

Mit dem Start der Politik des „Quantitative Easing“ erwägt die Fed den Kauf von Anleihen am langen Ende. Damit bezweckt Fed-Chef Ben Bernanke den realen Zinssatz auf ein bestimmtes Niveau zu drücken. Die Fed erhöht mit dem Kauf der Staatspapiere die Geldmenge in der Wirtschaft. Auf diese Weise soll das Preisniveau ansteigen und die Gefahr der Deflation vermieden werden. Bernanke will zudem die US-Wirtschaft vor der Wiederholung der tiefen Depression der 30er Jahren wahren. Bernanke hat als Zielgruppe nicht die Banken, sondern die Kreditnehmer im Visier. Deshalb agiert die Fed unter seiner Leitung als Kreditgeber.


US-Treasury 30 Y, graph: bloomberg.com

Die Rendite der zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihen ist auf ein Rekordtief von 2,18% gesunken. Davor hat die Rendite zeitweise mit 2,0711% das niedrigste Niveau seit 1962 gesehen. Die Rendite der dreissigjährigen Papiere gab auf 2,62% nach. Das ist der niedrigste Stand seit 1977, der ersten Emission dieser Anleihen.

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Effective Fed Funds Rate: Definition

Die Federal Funds Rate (FFR) ist der Leitzins, zudem die amerikanischen Geschäftsbanken Geld untereinander leihen, um ihre Saldo-Positionen über Nacht (over night) im Rahmen der Mindestreserveverpflichtungen bei der Zentralbank (Fed) zu erfüllen. Der effektive Tageszinssatz (The Effective Fed Funds Rate) kann hingegen vom nominellen abweichen und bedeutet der umsatzgewichtete Durchschnitt des Marktzinses, zudem Banken untereinander Geld leihen.


The Effective FFR, graph: FT Alphaville via BoA

Das heisst, dass es sich dabei um die Zinsen handelt, die Banken untereinander auf dem Geldmarkt effektiv zahlen, und zwar für Kredite zur Deckung der Mindestreservepflichten.

Bekanntlich pumpt die Fed die Wirtschaft seit langer Zeit mit billigem Geld voll, um die Entstehung einer Deflationsspirale zu verhindern. Die Fed ist mittlerweile beim Nullpunkt angelangt. Nun geht der Fed-Chef Ben Bernanke dazu über, Wertpapiere am offenen Markt im grossen Stil zu kaufen. Das nennt man „Quantitative Easing“, d.h. mengenmässige Lockerung. In Erwartung dieser Entwicklung notiert die effektive FFR bereits seit mehreren Wochen deutlich unterhalb des nominellen Leitzinses. Zum Beispiel am 10. Dezember betrug die effektive FFR 0,11%, am 15. Dezember 0,18%.

US-ZIRP: Fed-Zinsentscheid – Neues Terrain

Die amerikanische Notenbank (Fed) hat den Zielsatz für Tagesgeld angesichts der sich vertiefenden schweren Rezession um 75 Basispunkte auf eine Spanne von 0,0 bis 0,25% gesenkt. Das ist das tiefste Zinsniveau seit 1971. Die Fed Funds Rate ist damit erstmals seit 1993 niedriger als der japanische Leitzins.


Fed Funds Rate, Graph: nytimes.com

Die Aussichten der US-Wirtschaft haben sich weiter geschwächt, begründete die Fed ihren Zinsentscheid. Die Lage am Arbeitsmarkt habe sich verschlechtert. Der private Verbauch, Investitionen und die Industrieproduktion seien rückläufig.

Durch „Offenmarktgeschäfte“ und „weitere Schritte“ werde die Fed ihre Bilanzsumme auf hohem Niveau halten. Weil der Zinssatz bei Null Prozent angelangt ist, kann die Fed die Konjunktur nur noch durch eine mengenmässige Lockerung („quantitative easing“) ankurbeln. Deshalb greift die Fed auf unorthodoxe Mittel zurück wie Aufkauf von Anleihen der beiden Hypothekenfinanzierer Fannie Mac und Freddie Mae sowie von mit Immobiliendarlehen besicherten Wertpapieren. Fed-Chef Ben Bernanke will v.a. die Spannungen am Kreditmarkt lösen. Darüber hinaus überlege die Fed den Aufkauf von langlaufenden US-Staatsanleihen.

Fazit: Die Fed will Asset Deflation eindämmen, indem sie 1) durch neue Kreditfazilitäten die Refinanzierung von Assets fördert. Das geschieht so, dass sie die Zinsen lockert, und 2) indem sie im offenen Markt Wertschriften ankauft. Der Fed kann also nicht Untätigkeit vorgeworfen werden. Sie ist nicht wie die EZB. Dennoch „sind wir in einer sehr tiefen Schwierigkeit“, kommentiert Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman in seinem Weblog in The New York Times die aktuelle Lage.

Dienstag, 16. Dezember 2008

US-Notenbank (Fed): Null-Zins-Politik

Die Fed hat heute abend den Leitzins deutlich stark gesenkt (um 0,75%) und damit die meisten Analysten überrascht. Der US-Leitzins liegt nun zwischen Null und 0,25%. Das ist einmalig, dass die Fed (im Kampf gegen Rezession und Deflation) anstelle eines festen Zinssatzes eine Bandbreite bekanntgibt so wie die Schweizerische Nationalbank (SNB) es eigentlich handhabt. Damit ist die Null-Linie vor Jahresende Realität geworden. Zugleich markiert der aktuelle Zinsentscheid das Ende der traditionellen Geldpolitik mit dem „Instrument Zins“.


