Sonntag, 28. August 2016

Deutschlands Überschüsse und Europas Leiden

Der Eurozone geht es seit der Krise von 2008 besonders schlecht. Die Wirtschaft steckt in einem tiefen Abschwung; ja man kann sogar sagen, in einer Depression.

Deutschland gibt gern den Ländern mit Leistungsbilanzdefizit die Schuld und verweist auf Defizite und Lasterhaftigkeit der anderen Länder.

Und Berlin fordert, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Rest der Eurozone, sich so zu verhalten wie Deutschland. Das heisst: einen Überschuss im Haushalt zu erzielen und einen Überschuss in der Leistungsbilanz zu erstreben.

Dass das aus rein buchhalterischen Gründen gar nicht geht, muss wahrscheinlich nicht näher erläutert werden. Schliesslich sind die Einnahmen des einen die Ausgaben des anderen. Es sei denn, die Welt betreibt plötzlich Handel mit dem Mars. Fakt ist, dass die Welt als Ganzes keine Schulden hat.

Geflissentlich wird jedoch „vergessen“, dass Deutschland das Ausland weiter in die Verschuldung treibt.

Ganz in diesem Sinn bemerkt Brad Setser in seinem Blog, dass Deutschlands Haushaltsüberschuss (1,2% des BIP) Deutschlands massiven Leistungsbilanzüberschuss verstärkt.

Und der externe Überschuss Europas (350Mrd.EUR) den Nachfrageausfall effektiv an den Rest der Welt exportiert und damit den Abwärtsdruck der Zinsen weltweit erhöht.


Der neutral Zinssatz ist seit 2007 um 1 bis 2,5% gesunken, Graph: Greg Ip in: WSJ



Im Übrigen: Dass sich der Überschuss im öffentlichen Sektor zum Überschuss im privaten Sektor addiert und in einem stärkeren Ausmass zur Entfaltung kommt, bedeutet nichts anders als, dass das betreffende Land als Ganzes weniger verbraucht als es herstellt, wobei der ins Ausland verfrachtete Überschuss mit einem Anstieg der Forderungen gegenüber dem Ausland einhergeht, wie Martin Sandau in seiner Kolumne (pay-wall) in FT unterstreicht. Das heisst Schulden versus Forderungen.

Deutsche Politiker sagen zwar gern, dass der enorme Handelsüberschuss des Landes nicht das Ergebnis der Wirtschaftspolitik, sondern der wirtschaftlichen Fundamentaldaten ist. Aber die Behauptung ist, soweit es den Haushalt betrifft, schlicht nicht haltbar.



Fiskalpolitischer Impuls ist allem Anschein nach auch im nächsten Jahr eine Mangelware, Graph: Morgan Stanley

Die Politiker sehen es eben anders. Aber wie Joseph Stiglitz in seiner Kolumne bei Project Syndicate beschreibt, beruht das deutsche Wachstumsmodell teilweise in der Tat auf einer „Beggar-Thy-Neigbor“-Politik. Und der Erfolg dabei geht auf Kosten ehemaliger „Partner“.

Setser betont vor diesem Hintergrund zu Recht, dass Deutschlands Nachbarn deutsche Nachfrage nach ihren Gütern und Dienstleistungen viel mehr brauchen als Deutschlands Verlangen,  in Sachen Haushaltsdisziplin (fiscal prudence) ein Zeichen zu setzen.

Angesichts der bestehenden Gefahr einer Schuldendeflation (debt-deflation trap) in Deutschlands Partnerländern der Eurozone kann eine erfolgreiche Anpassung der Ungleichgewichte in der Eurozone nur dann stattfinden, wenn die Preise und Löhne in Deutschland schneller steigen als im Rest der Eurozone.

Damit fasst Setser das zusammen, was Heiner Flassbeck seit ungefähr zehn Jahren in diversen Vorträgen, Diskussionen und Schriftstücken zum Ausdruck bringt.



Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren in Deutschland, Graph: Heiner Flassbeck in: Makroskop


Auch Paul Krugman schreibt in seinem Blog bei NYTimes, dass der Euro-Raum die Frühphase von secular stagnation erleidet. Die Inflationsrate beträgt um die Hälfte weniger als der von der EZB angestrebte Zielwert. Es ist daher nicht weit hergeholt, festzuhalten, dass es eines fiskalischen Schubs bedarf, um dem „lowflation“-Problem zu entkommen.

Doch Deutschland Besessenheit von haushaltspolitischer Rechtschaffenheit steht im Weg. Was die Makroökonomie betrifft, lebt Deutschland laut Krugman in einem völlig anderen geistigen Universum.

Und das hat viele grössere Auswirkungen als schlechte Ideen sonst im Allgemeinen. Denn Deutschlands restriktiver Kurs der Fiskalpolitik trägt unmittelbar zur Schwäche der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Europas bei. Der Defizitfetischismus ist also ein wichtiger Grund, warum die anderen Länder in der Eurozone trotz der Niedrigzinsen immer noch einer fatalen Austeritätspolitik ausgesetzt sind.




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