Freitag, 14. November 2014

Warum Keynes heute wichtig ist

Wenn die nominalen Zinsen nahe null liegen (zero lower bound), verliert die herkömmliche Geldpolitik an Wirksamkeit, weil die Zinsen nicht unter null gesenkt werden können, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Gemäss der Standard-Lehrbücher der Wirtschaftswissenschaft erzielt bei Zinsen nahe null die Fiskalpolitik die beste Hebelwirkung, wie Jean-Pierre Danthine, Vizepräsident des Direktoriums der SNB einst unterstrichen hat.

Leider sehen sich die meisten Regierungen angesichts der politischen Realitäten ausser Stande, expansive Fiskalpolitik einzusetzen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzuregen, während das Wirtschaftswachstum weiterhin schwach bleibt und die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verharrt.

Die Gegenwehr gegen Fiscal Stimulus à la Keynes basiert i.d.R. auf der Theorie der Ricardianischen Äquivalenz, wonach eine vorübergehende Steuersenkung die Ausgaben nicht stimulieren kann, weil die Menschen denken, dass die gegenwärtige Ausbeute durch Steuererhöhungen in Zukunft wieder wettgemacht würden.

Peter Temin und David Vines erklären in einem lesenswerten Artikel („Why Keynes is important today?“) in voxeu, warum der Ricardianische Ansatz nichts taugt.

Die Theorie der Ricardianischen Äquivalenz, die die derzeitige ökonomische Diskussion dominiert, beruht auf zwei wichtige Annahmen: (1) die Verbraucher sind „vorausschauend“ (forward looking) und (2) die Preise sind flexibel.

Sobald ein Keynesianer eine expansive Fiskalpolitik vorschlägt, kommt ein moderner Ökonom mit dem Hinweis auf die Ricardianische Äquivalenz, beschreiben die Autoren.

Keynes ging davon aus, dass erstens die Verbraucher nicht allermeiste Zeit zukunftsbezogen handeln, wenn sie z.B. durch Mangel an Einkommen eingeschränkt sind und dass zweitens die Preise nicht flexibel sind. Insbesondere die Löhne sind in der kurzen Frist nach unten starr (sticky). Diese Annahmen erklären den Anstieg der unfreiwilligen (involuntary) Arbeitslosigkeit, die mit einer expansiven Fiskalpolitik bekämpft werden kann.

Die Frage ist aber, welche Theorie heute relevant ist?

Temin und Vines argumentieren, dass wir heute wissen, dass die Löhne nach unten starr sind. Das naheliegendste Beispiel ist Südeuropa (Peripherie der Eurozone), wo es fast unmöglich erscheint, die Forderungen der Gläubiger (Kern Euro-Zone), die Löhne rasch zu senken (internal devaluation). Und wir wissen v.a., dass nicht alle privaten Akteure in der Wirtschaft vorausschauend sind, so die Autoren weiter.

Vor der Krise sind die Kreditaufnahme und die Ausgaben in einer Weise gestiegen, dass es nicht nachhaltig war. Nun schränken die Konsumenten ihre Ausgaben ein und die Unternehmen investieren nicht, auch wenn die nominalen Zinsen nahe null liegen.

Das sind genau die Bedingungen, die Keynes dargelegt hat, wo eine expansive Fiskalpolitik gut funktioniert. Und das sind Bedingungen, wo die Geldpolitik nicht funktioniert, auch wenn die politischen Entscheidungsträger einseitig auf die geldpolitischen Massnahmen setzen, um die Krise zu bekämpfen. Es gibt also eine Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der gegenwärtigen Volkswirtschaft und den Theorien der aktuellen Makroökonomen.

Was ist also zu tun? In vielen Anwendungsdisziplinen wie z.B. Medizin gehen die Praktiker zu den Wurzeln der Sache zurück, wenn die Fakten sich ändern. Wenn die derzeitige Praxis nicht zum gewünschten Ergebnis führt, suchen sie in ihrem Handwerkzeug nach neuen Instrumenten. Wenn ihre Annahmen sich als falsch erweisen, halten sie nach weiteren, geeigneteren Annahmen Ausschau. Nicht aber die modernen Makroökonomen: Sie sagen, dass wir es einfach aushalten müssen: Wir haben mit einer säkularen Stagnation zu tun.

Temin und Vines bedauern es vor diesem Hintergrund, dass heute auf Keynes‘ Theorie aus den Erfahrungen  der 1930er Jahren nicht zurückgegriffen wird, was eigentlich auf kurze Sicht eine Abhilfe schaffen kann und auch auf lange Sicht funktionieren würde.



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