Leitzins Entwicklung, Graph: faz.net

Die effektive Fed Funds Rate notiert bereits seit Wochen deutlich unterhalb des bisher gültigen Leitzinses von 1 Prozent. Am 10. Dezember lag diese bei 0,11%, am vergangenen Freitag bei 0,15% und gestern bei 0,18%. Seit die Fed die Überschussreserven der Banken mit Zinsen belohnt, spielte die Fed Funds Rate fast keine Rolle mehr. Das Ziel der Fed ist nun, die Entstehung einer fatalen Deflationsspirale zu verhindern. Der Verbraucherpreis-Index (CPI)ist im November gegenüber dem Vormonat um 1,7% zurückgegangen. Fed-Chef Ben Bernanke will jetzt versuchen, mittels „Offenmarkt-Operationen“ und „anderen Massnahmen“ die Wirtschaft anzukurbeln. Die Fed werde „über die nächsten Quartale“ den Ankauf von Anleihen der GSE und MBS fortsetzen. Zudem wollen die amerikanischen Währungshüter über den „potenziellen Nutzen“ des Erwerbs von langfristigen Staatsanleihen (US-Treasuries) nachdenken.

Nun kommt es auf die Gestaltungskraft von Ben Bernanke an. Und er braucht dabei v.a. viel Glück.

Quantitative Easing: Alternative Geldpolitik

Der Auslöser des Übergangs zu einer Politik des „Quantitative Easing“ ist die steigende Gefahr dauerhaft sinkender Preise. Das bedeutet Deflation. Die Inflation wird mit steigenden Zinsen eingefangen. Notieren aber die Leitzinsen auf beinahe Null Prozent, kann die Zentralbank entweder die Druckpresse anwerfen oder anfangen, am offenen Markt Staatsanleihen aufzukaufen. Die Zentralbank versucht i.d.R. nur kurzfristige Zinsen zu steuern. Herrscht aber Deflation vor, kann sie auch dazu übergehen, die Zinsen am langen Ende zu senken, indem sie Anleihen am Markt ankauft.


The Effective Fed Funds Rate, Graph: St.Louis Fed

Wenn also eine Zentralbank die Liquidität in der Wirtschaft systematisch erhöhen will, kauft sie am offenen Markt im grossen Stil Anleihen mit langer Laufzeit an. Die Geldpolitik wird nicht mehr über Zinssenkungen, sondern mengenmässig (d.h. quantitativ) gelockert (d.h. easing). Die Zentralbank bezweckt durch die anschwellende Geldmenge die Banken wieder zum Kreditgeschäft zu animieren. Das heisst, die Banken sollen untereinander wieder Kredit vergeben und aufnehmen.

Japan hat im März 2001 mit der Politik des „Quantitative Easing“ begonnen, um die Wirtschaft anzukurbeln und der Deflation entgegenzuwirken. Die Politik wurde 5 Jahre später zu Ende geführt. Weil die BoJ entschieden hat, dass die japanische Wirtschaft sich wieder auf dem Weg zur Stabilisierung befindet (reflationäres Wachstum).

Die BoJ kaufte Aktiven direkt im Bankensystem an, um die Liquidität im Markt zu erhöhen. Die sich verstärkende Deflation und die Entstehung einer Liquiditätsfalle haben die BoJ veranlasst, die Druckpresse anzuwerfen, um die Nachfrage nach Liquidität zu decken. 2 ½ Jahren nach dem Start des Quantitative Easing hatte die BoJ die Bankreserven vom gewöhnlichen Wert von 5 Trillionen Yen auf 32 Trillion Yen erhöht. Auch in den USA hat sich die Bilanzsumme der Fed in den vergangenen zwei Monaten beinahe verdoppelt. Die Bilanz der Fed ist von 900 Mrd. Dollar Ende September auf 2'300 Mrd. Dollar angeschwollen.

Die Fed kauft jetzt die Anleihen der GSEs, die mit Immobilienmarkt zu tun haben, an. Zunächst für 100 Mrd. Dollar. Später aber bestimmt mehr. Quantitative Easing im Sinne einer Bilanz-Anschwellung der Notenbank heisst nichts anderes als Überschussreserven im Bankensystem zu lassen.

Wie kann die Notenbank die Bilanzsumme wieder reduzieren?

1)Indem sie die Anleihen, die sie angekauft hat, bis zum Ende der Laufzeit behält. Das nimmt aber Zeit in Anspruch, 2)Indem sie die Anleihen wieder verkauft, 3)Indem sie Liquiditätsprogramme wie TAF einstellt.

Wie ging die japanische Zentralbank (BoJ) vor? Sie hat die Bilanzsumme im Rahmen ihrer straffen Geldpolitik wieder schrumpfen lassen. Die Fed dürfte aber die Angelegenheit anders handhaben, da die USA ein Schuldner-Land sind und auf Kapitalzufluss aus dem Ausland angewiesen sind. Sollten die Zinsen am langen Ende künstlich zu niedrig gehalten werden, dürfte sich die Inflationsgefahr verschärfen. Die Fed betritt schier ein unbekanntes Terrain. Die Marktteilnehmer warten mit gespannter Ruhe auf den Fed-Chef Ben Bernanke, der heute auf der Fed-Sitzung Erklärungen abgeben wird, was nach „Zinsniveau nahe Null“ passieren soll.

