Montag, 27. Juli 2015

Schuldenerlass als europäisches Politikum

Wolfgang Schäuble wird nicht müde, überall zu erzählen, dass der Schuldenerlass in der Eurozone nicht erlaubt ist. Der Bundesfinanzminister beruft sich dabei auf den Artikel 125 des EU-Vertrags.

Schäuble lehnt nicht nur Schuldenschnitt entschieden ab, sondern auch Schuldenstreckung und Zinsentlastungen.

Im zitierten Artikel steht, dass die Mitgliedstaaten die Schuldenlasten eines anderen Mitgliedstaates nicht übernehmen können.

Streng genommen lässt sich Schäubles Interpretation nicht einmal als "eng ausgelegt" beschreiben, sondern einfach frei erfunden.

Jedenfalls sieht es auch Wolfgang Münchau so, wie er in einem lesenswerten Artikel (“The make believe world of Eurozone rules”) FT zum Ausdruck bringt.

In jeder Debatte, wo es um den Euro geht, ist es eine grosse Sache in Europa, zu sagen, dass es “gegen die Regeln” ist. Niemand weiss zwar, was die Regeln sind. Aber alle wissen, dass die Regeln beachtet werden müssen.

Nicht nur Schäuble behauptet, dass ein Default im Euro verboten sei, sondern auch Otmar Issing. Der ehemalige Chefökonom der EZB hat in einem Interview mit einer italienischen Zeitung gesagt, dass Schuldenschnitt gegen die EU-Regeln verstosse, legt Münchau weiter dar.

Muss es richtig sein, wenn so wichtige Leute es erzählen? Nein, unterstreicht der Direktor von Eurointelligence mit allem Nachdruck: Es gibt keine solche Regel. Selbst von einer “no-bailout-Klausel” zu reden, ist eine ziemlich beladene Auslegung.

Der Europäische Gerichtshof hat im sog. Pringle-Urteil festgehalten, dass bail-outs auch im Zusammenhang mit dem Artikel 125 vereinbar sind, sofern damit ein Mitgliedstaat dazu bewogen werden kann, eine solide Haushaltspolitik zu führen. Es ist keine Rede von Schuldenschnitt-Verbot.

In einem weiteren Grundsatzurteil vom Juni dieses Jahres hat der EuGH auch Mario Draghis Versprechen “whatever it takes” gestützt. Der Einspruch des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist in dieser Hinsicht angefochten worden. Das heisst, dass die vorherrschende deutsche Auslegung vom EuGH keine Unterstützung fand.

In einem interessanten Artikel  (“Griechenlands Schuldenlast kann und muss im Euroraum erleichtert werden”) im Bruegel Blog kommen die Autoren zum Schluss, dass der Schuldenerlass mit ziemlicher Sicherheit im Einklang mit dem geltenden EU-Recht stehe.

Es hat bestimmt auch damit zu tun, dass das europäische Recht im Falle einer Finanzkrise keine klare Vorgehensweise bietet, und es daher öfters zu unterschiedlichen Interpretationen führt.

Hinzu kommt, dass deutsche Verfassungsrechtler für ihre juristischen Argumente keine ökonomische Erwägungen zulassen, während die EuGH-Richter es tun, wie Münchau als Fazit festhält. Es geht also bei der Meinungsverschiedenheit nicht um das Gesetz, sondern um die Politik und wirtschaftliche Ideologie.


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