Wolfgang
Schäuble wird nicht müde, überall
zu erzählen, dass der Schuldenerlass in der Eurozone nicht erlaubt ist. Der
Bundesfinanzminister beruft sich dabei auf den Artikel 125 des EU-Vertrags.
Schäuble lehnt nicht nur Schuldenschnitt
entschieden ab, sondern auch Schuldenstreckung und Zinsentlastungen.
Im zitierten Artikel steht, dass die
Mitgliedstaaten die Schuldenlasten eines anderen Mitgliedstaates nicht
übernehmen können.
Streng genommen lässt sich Schäubles Interpretation
nicht einmal als "eng ausgelegt" beschreiben, sondern einfach frei erfunden.
Jedenfalls sieht es auch Wolfgang Münchau so, wie er in einem lesenswerten Artikel (“The
make believe world of Eurozone rules”) FT zum Ausdruck bringt.
In jeder Debatte, wo es um den Euro geht, ist es
eine grosse Sache in Europa, zu sagen, dass es “gegen die Regeln” ist.
Niemand weiss zwar, was die Regeln sind. Aber alle wissen, dass die Regeln
beachtet werden müssen.
Nicht nur Schäuble behauptet, dass ein Default im
Euro verboten sei, sondern auch Otmar Issing. Der ehemalige Chefökonom der EZB
hat in einem Interview mit einer italienischen Zeitung gesagt, dass
Schuldenschnitt gegen die EU-Regeln verstosse, legt Münchau weiter dar.
Muss es richtig sein, wenn so wichtige Leute es erzählen? Nein, unterstreicht der Direktor von Eurointelligence mit allem Nachdruck: Es gibt keine solche
Regel. Selbst von einer “no-bailout-Klausel”
zu reden, ist eine ziemlich beladene Auslegung.
Der Europäische Gerichtshof hat im sog.
Pringle-Urteil festgehalten, dass bail-outs auch im Zusammenhang
mit dem Artikel 125 vereinbar sind, sofern damit ein Mitgliedstaat dazu bewogen
werden kann, eine solide Haushaltspolitik zu führen. Es ist keine Rede von
Schuldenschnitt-Verbot.
In einem weiteren Grundsatzurteil vom Juni dieses
Jahres hat der EuGH auch Mario Draghis Versprechen “whatever it takes”
gestützt. Der Einspruch des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist in dieser Hinsicht
angefochten worden. Das heisst, dass die vorherrschende deutsche Auslegung vom
EuGH keine Unterstützung fand.
In einem interessanten Artikel (“Griechenlands
Schuldenlast kann und muss im Euroraum erleichtert werden”) im Bruegel Blog
kommen die Autoren zum Schluss, dass der Schuldenerlass mit ziemlicher Sicherheit
im Einklang mit dem geltenden EU-Recht stehe.
Es hat bestimmt auch damit zu tun, dass das europäische Recht im Falle einer Finanzkrise
keine klare Vorgehensweise bietet, und es daher öfters zu unterschiedlichen
Interpretationen führt.
Hinzu kommt, dass deutsche Verfassungsrechtler für
ihre juristischen Argumente keine ökonomische Erwägungen zulassen, während die
EuGH-Richter es tun, wie Münchau als Fazit festhält. Es geht also bei der
Meinungsverschiedenheit nicht um das Gesetz, sondern um die Politik und
wirtschaftliche Ideologie.
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