Montag, 26. Januar 2009

Leistungsbilanz: Wer lebt über seine Verhältnisse?

In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger von heute (Seite 21-23) kritisiert Klaus Wellershoff, Chefökonom der Schweizer Grossbank UBS, dass die Staaten versuchen, den Nachfrageausfall mit Fiskalpolitik zu ersetzen. Zudem vertritt er die Ansicht, dass „wir über unsere Verhältnisse leben“. Es bleibt aber völlig unklar, wen er mit „wir“ meint. Die Schweiz und/oder Deutschland? Oder hat Wellershoff die amerikanische Staatsbürgerschaft? Denn er fügt hinzu: „Und eben nicht nur in den USA, sondern auch in Grossbritannien, in Spanien und Irland sowie in einer Reihe weiterer Länder in Europa und Asien“. Was ist jetzt? Lebt die Schweiz über ihre Verhältnisse?


Die Länder, die einen Überschuss in der Leistungsbilanz (LB) aufweisen, leben unter ihren Verhältnissen, da sie mehr Geld aus dem Ausland einnehmen als sie dort ausgeben. Schweiz hat einen LB-Überschuss. Das heisst, dass die Schweiz per Saldo Forderungen gegenüber dem Ausland hat. Die Schweiz lebt also nicht über ihre Verhältnisse.

Die Länder, die hingegen ein Defizit in der Leistungsbilanz aufweisen, leben über ihre Verhältnisse, da sie im Ausland mehr Geld ausgeben, als sie von dort an Einnahmen erzielen. Beispielsweise zählen die USA zu den Ländern, die über ihre Verhältnisse leben.

Was ist aber das Fatale daran, wenn man (fälschlicherweise) annimmt, dass man über seine Verhältnisse lebt? Dann wird man versuchen, seine Ausgaben einzuschränken. Das bedeutet, es wird gespart, und zwar über alle Ebenen der Wirtschaft. Der Staat wird sich mit Ausgaben zurückhalten. Unternehmen werden Investitionen stornieren. Haushalte werden ihren Verbrauch beschränken. Die aggregierte Nachfrage wird folglich stark einbrechen. Ohne Nachfrage gibt es aber kein Wachstum. Bekanntlich lebt eine freie Marktwirtschaft vom Wachstum, d.h. von der Nachfrage.

Im Übrigen lebt auch Deutschland nicht über seine Verhältnisse. Dazu liefert Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaft an der Uni Würzburg eine anschauliche und überzeugende Analyse in seinem grossartigen Buch „Wir sind besser, als wir glauben“ (Pearson Studium, 2005).

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