Sonntag, 27. April 2014

Vollgeld-System versus fraktionales Reserve-System

Martin Wolf will Banken die Geldschöpfung unterbinden. Der Mitherausgeber und Chef-Kommentator von Financial Times (FT) aus London plädiert in einem Meinungsartikel („Strip private banks of their power to create money“) in FT für den Aufbau von „100% reserve banking“.

Zur Erinnerung: Die Banken schöpfen Geld, indem sie Kredite vergeben. Die Kredite werden i.d.R. nicht von den Einlagen der anderen Bankkunden finanziert. Das heisst, dass die Banken das Geld „aus dem Nichts“ (out of thin air) schaffen. Nimmt jemand Kredit auf, wird ihm der entsprechende Betrag seinem Konto auf der Bank gutgeschrieben.

Wolf will mit dem Vollgeld-System den Banken übermässige Kreditvergabe verunmöglichen. Beim „100% reserve system“ können die Banken nur dann Geld ausleihen, was ihnen als Einlagen zur Verfügung gestellt wird. 

Da die private Buchgeldschöpfung durch die Banken Instabilität in der Wirtschaft verursache, soll laut Wolf die Notenbank die Aufgabe der Geldschöpfung übernehmen, um für einen ausgeglichenen Konjunkturzyklus zu sorgen.

Mit Bezugnahme auf Wolfs Kommentar rufen Atif Mian und Amir Sufi in ihrem Blog den in den 1930er Jahren unterbreiteten und als „Chicago Plan“ bekannten Vorschlag zur Unterbindung der Geldschöpfung mit einem Mindestreservesatz von 100% in Erinnerung. Irving Fisher hatte damals im Sog der Great Depression die Idee tatkräftig unterstützt. Eine „lockere Schraube“ im gegenwärtigen amerikanischen Geld- und Bankensystem ist die Anforderung von nur „fractional reserves“, lautete damals eine Bemerkung unter einigen Ökonomen.

Die Autoren deuten darauf hin, dass sie in ihrem neuen Buch auf das Thema „fractional reserves versus 100% reserve banking“ ausführlich eingehen.


Financial Stress Index, Graph: FRED, Fed St. Louis


Auch Paul Krugman findet die Debatte „echt interessant“. Die Befürworter des Vollgeldmodells vertreten die Meinung, dass die Tatsache, dass die Banken nur einen Teil (fraction) der Einlagen (bzw. der möglichen Nachfrage) bei der Zentralbank als Reserve halten müssen, naturgemäss den Weg für Bank Runs bereite und zu sich selbst erfüllenden Vertrauensverlusten führe. Deshalb setzen sie sich dafür ein, den Banken die Geldschöpfung zu entnehmen.

Wolf scheint sich dabei nur auf kurzfristige Schuldtitel (short-term debt) zu fokussieren, was im Angesicht der Natur der Finanzkrise von 2008 eine enge Sicht darstellt, argumentiert Krugman zu Recht.

Denn es gab im Verlauf der Finanzkrise von 2008 kaum Bank Runs wegen Kundeneinlagen, sondern massive Stürme im Shadow Banking System, und zwar in Sachen Repo (d.h. Kreditgeschäfte über Nacht).

Das Overnight-Repo Geschäft ist eine Finanztransaktion, die einen gleichzeitigen Verkauf und Rückkauf eines Wertpapiers kombiniert. Es sind m.a.W. Wertpapierpensionsgeschäfte, die über Nacht mit einer Rückkaufvereinbarung abgeschlossen werden. Die Kreditvergabe über Nacht erfüllt im Grunde genommen die Funktionen eines Einlagengeschäftes (deposit banking), schafft aber die gleiche Art von Risiken, legt Krugman dar.

Wolfs Versäumnis ist gross, ergänzt der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften: Wenn wir einen Mindestreservesatz von 100% einführen, treiben wir mehr Finanzinstitute in das Schatten Bankensystem, was das System noch riskanter machen würde.

Krugman wirft v.a. die Frage auf, ob wir uns wirklich sicher sind, dass die von Banken verursachten Probleme die ganze Geschichte ausmachen, was schief gelaufen ist.

Ein Blick auf den Finanzmarkt Stress-Index legt nahe, dass die Rückkehr zur Normalität in den Finanzmärkten (durch Rettungsmassnahmen, d.h. bailouts und staatliche Garantien usw.) nicht eine schnelle Erholung der realen Wirtschaft zur Folge hat. Die Wirtschaft ist immer noch schwer angeschlagen (depression) und viele fortgeschrittene Volkswirtschaften sind am Rande einer Deflation, und zwar seit mehr als fünf Jahren.

Die Stürme auf Banken (bank runs) mögen die Dinge auf die Spitze getrieben haben. Aber die Probleme sind tiefer. Das Kernproblem betrifft übermässige Verschuldung (leverage) und die daraus resultierende Bilanz-Probleme der privaten Haushalte (balance sheet recession), so Krugman als Fazit:

Weder das 100% reserve banking noch die Besteuerung von Repo-Geschäften (wie John Cochrane es vorschlägt) kann den übermässigen Einsatz von Fremdkapital wirksam angehen.

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