Samstag, 15. Juni 2013

EZB und fiskalische Auswirkungen von OMT

Die EZB ist an den EU-Vertrag gebunden und unterliegt damit nicht dem deutschen Grundgesetz. Dennoch hat sich das Bundesverfassungsgericht in einer zweitägigen Verhandlung mit der Frage befasst, ob das OMT-Programm (Anleihekauf) der EZB gegen den Artikel 123 („Verbot der monetären Staatsfinanzierung“) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU verstösst.

Die Kläger (politische Gruppen, Professoren und Politiker mit Sitz im Parlament) behaupten, dass die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen nicht nur Geld-, sondern auch Fiskalpolitik betreibe.

Paul De Grauwe erläutert in einem lesenswerten Artikel („Fiscal implications of the ECB’s bond-buying programme“) gemeinsam mit Yuemei Ji in voxeu die fiskalischen Auswirkungen der Anleihekäufe durch die EZB.

Eine der wichtigsten Lehren aus der Finanzkrise von 2008 ist, dass die Banken über mehr Eigenkapital verfügen müssen. Die Aufsichtsbehörden plädieren deswegen für strengere Eigenmittelvorschriften. Zugleich gibt es aber im Sog der Eurokrise Befürchtungen, dass die EZB demnächst negatives Eigenkapital ausweisen würde: Die EZB müsste rekapitalisiert werden und die Verluste müssten von der Öffentlichkeit getragen werden.

Eine Zentralbank ist aber mit einer Geschäftsbank oder einem privaten Unternehmen nicht zu vergleichen. Notenbanken können nicht illiquid werden. Die Handlungsfähigkeit einer Zentralbank wird nicht eingeschränkt, wenn ihr Eigenkapital vorübergehend negativ wird. Eine Zentralbank hat aufgrund ihres Notenmonopols gegenüber anderen Unternehmen einen Finanzierungsvorteil.

Es gibt aber in der Öffentlichkeit eine Verwirrung darüber. Die Medien können irgendwie auch nicht Abhilfe schaffen, weil auch die Bundesbank Verwirrung stiftet. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann will das Mandat der EZB einschränken lassen und bittet daher Karlsruhe um Hilfe. Die Bundesbank steht nämlich mit der Anklage gegen die EZB auf derselben Linie.

De Grauwe betont, dass die Befürchtungen, dass die deutschen Steuerzahler die Verluste der EZB tragen müssten, völlig unangebracht sind. Die Ängste beruhen laut dem an der London School of Economics lehrenden Wirtschaftsprofessor auf Missverständnisse in Bezug auf die Zahlungsfähigkeit der Zentralbanken. In der Tat sind die deutschen Steuerzahler die Hauptnutzniesser eines solchen Anleihekauf-Programms.

Eine Zentralbank muss kein Eigenkapital haben. Die Behauptung, dass eine Zentralbank mit negativem Eigenkapital durch das Finanzministerium (Schatzamt) rekapitalisiert werden muss, ist sinnlos, bemerkt De Grauwe und zieht die folgenden zwei Schlüsse: (1) Die Zentralbank, die nicht Zahlungsunfähigkeit (default) erklären kann, braucht keine fiskalische Unterstützung durch den Staat, der default erklären kann. (2) Die einzige Stützung, die die Zentralbank von der Regierung braucht, ist, dass sie das Notenmonopol beibehält.

Nun überprüft De Grauwe die praktischen Auswirkungen dieser beiden Schlussfolgerungen aufgrund des Anleihekauf-Programms erstens im Fall der Zentralbank in einem Land und zweitens im Fall der Zentralbank in einer Währungsunion wie der EWU.

(1) Durch den Ankauf von Anleihen transformiert die Zentralbank die Art der öffentlichen Verschuldung. Wenn die Zentralbank die Anleihen des Staates kauft, werden die Anleihen „umgewandelt“. Eine Staatsanleihe, die Zinsen abwirft und ein Ausfallrisiko trägt, wird dadurch zu einer monetären Verbindlichkeit der Zentralbank (money base), was nun default-frei wird, aber dem Inflationsrisiko unterliegt, argumentiert De Grauwe.