Montag, 15. Dezember 2008

US-Staatsanleihen: Die Renditekurve wird flacher

Die Flucht der Investoren in sichere Anlagen hält an. Wie das amerikanische Schatzamt heute mitgeteilt hat, kauften internationale Investoren netto 34,6 Mrd. Dollar US-Treasuries und T-Bills im Oktober. Im Vergleich: Im September 20,7 Mrd. Dollar. Verkauft wurden v.a. Unternehmensanleihen und die Papiere von regierungsgeförderten Instituten (GSE: Government Sponsored Enterprises). Die US-Staatsanleihen bringen es seit Jahresbeginn auf einen Ertrag von insgesamt 12,4%. Das ist die höchste Rendite in einem Jahr seit 2000 (13,4%).


10 Y US-Treasury, Graph: yahoo.com

Das Finanzministerium (US-Treasury) hat heute 3-Monats Schatzwechsel zu einem Zinssatz von 0,05% für 27 Mrd. Dollar vergeben. Genau wie am 1. Dezember. Zudem versteigerte das Schatzamt 6-Monats T-Bills zu einem Zinssatz von 0,27% für 27 Mrd. Dollar. Das entspricht dem niedrigsten Zins seit mindestens 1958. Die Futures signalisieren eine Wahrscheinlichkeit von 66% für eine Zinssenkung der US-Notenbank (Fed) um 75 Basispunkte auf 0,25% für die zweitägige Fed-Sitzung, die morgen beginnt.

Türkei: BIP-Wachstum im III. Quartal 0,5%

Die türkische Wirtschaft ist im III. Quartal annualisiert um 0,5% gewachsen. Die Wachstumszahlen für das II. Quartal wurden von bisher 1,9% auf 2,3% revidiert. Das BIP legte damit 2008 um 3,0% zu.



Türkei (BIP)III. Q. 2007III. Q. 2008
Bruttoinlandsprodukt3,3%0,5%



Auf der Produktionsseite fiel der Agrarsektor mit einer Wachstumsrate von 2,2% annualisiert auf. Die verarbeitende Industrie ist um 1,1% geschrumpft. Auf der Nachfrageseite legten die privaten Verbrauchsausgaben überraschend um 0,3% zu. Die Staatsausgaben kletterten um 7,7%. Die Investitionen in Sachanlagen gingen um 5,4% zurück.

Sonntag, 14. Dezember 2008

In Europa

Buchbesprechung*:

Geert Mak: In Europa. Eine Reise durch das 20. Jahrhundert. Pantheon Verlag, München 2007.


Der Autor reist ein Jahr lang für dieses Buch durch Europa. Er will den Zeitgeist erkunden. Er zeigt die Spuren auf, die das 20. Jahrhundert in Europa hinterlassen hat. Dabei trifft er Schriftsteller, Politiker, einfache Bauer usw., um die Gegenwart mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Sein Ziel ist es, im Kontext von historischen Erinnerungen und einzelnen Schickalsschlägen, ein aktuelles Bild des Kontinents am Ende des Jahrhunderts zu malen.


„Haben wir Europäer eine gemeinsame Geschichte?“. Ja, aber die individuellen historischen Erfahrungen der Europäer sind sehr verschieden, bemerkt Mak. „Berlin kann man unmöglich verstehen, wenn man Versailles nicht kennt; London versteht man nicht ohne München, Vichy nicht ohne Verdun...“, schreibt er weiter. Die Geschichte ist aber undurchsichtig. Sie ist komplizierter und zufälliger, als wir erkennen. Die Retrospektive Verzerrung darf daher nicht darüberhinweg täuschen, dass die Geschichte nicht linear ist, sondern von einem Bruch zum anderen verläuft, d.h. Sprünge macht, wie Taleb („Der Schwarze Schwan“) sagen würde. Der entscheidende Punkt ist, dass die stummen Zeugen die Geschichte so beschreiben, wie sie ablief, und nicht im Rückblick.

Geert Mak (1946) ist einer der berühmtesten Publizisten der Niederlande und gehört zu den wichtigsten Sachbuchautoren des Landes. Zu seinen bekanntesten Werken zählen neben „In Europa“ auch „Amsterdam“ (1997). In jedem Monat seiner Reise nimmt er sich einen weiteren Abschnitt des 20. Jahrhunderts vor. Wie z.B. „April 1918-1938: Berlin, Bielefeld, Dachau, München, Wien“. Ein spannendes Buch.

* erscheint in der Ausgabe 211 von 12. Dezember 2008.

Cezmi Dispinar

Samstag, 13. Dezember 2008

Geldmarkt: Spreads repräsentieren das Misstrauen der Marktakteure

TED-Spread: 1,9111%,
(Jahreshoch: 4,64% im Okt.),
Im lfr. Durchschnitt (5 J): 0,31%.

LIBOR-OIS-Spread: 1,9016%,
(Jahreshoch: 3,640% im Okt.),
Im lfr. Durchschnitt (5 J): 0,11%.

Der TED-Spread (Spread für unbesicherte Kredite) hat sich im Vergleich zur vergangenen Woche um ca. 12% zurückgebildet. Der Libor-OIS-Spread (Spread für besicherte Kredite) ist um ca. 14,5% geschrumpft. Beide Aufschläge verharren jedoch nach wie vor auf hohem Niveau und sind von der Normalisierung weit entfernt.


