Buchbesprechung:
Marcel Fratzscher: Die
Deutschland-Illusion. Warum wir unsere Wirtschaft überschätzen und Europa
brauchen. Hanser Verlag, München,
2014
Bereits im Vorwort steht zu
lesen, dass das Ziel des Buches ist, „die deutsche Perspektive mit der unserer
europäischen Nachbarn zusammenzubringen, Unterscheide und Gemeinsamkeiten zu
beleuchten und Lösungswege aufzuzeigen“.
Marcel Fratzscher betrachtet Deutschland als „Pol der Stabilität während der
europäischen Krise“ und unterstreicht in den ersten 100 Seiten des Buches
unermüdlich die nachhaltige Haushaltskonsolidierung und das „Beschäftigungswunder“,
welches v.a. dem verantwortungsvollen Verhalten aller Sozial- und Tarifpartner
in Deutschland zu verdanken sei, als ob es eine Tugend wäre, mitten in einer
schweren Depression Ausgaben (bzw. Löhne) zu kürzen.
Gestützt auf die neoklassische
Arbeitsmarkttheorie vertritt der Präsident des deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) die
Meinung, dass die Lohnentwicklung die Produktivität der Arbeitnehmer nicht
übersteigen darf. Sonst bestehe die Gefahr, dass Unternehmen die Beschäftigung
reduzieren.
Vor diesem Hintergrund ist der
Autor natürlich kein Befürworter des Mindestlohns. Wenn aber der Lohn eines
Arbeitnehmers eng an seine Produktivität gebunden sein
sollte, so die Vorstellung von Fratzscher, dürften Lehrer, Krankenschwester und
Polizisten niemals mehr Lohn bekommen. Die Idee ist wahrscheinlich von einem
anderen Stern.
Fratzscher unterrichtet zwar
Makroökonomie an der Humbort-Universität,
aber er ist auf das einzelwirtschaftliche Denken versessen. Dass das
einzelwirtschaftliche Denken für die Gesamtheit falsch sein kann, lässt er
unbeachtet.
Die Investitionslücke, die er
später als Investitionsschwäche bezeichnet, begründet er v.a. mit strukturellen
Problemen. Notwendig ist daher
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, mit Steuersenkungen, dem Abbau der
Bürokratie und der Kürzung der sozialen Systeme. Das Wort Nachfrage muss man im
Buch, das sich im Grunde genommen wie ein Pamphlet lesen lässt, mit der Lupe suchen: Es wimmelt vor makroökonomischen
Trugschlüssen und neoliberalem Unfug,
von Anfang bis zum Ende.
Die Krisenländer glauben, dass
Deutschland ihnen falsche wirtschaftspolitische Reformen aufgezwungen habe.
Deutschland ist aber für die Austeritätspolitik nicht verantwortlich, so
Fratzscher. Ein paar Seiten später schreibt er selbst, dass grundlegende
europäische Reformen eindeutig die deutsche Handschrift tragen: Die Troika
(IWF, EU-Kommission und EZB) legt starken Wert auf Strukturreformen und
fiskalische Austerität.
Zugleich betont Fratzscher, dass
v.a. Deutschland den IWF als Teil der Rettungsprogramme an Bord gebracht habe.
Auch beim Fiskalpakt ist der deutsche Einfluss deutlich anzumachen, so der
Autor weiter. Aber Deutschland, das seines Erachtens in der Debatte um die
europäische Krise als einen Sündenbock dargestellt werde, sei für die
Austeritätspolitik nicht verantwortlich! Fratzscher beschäftigt sich sogar
später mit der Frage, warum Deutschland sich als Opfer darstellt, obwohl es die
europäische Politik in den letzten Jahren so stark dominiert hat.
Die Argumentation, die europäische
Krise als "Staatsschuldenkrise" darzustellen, läuft darauf hinaus, die Schuld dem
Staat in die Schuhe zu schieben. Die Behauptung, dass die Krise ihren Ursprung
in einer zu expansiven Fiskalpolitik hat, ist einfach an den Haaren
vorbeigezogen. Spanien und Irland hatten am Vorabend der Krise einen
Haushaltsüberschuss. Überschuldung hat im privaten Sektor stattgefunden, nicht
im öffentlichen Sektor.
Dass die "Finanzmärkte Staaten
keinen Spielraum für einen staatlichen Nachfrageimpuls geben", ist bei allem
Respekt Quatsch. Die Spatzen pfeiffen es von den Dächern, dass die Märkte sich
um die Inflation, Haushaltsdefizite oder Zahlungsverzug (default) keine Sorgen
machen. Die Niedrigzinsen signalisieren Deflation und anhaltende Stagnation.
Doch besteht der Autor auf Massnahmen auf der Angebotsseite (sprich:
Strukturreformen), während die ganze Eurozone unter Nachfrageausfall leidet. In
diesem Zusammenhang betrachtet Fratzscher sogar die jüngsten unkonventionellen Massnahmen
der EZB als „quasi-fiskalisch“.
Auch des Autors Verständnis von
einer Währungsunion ist seltsam. Es geht in einer Währungsunion um die
Harmonisierung der Inflationsraten. Wettbewerb unter Nationen hat mit dem
sinnvollen Wettbewerb unter Unternehmen nichts zu tun. Der Autor ist aber
anderer Meinung. Was er unter mehr
Koordination von wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf europäischer Ebene
versteht, ist die „Germanisierung“ der Wirtschaftspolitik der Euro-Zone. Nichts
anderes.
Was vergessen wird, ist die
Tatsache, dass niemand in Europa oder in den USA für dauerhaft hohe Haushaltsdefizite oder hohe Staatsschulden plädiert. Es geht in der Depression
darum, die geplanten Ersparnisse mit den Investitionen in Einklang zu bringen. Das
ist der Angelpunkt. Die Zinsen sind auch am langen Ende der Ertragskurve
gesunken. Das zeigt uns, dass die Märkte anhaltende Wirtschaftsschwäche befürchten.
Die Botschaft ist eindeutig: Nimm Geld auf (d.h. verschulde dich) und gib es
aus (d.h. investiere).
Schade, dass die schönen,
aussagekräftigen Abbildungen allesamt ganz hinten des Buches geschoben sind. Wären
sie in die jeweiligen Abschnitten fliessend eingebaut worden, hätte man die innere
Leere des Buches etwas erträglicher empfinden können.
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