Nach der Transformation durch die Zentralbank neutralisieren sich die Staatsanleihen: Ein Vermögenswert (bei der Zentralbank) steht einer Verbindlichkeit (bei der Regierung) gegenüber. Als Ergebnis heben sie sich auf.

Wenn eine Zentralbank also eine Staatsanleihe ankauft, entfaltet der Rückgang im Wert dieser Staatsanleihen im Markt keine fiskalischen Auswirkungen. Ein Beispiel: Wenn die Zentralbank eine Staatsanleihe im Wert von 1 Mrd. Euro mit einem Kupon von 4% kauft, bekommt sie jährlich Zinseinnahmen in Höhe von 40 Mio. Euro. Am Ende des Jahres überträgt die Zentralbank die Zinserträge (mit Grenzkosten von null) an das Schatzamt (bzw. an die Regierung). Es ergibt sich daraus kein Gewinn für die öffentliche Hand. Der Gewinn der Zentralbank wird durch einen Verlust der Regierung ausgeglichen.

Was passiert aber, wenn die Zentralbank die Zinseinnahmen von 40 Mio. Euro nicht bekommt, weil die Regierung die Anleihe platzen lässt (default)?

Der Zahlungsausfall würde zu Verlusten bei privaten Gläubigern der Anleihe führen. Aber es ist für die Zentralbank irrelevant. Da die Zentralbank keine Zinseinnahmen bekommt, muss sie auch keine an das Schatzamt übertragen. Der Verlust der Zentralbank hat im Fall von Zahlungsausfall keine fiskalischen Auswirkungen.

(2) Das Ganze wird komplizierter, wenn man die Frage in einer Währungsunion die keine Fiskalunion ist, überprüft, da es nicht nur ein Land, sondern mehrere Länder (zur Zeit 17) gibt. Da die Eurozone keine Fiskalunion ist, führt das Anleihekauf-Programm zu Transfers unter den Mitgliedsländern.

Beispiel: Wenn die EZB eine spanische Staatsanleihe im Wert von 1 Mrd. Euro mit einem Kupon von 4% kauft, ergeben sich laut De Grauwe folgende fiskalische Auswirkungen: (a) Die EZB bekommt vom spanischen Schatzamt Zinserträge in Höhe von 40 Mio. Euro im Jahr. (b) Die EZB überträgt die Zinseinnahmen jedes Jahr an die Zentralbanken der Länder in der Eurozone. Die Verteilung erfolgt pro rata mit dem jeweiligen Anteil der Länder an der EZB. Die Zentralbanken übertragen dann die Gelder weiter an die eigene Regierung (d.h. das Schatzamt). Die EZB überträgt konkret 11,9% der Zinserträge (40 Mio. Euro) an die Zentralbank Spaniens (Banco de Espana). Der Rest geht an die Zentralbanken der anderen Länder. Die grösste Empfängerin ist die deutsche Bundesbank,  ihrem Anteil von 27,1% entsprechend: 10,8 Mio. Euro (in diesem Zahlenbeispiel).

In einer Währungsunion (in Ermangelung einer Fiskalunion) führt ein Anleihekauf-Programm zu Finanztransfers zwischen den Ländern, aber nicht in dem Sinne, wie in Deutschland durch die Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ein Anleihekauf-Programm der EZB führt jährlich zu einem Transfer von Ländern, denen die Anleihe abgekauft wird, zu den Ländern, denen keine Anleihe abgekauft wird.

Nun könnte die EZB ein Anleihekauf-Programm durchführen, welches Finanztransfers vermeidet, dadurch dass der Ankauf von Anleihen im gleichen Verhältnis zu den Anteilen der teilnehmenden Zentralbanken erfolgt. Damit würde aber das „Problem von Transfers“ nicht gelöst, weil die Verzinsung der ausstehenden Staatsanleihen nicht gleich ist.