TED-Spread, Graph: bloomberg.com


Die Kosten für die Absicherung von Kreditrisiken für europäische Unternehmen steigen dramatisch weiter.

Markit iTraxx Crossover Index 50: Der Index, der am 3. Dezember erstmals auf 1'000 Basispunkte stieg, legte zum Wochenschluss um 33 Basispunkte auf 1'070 Basispunkte*.

* Das heisst, dass Investoren 10,70% der Summe, die sie absichern wollen, als Versicherungssumme für eine Anleihe im Wert von 10 Mio. Euro für fünf Jahre zahlen müssen.

Markit iTraxx Europe Index 125: Der Index legte um 3,5 Basispunkte auf 203 Basispunkte zu.

Markit MCDX Index erfasst 50 CDS von amerikanischen Kommunalanleihen. Die festverzinslichen Wertpapiere von Kommunen (Städte, Gemeinden usw.) gelten in den USA als sicher. Die Spreads sind diese Woche angesichts der anhaltenden Verschlechterung der Finanzlage von verschiedenen US-Staaten erstmals dramatisch gestiegen.

Die A2/P2-Spreads, d.h. die Aufschläge zwischen non-financial Commercial Paper (30 Tage) niedriger und hoher Qualität (Rating), weiteten sich auf ein Rekordhoch von 511 Basispunkten aus.

Der Markt für Commercial Papers (CP, Geldmarktpapiere mit Laufzeiten von bis zu zwei Jahren) zeigt die 7. Woche in Folge dank Hilfspakete der US-Notenbank (Fed) erhöhte Kreditnahme der Unternehmen. Das Marktvolumen (CP outstanding) stieg seit dem Tiefstpunkt am 20. Oktober laut Morgan Stanley um 17% auf 1'700 Mrd. Dollar.

Den grössten Beitrag dazu leisteten die CPs der Finanzunternehmen. Das Volumen des ABCP-Sektors (Asset Backed Commercial Paper, Geldmarktwertpapiere, die durch Kreditmarktpapiere besichert sind) notiert hingegen um 38% niedriger als im Juli 2007.

Freitag, 12. Dezember 2008

US-Treasuries: Bubble Characteristics?

Die zunehmende Angst vor einer schwerwiegenden Rezession treibt immer mehr Anleger in den sicheren Hafen „US-Staatspapiere“. Die Rendite der 10-jährigen Treasuries ist mittlerweile auf 2,48% gesunken. Das ist das tiefste Niveau seit 1954. Die Rendite der 3-Monats T-Bills, die im Verlauf dieser Woche aufgrund der starken Nachfrage ins Minus gedrückt worden war, beläuft sich zur Zeit auf 0,01%. Die US-Staatsanleihen bringen es seit Jahresbeginn auf einen Ertrag von 12,2%. Das ist das beste Ergebnis auf Jahresbasis seit 2000 (+13,4%). Die German-Bonds haben 2008 eine Performance von 10,4% an den Tag gelegt.


US-Treasury 10 Y, Graph: wsj.com

PIMCO-Chef Bill Gross sprach in einem Interview mit dem Bloomberg TV davon, dass die T-Bills mit Null Prozent Rendite nun überbewertet seien und daher „Blasen-Charakter“ aufweisen.

Der Schwarze Schwan

Buchbesprechung*:

Nassim Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Hanser Verlag, München, 2008.


Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, Essayist und Unternehmer. Derzeit arbeitet er als Dean’s Professor für die Wissenschaft der Unsicherheit an der University of Massachusetts in Amherst. Das Buch erschien in Englisch vor dem Ausbruch der aktuellen Wirtschaftskrise. Nun liegt die deutsche Übersetzung vor. Der Autor analysiert in diesem grandiosen Werk die Struktur der Zufälligkeit in der empirischen Realität.


Er teilt die Welt in zwei Klassen von Zufallsvariablen. In der einen Klasse („Mediokristan“) geht es brav und artig vor sich. Sie ist für Schwarze Schwäne nicht anfällig. Das Ganze wird nicht von einem einzigen Fall oder einer einzigen Beobachtung bestimmt. Die Ereignisse sind nach der „Glockenkurve“ oder ihren Variationen verteilt. Die andere Klasse („Extremistan“) ist unordentlich und weniger platonisch. Sie ist für Schwarze Schwäne anfällig. Es dauert lange, bis man erkennt, was vor sich geht. Es ist schwierig, auf Grundlage von Infos über die Vergangenheit Vorhersagen zu machen. Mit den beiden Klassen will Taleb aufzeigen, dass sie sich radikal unterscheiden, aber es zwischen Zufälligkeit und Nichtzufälligkeit keinen grossen Unterschied gibt.

