Sonntag, 25. März 2012

Schweiz hat aussergewöhnlich tiefe Kerninflation

Die Notenbankgeldmenge (Notenumlauf + Giroguthaben inländischer Banken bei der SNB) in der Schweiz hat zwar seit September abgenommen, aber sie bleibt nahe dem historischen Höchststand, wie die SNB im aktuellen Quartalsheft 1/2011 mitteilt.

Im Februar betrug die Notenbankgeldmenge 222 Mrd. Franken, gegenüber 253 Mrd. Franken im September 2011 und rund 45 Mrd. Franken im Herbst 2008 vor dem Ausbruch der Finanzkrise.

Die weit definierten Geldaggregate wie M1 (+10,6%), M2 (+8,9%) und M3 (+6,4%) (Zahlungsmittel in den Händen der privaten Haushalte und Unternehmen) sind in den letzten Monaten auch kräftig gestiegen.

Die Geldaggregate haben weitgehend unabhängig von den grossen Schwankungen der Notenbankgeldmenge zugenommen, was nahelegt, dass die Überschussreserven der Banken seit Ende 2008 sehr gross sind und die Geldschöpfung des Bankenssystems durch die gesetzlichen Mindestreservevorschriften z.Z. nicht beeinträchtigt wird, wie die SNB betont.

Der massive Anstieg der Notenbankgeldmenge wird im Volksmund als „Gelddrucken“ bezeichnet, obwohl feststeht, dass das Wachstum der Verbindlichkeiten auf der Passiv-Seite der SNB-Bilanz aus dem Anstieg der Sichtguthaben (Reserven) stammt. Die Sichtguthaben (d.h. Giroguthaben), die von der SNB nicht verzinst werden, betrugen zwischen Mitte Dezember 2011 und Mitte März 2012 durchschnittlich 218,8 Mrd. Franken.


Schweiz: Notenbankgeldmenge, Graph: SNB Quartalsheft 1/2012

Eine Beschleunigung von Inflation ist aber nicht zu befürchten, weil die Wirtschaft sich nicht in normalen Zeiten befindet. Die Wirtschaft steckt nämlich aufgrund des depressiven Umfeldes in einer Liquiditätsfalle. Der Geldmultiplikator, der das Verhältnis zwischen der Geldmenge (M1 oder M2 oder M3) und der Notenbankgeldmenge (Geldbasis) widerspiegelt, hat sich seit Beginn der Krise halbiert. Der Geldschöpfungsmechnanismus ist m.a.W. zum Erliegen gekommen.

Die Banken gewähren sich gegenseitig weniger Kredite als zuvor und halten aus Vorsichtsgründen mehr Liquidität. Das schlägt sich in einem Rückgang des Geldmultiplikators. Deswegen entsteht kein Inflationsdruck. Ganz im Gegenteil: Die Preise fallen in der Schweiz. Die Kerninflation (core inflation) verzeichnet den 5. Monat in Folge einen negativen Wert. Während des vergangenen Jahres hat sich die Inflationsrate (headline inflation) zwischen +1% und -0,7% bewegt. Damit stehen in der Schweiz kurz- und mittelfristig Deflationsgefahren im Vordergrund.


Schweiz: Produktionslücke (output gap), Graph: SNB Quartalsheft 1/2012

Die aussergewöhnliche Unterauslastung der Industrie deutet auch auf Deflation hin. Wie gut die Produktionsfaktoren einer Volkswirtschaft ausgelastet sind, zeigt die Produktionslücke (output gap). Es handelt sich dabei um die prozentuale Abweichung des BIP von geschätzten gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials.

Die negative Produktionslücke hat sich in der Schweiz nach Angaben der SNB im vierten Quartal weiter geöffnet, je nach Ansatz, den man berücksichtigen will:

Nach dem Produktionsfunktionsansatz: -1,1%
Nach Hodrick-Prescott-Filter: -0,6%
Nach MV Filter: -0,4%.

Fazit: Eine mengemässige Lockerung der Geldmenge (QE) führt nicht automatisch zu Inflation, wenn die Banken, während die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt, Bargeld horten. Und wer in diesem depressiven Umfeld der Wirtschaft Fiscal Austerity fordert statt Stimulus, macht einen schrecklichen Fehler. Die Süsswasser-Ökonomen geraten daher inzwischen in eine grosse Verlegenheit. Wer hingegen in der Analyse der anhaltenden Krise ein einfaches IS-LM-Modell zugrunde gelegt und sich auf Keynes gestützt hat, behält Recht.

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