In der Tat ist es so, dass die Länder mit der höchsten Kuponzahlungen (auf Staatsanleihen) Netto-Zahler sind, zu Gunsten von Ländern mit den niedrigsten Kuponzahlungen auf Staatsanleihen. Die Finanztransfers erfolgen tatsächlich von Kreditnehmer-Ländern (debtor)  in Richtung zu den Kreditgeber-Ländern (creditor).

Was aber passiert, wenn die Zentralbank die Zinseinnahmen von 40 Mio. Euro nicht bekommt, weil die eine Regierung in der Währungsunion die Anleihe platzen lässt (default)?

Wenn also in unserem Beispiel Spanien seine Staatsanleihe nicht bedienen würde, würde die EZB damit aufhören, Zinseinnahmen pro rata an die Zentralbanken der anderen Mitglieder der Eurozone zu übertragen. Die deutschen Steuerzahler würden also jährlich keine 10, 8 Mio. Euro bekommen. In keiner Weise würde man jedoch daraus schliessen, dass die deutschen Steuerzahler oder die Steuerzahler eines anderen Mitgliedstaates der Eurozone den Zinsausfall der spanischen Staatsanleihen ausgleichen bzw. übernehmen müssten.

De Grauwe vertritt jedoch die Ansicht, dass es die Möglichkeit von Inflationssteuer (inflation tax) gibt, d.h. einem wirtschaftlichen Nachteil. Im Moment der Umsetzung des Anleihekaufprogramms werden verzinsliche Papiere in monetäre Verbindlichkeiten der EZB (money base) transformiert, was laut De Grauwe zu Inflation führen könnte, womit eine Inflationssteuer von allen Menschen, die Euro halten, getragen werden würde. Die Frage ist am Schluss laut De Grauwe, wie gross der Umfang des Anleihekauf-Programms sein kann, ohne zusätzliche Inflation zu erzeugen, weil mit dem Anleihekauf-Programm die Notenbankgeldmenge (money base) ausweitet werde. Die entscheidende Frage sei, wie der Anstieg der Notenbankgeldmenge (Giroguthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank + Notenumlauf) zur Geldmenge übertragen werde. De Grauwe betont zwar, dass es nicht auf die Notenbankgeldmenge, sondern auf die Geldmenge ankomme, was die Inflation betreffe. Aber ich kann genau hier De Grauwe nicht ganz folgen. Der Geldmultiplikator ist zwar in den vergangenen Wochen in der Eurozone etwas angestiegen, aber der Anstieg hat nicht mit einer vermehrten Geldschöpfung im Banken-Sektor zu tun, sondern damit dass die Notenbankgeldmenge zurückgegangen ist. Dennoch: Ein ausgezeichneter Artikel. Unbedingt lesenswert.

PS: In der Schweiz ist die Notenbankgeldmenge im Sog der Eurokrise von 45 Mrd. CHF auf mehr als 250 Mrd. CHF gestiegen. Aber die Inflation ist negativ. Es gibt keine Inflation, sondern Disinflation mit Deflationsgefahr. Die SNB kauft keine Staatspapiere, aber dafür Devisen, v.a. Euro am Markt auf.

1 Kommentar:

Hardy hat gesagt…

"Notenbanken können nicht illiquid werden."

Dazu kann man aber auch eine andere Meinung haben:

"Zugleich bleibt Ben Bernanke auf dem Chefposten der FED, obwohl er mit der Verstiegenheit verblüfft, dass eine Zentralbank nicht bankrott gehen könne. Ihm bleibt die essentielle Basis ihres durchaus verlierbaren Eigentums für die Besicherung des Geldes und die Nachhaltigkeit der Kreditnetze dunkel."

Aus: Heinsohn/Steiger, Eigentumsökonomik

Ein nicht nur für den Blogbetreiber empfehlenswertes Werk - meines Erachtens das einzige, welches die Entstehung und das Wesen von Geld fugenlos darstellt.