Eine der allerersten Lehren, die aus der anrollenden Kapitalmarktkrise gezogen wurde, bevor sich die Lage in den vergangenen drei Monaten zugespitzt hat, war die, dass die Modelle, welche die Finanzwelt anwendet, um Risiken einzuschätzen, nicht funktionieren. Das Risikomanagement der Banken hat m.a.W. kläglich versagt. Warum? Weil die aktuellen Modelle nicht auf Extremsituationen eingestellt sind. Als einfaches Beispiel ist die „Glockenkurven“-Methode, zu erwähnen, die eigentlich gar nichts sagt. Denn die „Glocken-Kurve“ ignoriert grosse Abweichungen und kann mit ihnen nicht umgehen. Zudem ist die Volatilität entweder hoch oder niedrig. Es gibt niemals nur eine mittlere Volatilität. Dazu kommen noch die Nachteile der Komplexität. Je komplexer beispielsweise die synthetischen Finanzprodukte (Derivate u.ä.) werden, desto schwieriger wird es, ihre Entwicklung vorauszusagen. Die Banken scheinen deshalb mittlerweile die Kontrolle über das Finanzsystem verloren zu haben. Die Mehrzahl davon hat nämlich nach wie vor keine Ahnung von Wertschriften, die sie besitzt. Aber nicht nur die Banker erliegen der Täuschung des übermässigen Selbstvertrauens, sondern alle Menschen. Das frappante Beispiel, das der Autor bringt, ist das von der „Anatomie eines Schwarzen Schwans“. Wir sehen jahrelang keinen schwarzen Schwan und schliessen daraus, dass es in der Tat keinen gibt. Die Quintessenz ist, „das, was wir nicht wissen, viel bedeutungsvoller ist als das, was wir wissen“. Denn „Schwarze Schwäne werden oft dadurch verursacht und verschlimmert, dass sie unerwartet kommen“. Die zentrale Aussage des Buches ist „unsere Blindheit gegenüber dem Zufall, insbesondere gegenüber grossen Abweichungen“. Eine verblüffende Fallstudie aus dem Buch: Ein Truthahn, der jeden Tag fürsorglich gefüttert wird, wird am Nachmittag vor dem Erntedankfest geschlachtet. Der Todestag erscheint dem Truthahn als „unvorhersehbarer Zufall“, nicht aber dem Metzger.

Die Tatsache, dass ein einziger Fehler für die Pleite von Lehman Brothers und vielen anderen Banken sowie Sparkassen, die gegen überraschende Ereignisse gewettet haben, verantwortlich ist, zeigt, wie instabil und fragil das ganze Finanzsystem ist. Während heute die Verkäufer von Risiken (Banken) staatlich gerettet werden, werden die Halter von Risiken (Anleger und Sparer) fallen gelassen. Die Letzteren verlieren entweder ihre Jobs oder müssen Einkommensverluste in Kauf nehmen. Im Zuge der gegenwärtigen Krise wird sich das Verhältnis von Gesellschaft und Wirtschaft daher grundsätzlich verändern. Eine empirische Analyse der Finanzhistorie mit einem philosophischen Hintergrund. Das ist das beste Buch des Jahres.

* erscheint in der Ausgabe 211 von 12. Dezember 2008.

Cezmi Dispinar

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Schweiz: Quantitative Easing? - Overnight Repo 0,03%

Die Repo-Zinsen sind in der Schweiz heute bei annähernd Null angelangt. Für die SNB bedeutet das aber nach eigenen Angaben jedoch nicht, dass die Möglichkeiten für weitere expansive Impulse in der Geldpolitik ausgeschöpft sind. Die SNB könnte z.B. die Laufzeiten der Geldmarktgeschäfte verlängern oder auf anderen Märkten als dem Geldmarkt intervenieren (Devisen-Markt?).

Der Over-Night Repo-Satz: 0,03%,
Der 3-Monats-Libor: 0,86%,
Die Rendite der Bundesobligationen (10 J.): 2,20%.


CH Zinsmarkt, Graph: SNB
rot: repo o/n, grün: 3-Monats-Libor, blau: Rendite der Bundesobligationen


Die Schweizerische Nationalbank (SNB) bezeichnet sich mittlerweile selbst als „lender of first resort“. Die SNB ist nämlich zum primären Anbieter von Liquidität für das Finanzsystem geworden. Laut SNB ist die aktuelle Börsenkrise gemessen an der Grössenordnung der Dow Jones-Verluste einzig mit jener von 1929 vergleichbar.

Das Ausmass der Geldmarkt-Aktionen hat indes die Bilanz der SNB anschwellen lassen. Vor der Krise wurde rund 20 Mrd. CHF der Bilanz für geldpolitische Steuerung eingesetzt. Heute liegt der Betrag bei rund 80 Mrd. CHF.

Gold-Markt: Backwardation – Ein Novum in der Geschichte

Im Zuge der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise hat sich auch am Goldmarkt eine historische Konstellation herausgebildet. Der Verlauf der Forwardkurve für Gold hat am 2. Dezember erstmals in der Geschichte eine Backwardation-Formation angenommen. Mit anderen Worten fällt die Forwardkurve. Das bedeutet, dass die kurzlaufenden Kontrakte teurer sind als die Futures mit längeren Laufzeiten. Hier entstehen also für den Inhaber eines entsprechenden Kontrakts sog. „Rollgewinne“.


Gold Future Febr., Graph: wsj.com

Anhand des niedrigeren Umsatzes und den steigenden Verleihzinsen ist zu erkennen, dass das Angebot an physischem Gold eingebrochen ist. Offenbar haben viele Akteure am Goldmarkt Angst, dass das geliehene Gold ihnen nicht zurückbezahlt werden kann. Die Zinsen für die Goldleihe pendelte vor der Lehman-Pleite zwischen 0 und 0,5% pro Jahr. Zur Zeit betragen sie 1,9%. Da zugleich am Geldmarkt dank Zentralbanken die Zinsen stark gesunken sind, sehen Spekulanten weniger Anreiz, Gold zu leihen, um es später am Markt zu verkaufen. Der Erlös ist nun sehr mickrig.


