Sonntag, 6. März 2016

Unabhängige Zentralbanken und Besessenheit von Austerität

Merkel und Schäuble pochen auf Sparkurs, meldet FAZ in der online-Ausgabe„Ein Haushalt ohne neue Schulden ist gerade in einem Land mit alternder Bevölkerung vernünftig“, sagt Merkel in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“. Trotz Flüchtlingsfrage wollen die Kanzlerin und der Finanzminister an der „schwarzen Null“ festhalten.

Das ist ohne Zweifel eine bemerkenswerte Austerität-Story, als ob eine Volkswirtschaft wie ein Privathaushalt funktionieren würde. Dass dem nicht so ist, zeigt das Standard-Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre am Beispiel von „paradox of thrift“ überzeugend auf:

Das einzelwirtschaftliche Denken („schwäbische Hausfrau“-Politik) für die Gesamtheit ist falsch. Die Ausgaben des einen sind nämlich die Einnahmen des anderen.

Wenn in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft alle sparen, sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und dadurch verringert sich auch das Wirtschaftswachstum.

Interessant ist in diesem Zusammenhang aus politischer Sicht die Rollenzuteilung zwischen dem Schatzamt und der Zentralbank.

In der Nachkriegszeit bis zu den Anfängen der 1970er Jahre gab es einen Konsens in den USA und in Grossbritannien, dass es zu den Prioritäten der Regierung gehört, für ein angemessenes Niveau der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu sorgen und die Inflation unter Kontrolle zu halten.

Das bedeutete im Grunde genommen, dass die Regierungen mit Keynesianismus vertraut sein müssten. Ein keynesianisches Rahmenwerk war also im öffentlichen Diskurs weitgehend akzeptiert. Auch Milton Friedman hat ein theoretisches Modell à la Keynes verwendet.


Nach der Stagflation in den 1970er Jahren wurde jedoch das Augenmerk für die Nachfrage-Steuerung weg von der Fiskalpolitik ab in Richtung auf die Geldpolitik verlagert. Die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wurde damit aussschliesslich der Geldpolitik zugeordnet.

Die neue „Konsens-Zuordnung“ hat jedoch eine Achillesferse, die dann am deutlichsten zur Entfaltung kommt, wenn die Wirtschaft an der Nullzins-Grenze (zero lower bound) ankommt, wie Simon Wren Lewis in seinem Blog beschreibt.

Solange die wirtschaftspolitischen Fragen (z.B. die Steuerung der Nachfrage) der Zentralbank überlassen werden, während die Regierung sich „nur“ um haushaltspolitische Fragen (v.a. aber Defizitbekämpfung) kümmert, gerät die Zentralbank in eine Sackgasse, wenn die Zinsen nahe null liegen.

Ein konkretes Beispiel: Die EZB hat sich nach der Finanzkrise von 2008 geweigert, die Regierungen im Euro-Raum zu stützen und sogar mir nichts, dir nichts zugelassen, dass aus einer griechischen Schuldenfinanzierung eine Krise der Eurozone-Krise geworden ist.

Die darauf folgende Besessenheit von Sparkurs (fiscal austerity) im Euro-Raum ist laut Prof. Lewis zum Teil deshalb entstanden, weil die Regierungen die Nachfragesteuerung nicht mehr als ihre Hauptverantwortung betrachten.

Und die Zentralbank, die damit beauftragt worden ist, scheitert daran, einzugestehen, dass sie ihre Aufgabe (zumindest an der Nullzinsgrenze) nicht mehr wahrnehmen kann, legt der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor weiter dar.

Das stimmt zwar nicht ganz, weil Mario Draghi, EZB Präsident in den vergangenen Monaten ein paar Mal deutlich gesagt hat, dass nun die Politik daran ist, die Wirtschaft anzukurbeln, weil die EZB mit dem Einsatz der unkonventionellen Geldpolitik bereits viel unternommen habe, aber die Nachfrage nicht mehr in Schwung bringen kann.

Hier:



Mario Draghi, ECB, 21. Januar 2016, Frankfurt


 Und hier:
  

Mario Draghi, ECB, 15. Februar 2016, Brussels


Die Politik hört aber auf Draghi nicht.

Dennoch hat Lewis recht, darauf hinzuweisen, dass die träge und schmerzhafte Erholung aus der Great Recession im Euro-Raum auf die Besessenheit von Austerität zurückzuführen ist, wie am Anfang zitierten, aktuellen Aussage der Entscheidungsträger aus Berlin eindeutig zum Ausdruck kommt.

Es liegt nicht an Ökonomen, sondern an der Politik. Eine mit Geld finanzierte Expansion (money financed fiscal expansion) könnte zum Weg aus der Rezession führen. Ökonomen haben aber viel dazu beigetragen, dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken mit Austerität-Besessenheit die Überwindung der Rezession fast unmöglich macht.






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