Sonntag, 21. Juli 2013

Gibt es tatsächlich keine Liquiditätsfalle?

Wenn die nominalen Zinssätze nahe null liegen, bezeichnet man die Situation, in der sich eine Volkswirtschaft befindet, als Liquiditätsfalle. Denn wenn der Nominalzinssatz gegen die Nullgrenze (zero lower bound) geht, wird die Geldpolitik wirkungslos. Keynes zeigt in seiner Genaral Theory, dass geldpolitische Massnahmen, wenn Depression vorherrscht, nicht sehr wirksam sein können.

Joseph Gagnon schreibt aber in einem Beitrag im Blog von Peterson Institute, dass „wir weit entfernt von einer Liquiditätsfalle sind und es schwer vorstellbar ist, dass wir jemals in einer Liquiditätsfalle stecken“ würden.

„Die Liquiditätsfalle-Hypothese hat eine gewisse Gültigkeit, aber nur, wenn man die Definition der Geldpolitik willkürlich auf den Kauf von kurzfristigen risikolosen Anleihen beschränkt“, unterstreicht der Senior Fellow beim PIIE. Es gebe keinen wirtschaftlichen Grund für eine solche eingeschränkte Sicht der Geldpolitik.

Während die Geldpolitik aus Geld-drucken besteht, um Vermögenswerte zu kaufen, besteht die Fiskalpolitik aus Verkauf von Vermögenswerten, um Waren zu kaufen, durch Steuersenkungen oder Erhöhung von Transfers, legt Gagnon dar. Er ist gegen den Einsatz von Fiskalpolitik, um die Krise zu lösen.

Solange es Vermögenswerte gibt, deren Preis durch zusätzliche Nachfrage erhöht werden kann, bleibt die Geldpolitik wirksam und es gibt keine Liquditätsfalle, hebt der Ökonom weiter hervor. Seiner Meinung nach sollen die Zentralbanken auf eine breite Palette geldpolitischer Instrumente nicht verzichten, sondern neue Strategien für die Nutzung aller Werkzeuge entwickeln, um stabiles Wachstum bei niedriger Inflation aufrechtzuerhalten.

Woher soll aber die zusätzliche Nachfrage kommen? Gagnon erklärt nicht weiter, wie eine Erhöhung der Nachfrage bewirkt werden kann. Es gilt daher, kurz in Erinnerung zu rufen, wie sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zusammensetzt:

Nachfrage = privater Konsum + Export + Investitionen von Unternehmen + Staatsausgaben.

Der private Konsum ist fast zum Erliegen gekommen. Warum? Die Antwort lautet: Austeritätspolitik. Die privaten Haushalte werden angehalten, zu sparen. Da die Abwertung der Währung in der EWU nicht möglich ist, werden die EU-Länder gezwungen, die wirtschaftlichen Probleme durch Lohnsenkungen zu lösen. Der private Verbrauch hängt in erster Linie vom Volkseinkommen ab. Der Konsum gerät ins Stocken, weil die Löhne nicht steigen. Und ohne Wirtschaftswachstum kann das Ergebnis nur Deflation sein.

Die Exportwirtschaft kann auch nicht durch eine künstlich tief gehaltene Währung gestützt werden, zumal die globale Wirtschaft schwer angeschlagen ist.

Die niedrigen Zinsen führen nicht automatisch zu einem Anstieg der Investitionen. Weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrage rückgängig ist, tätigen Unternehmen keine neuen Investitionen. Wo alle Wirtschaftssubjekte gleichzeitig sparen, gibt es kein Wachstum und daher keine Investitionen. Sparen fördert also Investitionen nicht. Ganz im Gegenteil verhindert das Sparen sogar das Investieren.

Was bleibt, ist der Staat. Das heisst: Konsum und Investitionen durch die öffentliche Hand. Um vollbeschäftigung zu erreichen, muss die Nachfrage erhöht werden. Die Ausgabenerhöhungen durch den Staat können zur Bekämpfung der schweren Rezession und der Arbeitslosigkeit beitragen. Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Der Aufschwung, nicht der Abschwung ist daher der richtige Zeitpunkt für Sparmassnahmen. Sonst verfängt man sich im Trugschluss der Verallgemeinerung („fallacy of composition“).

Eine Erhöhung der Staatsausgaben in einer Depression führt dazu, dass manche Leute ein Einkommen erhalten, dass sie sonst nicht hätten. Das zusätzliche Einkommen wird konsumiert und das Geld kommt auf diese Weise anderen Wirtschaftssubjekten zu Gute. Und auch diese geben einen Teil davon aus. Am Schluss steigt das Einkommen um ein Vielfaches (Fiskal Multiplikatoren) der zusätzlichen Staatsausgaben an.

Die Wirtschaft steckt also heute ganz eindeutig in einer Liquiditätsfalle. Die Nachfragelücke ist so tief, dass es Fiscal Stimulus bedarf. Gagnon bemerkt in seinem Artikel, wie die Zentralbanken der fortgeschrittenen Volkswirtschaften es erlauben können, dass die Inflation unter die Zielmarke fällt. Diejenigen Ökonomen, die die Tatsache, dass die Wirtschaft in einer Liquiditätsfalle steckt, zurückweisen, sind im Grunde genommen dafür, die Probleme durch eine Erhöhung der Inflation zu lösen. Der Anstieg der Notenbankgeldmenge (monetary base) führt aber nicht zu einem Anstieg der Inflation, wie die Erfahrung zumindest seit dem Ausbruch der Finanzkrise von 2008 auf beiden Seiten des Atlantiks nahelegt.

Es ist die Nachfrage, die für die Produktion entscheidend ist. Besteht eine Nachfragelücke, drosseln Unternehmen die Produktion. In Zeiten einer schwer angeschlagenen Wirtschaft, wo die Zinsen nahe Null liegen und das zusätzliche Geld nur liquid gehalten wird und Investitionen ausbleiben, sollte der Staat deshalb seine Ausgaben erhöhen, um den anhaltenden Abschwung zu Ende zu bringen. 

Gagnons hauptsächliches Argument greift nicht, weil die gewöhnliche Geldpolitik in Form von Offenmarktgeschäften heute nicht funktioniert. Begründung: Es findet kein trade off zwischen Ertrag und Liquidität statt. Da die Zinsen nahe null liegen, gibt es keine Kosten, das Geld liquid zu halten. Wenn die Zentralbank dabei Schuldtitel am Markt ankauft und dafür Geld in den Markt pumpt, ändert sich nicht viel, wie die japanische Erfahrung in den 1990er Jahren zeigt. Die gewöhnliche Geldpolitik ist also unwirksam. Die Wirtschaft wird aber nicht ewig in der Liquiditätsfalle bleiben. Hier kommt die Bedeutung des unkonventionellen Instruments der Geldpolitik, nämlich der Forward Guidance der Fed ins Spiel. Wenn die Fed die Zinsen für eine gewisse Zeitperiode nicht anhebt, selbst wenn die Wirtschaft sich erholt hat, dann können die Inflationserwartungen der Wirtschaftssubjekte auf lange Sicht beeinflusst werden.



2 Kommentare:

Hardy hat gesagt…

"Es ist die Nachfrage, die für die Produktion entscheidend ist."

Richtig, das weiß selbst der allerletzte Würstchenverkäufer. Nachfrage bestimmt Produktion bestimmt Investition. Den meisten Politikern und vielen Ökonomen ist diese Einsicht indes völlig fremd.

Jörg hat gesagt…

Wie wahr, wie wahr...