Merkel und Schäuble pochen auf Sparkurs, meldet FAZ in der online-Ausgabe. „Ein Haushalt ohne neue Schulden ist gerade in
einem Land mit alternder Bevölkerung vernünftig“, sagt Merkel in einem
Interview mit der „Bild am Sonntag“. Trotz Flüchtlingsfrage wollen die
Kanzlerin und der Finanzminister an der „schwarzen Null“ festhalten.
Das ist ohne Zweifel eine bemerkenswerte
Austerität-Story, als ob eine Volkswirtschaft wie ein Privathaushalt funktionieren
würde. Dass dem nicht so ist, zeigt das Standard-Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre
am Beispiel von „paradox of thrift“ überzeugend auf:
Das einzelwirtschaftliche Denken („schwäbische Hausfrau“-Politik) für die Gesamtheit ist falsch. Die Ausgaben des einen sind nämlich
die Einnahmen des anderen.
Wenn in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft
alle sparen, sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und dadurch verringert
sich auch das Wirtschaftswachstum.
Interessant ist in diesem Zusammenhang aus
politischer Sicht die Rollenzuteilung zwischen dem Schatzamt und der
Zentralbank.
In der Nachkriegszeit bis zu den Anfängen der
1970er Jahre gab es einen Konsens in den USA und in Grossbritannien, dass es zu
den Prioritäten der Regierung gehört, für ein angemessenes Niveau der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu sorgen und die Inflation unter Kontrolle zu
halten.
Das bedeutete im Grunde genommen, dass die
Regierungen mit Keynesianismus vertraut sein müssten. Ein keynesianisches
Rahmenwerk war also im öffentlichen Diskurs weitgehend akzeptiert. Auch Milton Friedman hat ein theoretisches
Modell à la Keynes verwendet.
Nach der Stagflation in den 1970er Jahren wurde
jedoch das Augenmerk für die Nachfrage-Steuerung weg von der Fiskalpolitik ab
in Richtung auf die Geldpolitik verlagert. Die Steuerung der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wurde damit aussschliesslich der Geldpolitik
zugeordnet.
Die neue „Konsens-Zuordnung“ hat jedoch eine
Achillesferse, die dann am deutlichsten zur Entfaltung kommt, wenn die
Wirtschaft an der Nullzins-Grenze (zero lower bound) ankommt, wie Simon Wren Lewis in seinem Blog
beschreibt.
Solange die wirtschaftspolitischen Fragen (z.B.
die Steuerung der Nachfrage) der Zentralbank überlassen werden, während die
Regierung sich „nur“ um haushaltspolitische Fragen (v.a. aber Defizitbekämpfung) kümmert,
gerät die Zentralbank in eine Sackgasse, wenn die Zinsen nahe null liegen.
Ein konkretes Beispiel: Die EZB hat sich nach der
Finanzkrise von 2008 geweigert, die Regierungen im Euro-Raum zu stützen und
sogar mir nichts, dir nichts zugelassen, dass aus einer griechischen Schuldenfinanzierung
eine Krise der Eurozone-Krise geworden ist.
Die darauf folgende Besessenheit von Sparkurs (fiscal austerity) im Euro-Raum ist laut
Prof. Lewis zum Teil deshalb entstanden, weil die Regierungen die
Nachfragesteuerung nicht mehr als ihre Hauptverantwortung betrachten.
Und die Zentralbank, die damit beauftragt worden
ist, scheitert daran, einzugestehen, dass sie ihre Aufgabe (zumindest an der
Nullzinsgrenze) nicht mehr wahrnehmen kann, legt der an der Oxford University lehrende
Wirtschaftsprofessor weiter dar.
Das stimmt zwar nicht ganz, weil Mario Draghi,
EZB Präsident in den vergangenen Monaten ein paar Mal deutlich gesagt hat, dass
nun die Politik daran ist, die Wirtschaft anzukurbeln, weil die EZB mit dem
Einsatz der unkonventionellen Geldpolitik bereits viel unternommen habe, aber
die Nachfrage nicht mehr in Schwung bringen kann.
Hier:
Mario Draghi, ECB, 21. Januar 2016, Frankfurt
Mario Draghi, ECB, 15. Februar 2016, Brussels
Die Politik hört aber auf Draghi nicht.
Dennoch hat Lewis recht, darauf hinzuweisen, dass
die träge und schmerzhafte Erholung aus der Great Recession im Euro-Raum auf
die Besessenheit von Austerität zurückzuführen ist, wie am Anfang zitierten,
aktuellen Aussage der Entscheidungsträger aus Berlin eindeutig zum Ausdruck
kommt.
Es liegt nicht an Ökonomen, sondern an der
Politik. Eine mit Geld finanzierte Expansion (money financed fiscal expansion) könnte zum Weg aus der Rezession
führen. Ökonomen haben aber viel dazu beigetragen, dass die Unabhängigkeit der
Zentralbanken mit Austerität-Besessenheit die Überwindung der Rezession fast unmöglich
macht.
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