Gold (1Y), Graph: marketwatch.com

Die Rezession dürfte andererseits auf der Nachfrage nach Goldschmuck (1/3 der gesamten Goldnachfrage) lasten. Das Edelmetall gilt bekanntlich als altbewahrten Inflationsschutz. Die Inflation stellt aber zur Zeit kein Problem dar. Die Marktteilnehmer befürchten eine Deflation. Die Rede ist von einem allgemeinen Rückgang des Preisniveaus. Die Menschen wollen derzeit nichts anders als ihr Geld schützen. Sie streben nicht unbedingt Gewinn an. Deswegen überlassen sie ihr Geld dem amerikanischen Staat und verlangen dafür nicht einmal Zins. Der amerikanische Staat gilt nach wie vor als erstklassiger Schuldner. Das Schatzamt begab am Dienstag 30 Mrd. Dollar an Schatzwechseln (T-Bills) mit einer Laufzeit von vier Wochen zu einem Zinssatz von null Prozent.

Schweizerische Nationalbank senkt Leitzins auf 0,50%

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat heute beschlossen, das Zielband für den 3-Monats-Libor um 50 Basispunkte auf 0,0%-1,0% zu senken. Zur Begründung erwähnten die Währungshüter drei Faktoren: 1) Die Lage an den internationalen Finanzmärkten habe sich seit September nochmals verschlechtert. Das wirkt sich negativ auf die Prognosen der SNB. 2) Die Krise an den Finanzmärkten hat sich seit September verschärft. 3) Die Rohstoff- und Erdölpreise sind eingebrochen, was zu einer markanten Verbesserung der Inflationsaussichten führt.


SNB Target, Graph: bloomberg.com

Diese Entwicklungen werden die Schweizer Wirtschaft mit voller Wucht treffen. Die SNB erwartet für nächstes Jahr ein negatives BIP-Wachstum. Es dürfte zwischen -0,5% und -1% liegen. Die Teuerung wird laut SNB im Laufe 2009 deutlich sinken und dann auf tiefem Niveau verharren. Die Schweizer Währungshüter rechnen mit einer durchschnittlichen Teuerung von 0,9% im Jahre 2009 und von 0,5% im Jahr 2010.


US-Dollar vs CHF, Graph: yahoo.com

Die SNB hat damit seit September in 3 Schritten um insgesamt 175 Basispunkte reduziert. In den einleitenden Bemerkungen betonte Philipp Hildebrand, Vizepräsident, dass die SNB es als wichtig erachtet, die Konjunktur mittels geld- und fiskalpolitischen Massnahmen zu stützen. Es wird interessant zu sehen, ob auch die SNB demnächst zu einer Politik des "quantitative easing" übergehen wird.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

US-Notenbank (Fed) will angeblich eigene Anleihen auflegen

Die US-Notenbank (Fed) erwägt laut Wall Street Journal die Ausgabe eigener Anleihen. Personen, die mit dem Vorhaben vertraut sind, haben offenbar Kontakt mit dem Kongress aufgenommen. Es ist jedoch offen, ob die Fed ihre Absichten in die Tat umsetzt oder nicht.


10 Year US-Treasury, Graph: yahoo.com

Hintergrund: Die Fed ist bekanntlich mittlerweile zur Politik des „Quantitative Easing“ (mengenmässige Lockerung) übergegangen. Sie kauft nun am offenen Markt im grossen Stil Unternehmensanleihen und andere Wertschriften an. Als Folge davon ist die Bilanz der Fed von 900 Mrd. Dollar im September auf 2'200 Mrd. Dollar angeschwollen. Andererseits wurden die zahlreichen Hilfsprogramme mit Staatspapieren finanziert. Der Bestand an Treasuries ist aber auf 476 Mrd. Dollar gesunken. Die Vertreter der Fed wollen nicht, dass dieser Bestand weiter abnimmt. Das Schatzamt begab bisher Anleihen, deren Erlös es auf dem Konto der Fed belassen hat. Nun schraubt das Finanzministerium diese Aktivitäten zurück. Denn es gibt legale Grenzen für die Kreditaufnahme. Die Fed hingegen hat das Finanzsystem mit Geldern überflutet, die sie selbst geschaffen hat („bank reserves“), um damit Darlehen zu geben und Wertschriften zu erwerben. Derzeit stellen diese Aktionen der Fed keine Gefahr dar. Aber wenn sie nicht rechtzeitig am Markt abgeschöpft werden, können sie Inflation auslösen. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass das US-Notenbank-Gesetz („The Federal Reserve Act“) der Fed die Ausgabe von Anleihen explizit nicht erlaubt.

US-Schatzwechsel: Negative Rendite - Privileg?

Die Flucht in den sicheren Hafen Staatsanleihen hat mittlerweile dramatische Ausmasse erreicht. Nervöse Anleger trieben gestern die Rendite der 3-Monats T-Bills ins Negative. Die implizierte Rendite der amerikanischen Schatzwechsel mit der Laufzeit 90 Tage wurde gestern zu minus 0,01% gehandelt. Das gab es zuvor seit 1940 nicht mehr. Die extrem vorsichtige Stimmung der Investoren zeigt, dass die weltumspannende Rezession sich im kommenden Jahr vertiefen dürfte. Es gilt heute wie ein Privileg, um der Sicherheit willen Schatzwechsel zu kaufen, die eine negative Rendite abwerfen.


