Dienstag, 11. November 2014

Das Deutschland-Argument in der Eurozone

Die Eurozone steckt in einer verlängerten nachfrage-defizitären Rezession. Deutschland hingegen erzielt Überschüsse in den öffentlichen Haushalten und reduziert seine Schuldenlast und gewinnt Exportmärkte dazu. Die Krisenländer sollen Strukturreformen umsetzen und mehr Flexibilität in den Märkten zulassen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit selbst erhöhen.

Solche Argumente tragen vor allem Hardliner der von der deutschen Regierung auf den Rest der Eurozone aufgezwungenen Austeritätspolitik öfters vor. Neuerdings hat auch Otmar Issing in einem wunderlichen Artikel („Blame Germany for bad policies, not its reluctance to spend more“) in FT einen identischen Standpunkt vorgestellt. Seine Argumentation ist aber irrelevant, wenn v.a. die Inflationsrate in der EWU unter dem Ziel der EZB verläuft und die Zielinflation der EZB von Deutschland seit Jahren unterboten wird.

Allerdings sollte man auch nicht mit den folgenden Argumenten dagegenhalten, die auf die falsche Richtung hindeuten, schreibt Simon Wren-Lewis in seinem Blog: (1) Deutschland brauche eine expansive Fiskalpolitik und (2) Deutschland müsse seinen Nachbarn in der Eurozone helfen.

Das erste Argument ist problematisch, weil es die restriktive Fiskalpolitik (fiscal rules) legitimisiert, die eigentlich den Ursprung der gegenwärtigen ökonomischen Widrigkeiten in der Eurozone ausmacht. Steckt die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle, ist ein Konjunkturprogramm (fiscal stimulus) notwendig, da die herkömmliche Geldpolitik zu kurz greift, während die nominalen Zinsen nahe null liegen (zero lower bound).

Auch das zweite Argument ist heikel, weil es einerseits mit dem populistischen Sentiment in Deutschland auf einer Wellenlänge liegt, wonach Deutschland immer angefragt werde, die Krisenländer zu retten (bail-out), die haushaltspolitisch unverantwortlich verschwenderisch handeln. 

Und weil es andererseits impliziert, dass Deutschland mit seiner gegenwärtigen makroökonomischen Politik Recht hätte. Ganz im Gegenteil muss Deutschland von dieser Position (Austerität mitten in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft) wegkommen.



Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss im Verhältnis zum BIP, Graph: FRED, Fed St. Louis


Die unbequeme Wahrheit für Deutschland ist, dass es Hochkonjunktur braucht, und zwar mit einer Inflationsrate deutlich über dem Ziel der Preisstabilität (2%), legt der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor dar.

Die Fehlausrichtung der aktuellen Wettbewerbsfähigkeit ist ein Ergebnis des niedrigen Nominallohnwachstums in Deutschland über die 2000-2007 Periode, was im Endeffekt in der Tat eine „beggar my neighbour policy“ in Bezug auf den Rest der Eurozone bedeutet, so Wren-Lewis.

Die Frage ist, wie die Korrektur stattfindet? Die effiziente Lösung wäre eine Inflationsrate über 2% in Deutschland und unter 2% im Rest der Eurozone. Eine ineffiziente Lösung wäre eine Inflationsrate nahe 2% in Deutschland und eine Deflation im Rest der Eurozone.

Deutschlands gegenwärtige Position ist nicht nachhaltig, mit einem riesigen Leistungsbilanzüberschuss und einer relativen Konjunkturlage. Das, was zwischen 2000 und 2007 geschehen ist, muss rückgängig gemacht werden. In den nächsten fünf bis zehn Jahren müsste die Inflation in Deutschland deutlich über dem Durchschnittswert der Eurozone liegen, argumentiert Wren-Lewis weiter.

Der Blick auf die Verbraucherpreise kann die nationalen Unterschiede tendenziell maskieren: Im Zeitraum 2000-2007 betrug der Konsumentenpreisindex in der Eurozone 2,2%. In Deutschland 1,7%. Wenn man aber den BIP-Deflator heranzieht, ergibt sich ein anderes Bild: Die Inflation belief sich in der Eurozone im Durchschnitt auf knapp über 2%. In Deutschland lag sie bei 0,8%.

Während Löhne und Kaufkraft der deutschen Verbraucher seit 2000 stagnieren, hat Deutschland das gemeinsam festgelegte Inflationsziel unterlaufen, um durch Lohnmoderation seine Wettbewerbsfähigkeit gegen den Rest der europäischen Länder auszuspielen. Berlins Forderung, auch der Rest der Eurozone soll durch „internal devaluation“ seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern, läuft darauf hinaus, die Rezession in der Eurozone weiter zu vertiefen, und zwar mit Deflation im Ergebnis.

1 Kommentar:

Lohmeyer hat gesagt…

Dann wird es ja spannend bleiben, ob die Regierung wirklich kurzfristig von der Austeritätspolitik abweicht. So viel Sachverstand eine Situation in Gänze zu analysieren, scheint in Berlin selten vorhanden zu sein.