Montag, 10. Juni 2013

Ist die Depression „new normal“?

Depression wird zum „new normal“. Das ist der Eindruck, den die Politik in diesen Tagen hinterlässt. Was haben aber die Menschen vor der Finanzkrise als normal betrachtet?

Als normal galt, dass die Wirtschaft jährlich eine Million oder mehr Arbeitsplätze schafft, um mit dem Wachstum der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter Schritt zu halten. Und normal bedeutete eine Arbeitslosenquote von nicht viel mehr als 5%, mit Ausnahme in Zeiten von kurzen Rezessionen. Es gab zwar immer Arbeitslosigkeit, aber unter normal verstand man, dass nur wenige Menschen für einen längeren Zeitraum arbeitslos waren, ruft Paul Krugman mit Nachdruck in seiner lesenswerten Kolumne („The Big Shrug“) am Montag in NYTimes in Erinnerung.

Wie hätten wir in jenen längst vergangenen Tagen auf den Arbeitsmarktbericht von Freitag reagiert, dass die Zahl der Amerikaner mit Jobs noch immer zwei Millionen geringer ist als vor sechs Jahren? 7,6% der Arbeitskräfte sind ohne Beschäftigung und mehr als vier Millionen Menschen sind seit mehr als sechs Monaten arbeitslos. Die Politik reagiert heute so, als ob der Arbeitsmarktbericht gut wäre. Der Bericht wird sogar als „Beweis“ dafür gefeiert, dass das Budget Sequester keinen Schaden angerichtet hat, legt Krugman dar.

Vor mehr als drei Jahren haben einige Ökonomen wie Krugman dagegen gekämpft, dass wegen der schädlichen Besessenheit der politischen Elite von Haushaltsdefiziten die Staatsausgaben gekürzt wurden, anstatt erhöht zu werden, weshalb Arbeitsplätze vernichtet wurden, anstatt geschaffen zu werden. Deshalb bemerkt der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor zu Recht, dass er noch nie jemals etwas Ähnliches wie den plötzlichen Zusammenbruch der austerity economics als politische Doktrin erlebt hat.

Während aber die Insider nicht mehr entschlossen scheinen, sich über die falschen Dinge Sorgen zu machen, gehen sie sogar dazu über, sich über die richtigen Dinge Sorgen zu machen, nämlich die Not der Arbeitslosen und die immense Verschwendung in einer schwer angeschlagenen (depressiv) Wirtschaft.

Und es geschieht nichts. Stattdessen scheinen die politischen Entscheidungsträger sowohl in den USA als auch in Europa von einer Kombination aus Selbstgefälligkeit und Fatalismus ergriffen, einem Gefühl, dass nichts mehr getan werden muss und kann: Krugman nennt es das grosse Schulterzucken.

Selbst die Menschen, die Krugman als die guten Jungs betrachtet, zeigen nicht viel Gefühl der Dringlichkeit in diesen Tagen. Die Fed z.B. spricht von tapering, dass die Bemühungen, Anleihen am offenen Markt zu kaufen,  zurückgefahren werden kann, auch wenn die Inflation unter dem Zielwert verläuft und die Beschäftigungslage schrecklich ist.

Warum ist aber die Verringerung der Arbeitslosigkeit nicht eine wichtige Priorität? Eine Antwort mag sein, dass die Trägheit (inertia) eine mächtige Kraft darstellt. Nach dem Motto, solange neue Arbeitsplätze entstehen, d.h. nicht verloren gehen, und die Arbeitslosigkeit im Wesentlichen stabil verbleibt, spürt die Politik keinen dringenden Handlungsbedarf.

Eine andere Antwort ist, dass die Arbeitslosen nicht viel politische Stimme haben. Eine dritte Antwort ist, dass die monetären Falken, während wir heute von Defizitfalken nicht mehr viel hören, lautstark werden, argumentiert Krugman. Es scheint keine Rolle zu spielen, dass die monetären Falken (monetary hawks) genau wie die fiskalischen Falken (fiscal hawks) falsch liegen. Wo ist denn die vermeintliche Inflation, die durch die Decke schiesst?

Die Tragödie ist, dass das alles unnötig ist. Man hört von einem „new normal“. Aber es gibt allerlei Gründe dafür, dass das Argument zu kurz greift, wenn es einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen wird. Wenn Washington seine zerstörerischen Haushaltskürzungen rückgängig machen, und wenn die Fed eine Entschlossenheit à la Roosevelt zeigen würde, sodass Ben Bernanke seinem eigenen Rat, den er als unabhängiger Ökonom vor Jahren an Japan erteilt hatte, folgte, dann würden wir rasch feststellen, dass es nichts Normales in Sachen Langzeitarbeitslosigkeit gibt. Als Fazit legt Krugman der Politik nahe, mit dem Achselzucken aufzuhören und endliche ihre Arbeit zu tun.

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