3-Month T-Bill, Graph: marketwatch.com

Abnormal wird akzeptabel


US-Rendite Kurve, Graph: finance.yahoo.com

Gestern begab das US-Schatzamt 30 Mrd. Dollar an Schatzwechsel mit vierwöchiger Laufzeit zu einem Zinssatz von null Prozent. Erstmals in der Geschichte. Die Nachfrage nach Sicherheit ist so gross, dass Anleger bereit sind, für den Schutz ihrer Barmittel eine Gebühr zu zahlen. Nach der Lehman-Pleite hatte die Rendite der 3-Monats T-Bills kurzzeitig negative Verzinsung gesehen. Vor allem ist eine Mehrzahl von Money Market Fonds derzeit bemüht, vor Jahresende wegen „window dressing“ sich mit Staatspapieren einzudecken. Auf der T-Bills-Versteigerung des US-Finanzministeriums von gestern überstieg die Nachfrage das Angebot um das 4,2-fache. Der Durchschnitt lag in den vergangenen neun Wochen nicht übers 2,87-fach. Das ist kein gutes Omen für die Wirtschaft.

Dienstag, 9. Dezember 2008

3-Month-Bills: Money for nothing

Das US-Schatzamt hat gestern für 27 Mrd. Dollar 3-Monats T-Bills zu einem Zinssatz von 0,005% verkauft. Das war die niedrigste Rate, die seit Beginn der Treasury-Versteigerungen im Jahr 1929 je erzielt wurde. Vor rund 80 Jahren steckte die US-Wirtschaft in der schlimmsten Krise („Grosse Depression“) der Geschichte. Noch in der vergangenen Woche waren die 3-Monats T-Bills zu einem Zinssatz von 0,05% zugeteilt worden.


3-Month Bills, Graph: wsj.com

Ein Beispiel: Wer heute für 99,998736 $ einen Schatzwechsel (US-Treasury Bill) kauft, bekommt in drei Monaten 100 $ zurück. Die 3-Monats Bills werden als Diskontpapiere des Nominalwertes verkauft.


6-Month Bills, Graph: wsj.com

Das US-Schatzamt hat zudem für 27 Mrd. Dollar 6-Monats T-Bills zu einem Zinssatz von 0,30% verkauft. Das entspricht der tiefsten Rate seit mind. 1958. Das ist das praktische Beispiel für die sog. Liquiditätsfalle, die dann auftritt, wenn die nominalen Zinssätze so niedrig sind, dass es keine Rolle mehr spielt, ob man Barmittel hält oder damit Staatspapiere kauft. Wenn die Wirtschaft in eine Liquiditätsfalle schlittert, erweist sich die herkömmliche Geldpolitik als ineffektiv.

Krugman grüsst Keynes“, kommentiert Nouriel Roubini. Aussergewöhnliche Situationen erfordern aussergewöhnliche Massnahmen. Deshalb muss der Staat mit einer expansiven Fiskalpolitik in die Bresche springen, um eine Verschlimmerung der Rezession zu verhindern. Nur so kann die aggregierte Nachfrage wiederbelebt werden.

Rohstoffmarkt: Ölpreis - Contango

Das Öl (43,47$) gilt nicht mehr als knapp. Der Rohstoff wird jetzt gehortet. Die Unternehmen haben mit der Lagerhaltung begonnen, um diesen in Zukunft zu einem höheren Preis zu verkaufen. Dabei werden sogar Schiffe als Lagerplätze gebucht, berichtet Bloomberg. Der Preis zwischen dem Ölpreis zur Sofortlieferung und dem 1-Jahr-Kontrakt hat sich inzwischen auf minus 13,50 Dollar je Fass ausgeweitet. Das ist der grösste Spread seit 25 Jahren.

Auf dem Ölmarkt herrscht also zur Zeit „Contango“. So nennt man die Preis-Konstellation, wenn der Kassapreis (Preis zur Sofortlieferung) tiefer liegt als der Terminpreis. Die Futures sind aktuell für eine mind. 12 Monate-Spanne in Contango.


Crude Oil, Graph: wsj.com

Die Terminmarktkurve ist also aufwärts geneigt, d.h. steigend. Beim „Rollen“ entstehen „Rollverluste“. Denn das Geld aus den alten Kontrakten reicht nur für weniger neue Kontrakte. Wenn eine Position vor Fälligkeit des aktuellen Kontraktes verkauft und das Geld in neue Kontrakte angelegt wird, entstehen „Rollgewinne“ oder „Rollverluste“. Im Fall einer „Backwardation“ entstehen „Rollgewinne“, da der nächste Future billiger ist als der aktuelle. Die Forwardkurve fällt. Für Anleger ist als Backwardation angenehmer als Contango. Die Kontrakte müssen rechtzeitig in die Zukunft „gerollt“ werden, weil man sonst gezwungen ist, die Ware physisch zu liefern.


Terminmarkt-Kurve, Graph: goldmansachs.ch

Laut OECD halten die Ölproduzenten den Rohstoff lieber im Boden (rigide Förderpolitik), wenn 1) die Ölpreis-Volatilität hoch und die künftige Nachfrage ungewiss ist, 2) wenn für die Zukunft eine steigende Nachfrage- und Preisentwicklung erwartet wird.

