Wenn die nominalen Zinsen nahe null liegen (zero lower bound),
verliert die herkömmliche Geldpolitik an Wirksamkeit, weil die Zinsen nicht
unter null gesenkt werden können, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Gemäss der Standard-Lehrbücher
der Wirtschaftswissenschaft erzielt bei Zinsen nahe null die Fiskalpolitik die
beste Hebelwirkung, wie Jean-Pierre Danthine, Vizepräsident des Direktoriums der SNB einst
unterstrichen hat.
Leider sehen sich die meisten
Regierungen angesichts der politischen Realitäten ausser Stande, expansive
Fiskalpolitik einzusetzen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzuregen,
während das Wirtschaftswachstum weiterhin schwach bleibt und die
Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verharrt.
Die Gegenwehr gegen Fiscal
Stimulus à la Keynes basiert i.d.R. auf der Theorie der Ricardianischen Äquivalenz, wonach eine vorübergehende Steuersenkung
die Ausgaben nicht stimulieren kann, weil die Menschen denken, dass die
gegenwärtige Ausbeute durch Steuererhöhungen in Zukunft wieder wettgemacht
würden.
Peter Temin und David Vines
erklären in einem lesenswerten Artikel („Why
Keynes is important today?“) in voxeu, warum der Ricardianische Ansatz nichts taugt.
Die Theorie der Ricardianischen
Äquivalenz, die die derzeitige ökonomische Diskussion dominiert, beruht auf
zwei wichtige Annahmen: (1) die Verbraucher sind „vorausschauend“ (forward looking) und (2) die Preise sind
flexibel.
Sobald ein Keynesianer eine
expansive Fiskalpolitik vorschlägt, kommt ein moderner Ökonom mit dem Hinweis
auf die Ricardianische Äquivalenz, beschreiben die Autoren.
Keynes ging davon aus, dass erstens
die Verbraucher nicht allermeiste Zeit zukunftsbezogen handeln, wenn sie z.B. durch
Mangel an Einkommen eingeschränkt sind und dass zweitens die Preise nicht
flexibel sind. Insbesondere die Löhne sind in der kurzen Frist nach unten starr
(sticky). Diese Annahmen erklären den
Anstieg der unfreiwilligen (involuntary)
Arbeitslosigkeit, die mit einer expansiven Fiskalpolitik bekämpft werden kann.
Die Frage ist aber, welche
Theorie heute relevant ist?
Temin
und Vines
argumentieren, dass wir heute wissen, dass die Löhne nach unten starr sind. Das
naheliegendste Beispiel ist Südeuropa (Peripherie der Eurozone), wo es fast
unmöglich erscheint, die Forderungen der Gläubiger (Kern Euro-Zone), die Löhne
rasch zu senken (internal devaluation).
Und wir wissen v.a., dass nicht alle privaten Akteure in der Wirtschaft
vorausschauend sind, so die Autoren weiter.
Vor der Krise sind die
Kreditaufnahme und die Ausgaben in einer Weise gestiegen, dass es nicht
nachhaltig war. Nun schränken die Konsumenten ihre Ausgaben ein und die
Unternehmen investieren nicht, auch wenn die nominalen Zinsen nahe null liegen.
Das sind genau die Bedingungen,
die Keynes dargelegt hat, wo eine expansive Fiskalpolitik gut funktioniert. Und
das sind Bedingungen, wo die Geldpolitik nicht funktioniert, auch wenn die
politischen Entscheidungsträger einseitig auf die geldpolitischen Massnahmen setzen,
um die Krise zu bekämpfen. Es gibt also eine Diskrepanz zwischen den
Bedürfnissen der gegenwärtigen Volkswirtschaft und den Theorien der aktuellen Makroökonomen.
Was ist also zu tun? In vielen
Anwendungsdisziplinen wie z.B. Medizin gehen die Praktiker zu den Wurzeln der
Sache zurück, wenn die Fakten sich ändern. Wenn die derzeitige Praxis nicht zum
gewünschten Ergebnis führt, suchen sie in ihrem Handwerkzeug nach neuen
Instrumenten. Wenn ihre Annahmen sich als falsch erweisen, halten sie nach
weiteren, geeigneteren Annahmen Ausschau. Nicht aber die modernen
Makroökonomen: Sie sagen, dass wir es einfach aushalten müssen: Wir haben mit
einer säkularen Stagnation zu tun.
Temin und Vines bedauern es vor
diesem Hintergrund, dass heute auf Keynes‘ Theorie aus den Erfahrungen der 1930er Jahren nicht zurückgegriffen wird,
was eigentlich auf kurze Sicht eine Abhilfe schaffen kann und auch auf lange
Sicht funktionieren würde.
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