Die Contango Situation ist für die Ölindustrie erschreckend, weil sie eine globale Nachfrageschwäche signalisiert, bedingt durch die schwere Rezession. Ein anderer gewichtiger Faktor ist die vorherrschende Kreditklemme, die es den Händlern verunmöglicht, Lagerhaltungskosten zu finanzieren. Der „normale“ Arbitrage-Prozess ist also zur Zeit gestört. In der Vergangenheit galt das gelagerte Öl als eine Art Garantie (collateral) für die Kreditaufnahme. Die Banken machen jetzt aber nicht mehr mit. Zudem scheint der Ölmarkt derzeit „überversorgt“.

Montag, 8. Dezember 2008

Bundesanleihen: Jahresperformance +8,8 Prozent

Die Rendite der 10jährigen Bundesanleihen ist am 4. Dezember auf 2,94% gesunken. Das ist das tiefste Niveau seit Januar 1989. Die Eurobonds bescheren damit Investoren seit Jahresbeginn einen Ertrag von insgesamt 8,8%. Davon wurde 3,8% allein im November erzielt. Trotz des historischen Renditeverfalls misstrauen sich aber die Banken noch immer. Der Geldhandel unter Banken ist zum Erliegen gekommen. Die Banken lassen sich lediglich, wenn überhaupt, auf Geschäfte über Nacht ein, und zwar zu aussergewöhnlich hohen Aufschlägen.


Umlaufrendite (€) 3Jahre, Graph: sz.de

Die Flucht in den sicheren Hafen Staatsanleihen hält auch im Euro-Raum an. Anleger, die ihre Aktien verkaufen, kaufen mit dem Erlös Staatspapiere. Der Bondpreis steigt. Die Rendite fällt. Sind die niedrigen Renditen aber nachhaltig? Die Anleihenmärkte scheinen überbewertet. Hat sich hier mittlerweile eine Spekulationsblase gebildet? Die Antwort hängt von den Inflationserwartungen ab. Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank (Fed) hat vergangene Woche mitgeteilt, langlaufende US-Treasuries am offenen Markt zu kaufen. Das Ziel ist, der Deflation entgegenzuwirken. Japan kämpfte bekanntlich über zehn Jahre mit Deflation. Die Rendite der 10jährigen Staatsanleihen Japans tendiert nach wie vor unter 1,42%.

Sonntag, 7. Dezember 2008

Der Grosse Crash 1929

Buchbesprechung:

John Kenneth Galbraith: Der Grosse Crash 1929. Ursachen, Verlauf, Folgen. FinanzBuch Verlag, München, 2008.


John Kenneth Galbraith wurde 1908 in Ontario, Kanada geboren und lebte später in den USA. Er lehrte ab 1948 Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University. Während der Regierungszeit Kennedys war er Amerikas Botschafter in Indien. „Der Grosse Crash 1929“ entstand vor mehr als fünfzig Jahren und gilt als ein Klassiker, der über die grösste Finanzkrise je geschrieben worden ist. Galbraith hat „sich für soziale Gerechtigkeit und ein funktionierendes Wirtschaftssystem eingesetzt“, schreibt Max Otte, Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms in der Einleitung der 4., völlig überarbeiteten Neuauflage (2008) dieses historischen Essays.


Die Ursachen des Crashs lagen alle in der spekulativen Orgie, die vorausging, bemerkt Galbraith. Etliche Parallelen zu den Jahren nach 2005 sind verblüffend. Damals hiessen die Protagonisten „Investment-Trusts“. Heute werden sie „Private Equity“ und „Hedge Fonds“ genannt. Der gemeinsame Nenner war der hemmungslose Hang zu spekulativen Zwecken. Galbraith definiert „spekulative Anlagen“ als solche, die auf die Wertstegierung hinaus sind, und nicht auf die laufenden Erträge (z.B. Miete, Dividende und Zinsen). Die Wirtschaft war laut Galbraith vor 1929 fundamental nicht gesund. Fünf Problembereiche zählt er auf: 1) Die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung, 2) Die schlechte Struktur der Kapitalgesellschaften, 3) Die schlechte Struktur des Bankensystems, 4) Die prekäre Situation der Aussenhandelsbilanz und 5) Die fehlgeleitete Wirtschaftspolitik.

Dem Börsenkrach von 1929 folgte damals die Grosse Depression. Heute erleben wir die 2. Weltwirtschaftskrise. Aufträgsrückgänge von vierzig Prozent deuten darauf hin, dass der tiefe Einbruch der Konjunktur epochal ist. Es wird schlimmer, bevor es besser wird. Es bedarf daher eines unorthodoxen und radikalen Einsatzes aller verfügbaren wirtschaftspolitischen Instrumente. Zum Beispiel ein sofortiger Fiskal-Stimulus. Dieser Klassiker dürfte in der gegenwärtigen Krise als Weckruf dienen. Im Übrigen gehörte James K. Galbraith (Wirtschaftsprofessor an der Uni von Texas at Austin), der Sohn des Autors zum engen Beratungsteam des designierten US-Präsidenten Barack Obama im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in den USA. Das Werk ist insofern eine Pflichtlektüre, als der Vorfall von 1929 keineswegs exogen war und sich heute oder morgen wiederholen kann.

Cezmi Dispinar