Freitag, 5. August 2016

NIRP, Nachfrageschwäche und Investitionen in Infrastruktur


Die britische Notenbank (BoE) hat am Donnerstag den Leitzins um 0,25% auf 0,25% gesenkt. Das ist die erste Zinssenkung (*) seit sieben Jahren. Das Pfund Sterling hat sich gegenüber Währungen aus fast allen Industrieländern abgewertet. Und die Renditen der britischen Staatsanleihen (Gilts) sind gefallen, während die Aktienpreise (FTSE 100) gestiegen sind.

Die BoE versucht mit der Zinssenkung und der Aufstockung des Staatsanleihenkaufprogramms (nun insgesamt 60 Mrd. £) einen Einbruch der britischen Konjunktur nach dem Brexit-Beschluss zu verhindern.

Mark Carney, BoE-Gouverneur (**) hat bei der Vorstellung des neuen Massnahmenpakets angedeutet, dass die Zinsen weiter gesenkt werden können. Allerdings hat der Notenbanker mit dem kanadischen Pass betont, dass er „kein Fan von Negativ-Zinsen“ sei: „Wir sehen negative Folgen für das Finanzsystem und Probleme für die Sparer“.

Zur Erinnerung: Carney agiert zugleich als Vorsitzender des Financial Stability Board (FSB), einer G20 Institution mit Sitz in Basel, die das globale Finanzsystem überwacht und Empfehlungen abgibt.

Während also Mario Draghi, ECB und Haruhiko Kuroda, BoJ darauf bestehen, dass die Negativ-Zins-Politik (NIRP) funktioniert, teilt Carney mit Janet Yellen, Fed die Ansicht, dass die NIRP u.U. nicht viel taugen kann.


Negativ-Zinsen und Zentralbanken, Graph: Bloomberg


Das bedeutet natürlich nicht, dass die EZB falsch liegt. Was anderswo funktioniert, muss nicht unbedingt auch in Grossbritannien gut funktionieren, zumal Grossbritannien weniger auf die Banken angewiesen ist als die anderen EU-Länder oder Japan.


Ein Überblick über die von der BoE am Donnerstag ergriffenen Massnahmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Graph: FT

Adam Posen, PIIE hält es aber für falsch, dass die BoE die NIRP von vornherein ausschliesst. Carney kann seine NIRP-Zurückweisung später bereuen, wenn die Dinge nicht so laufen wie erwartet, argumentiert das ehemalige Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der britischen Notenbank.

Unabhängig davon, wie es ist, erinnert Simon Wren-Lewis in seinem Blog daran, was das Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre dazu sagt: Wenn die nominalen Zinsen nahe null liegen und die Geldpolitik an Zugkraft verliert, muss Fiskalpolitik eingesetzt werden.



Die Rendite der britischen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: @FastFT


Eine Frage, die damit zusammenhängt, ist, warum die BoE das gesamte Volumen des Anleihekaufprogramms erhöht? Die Antwort liegt auf der Hand; weil die nominalen Zinsen nahe null liegen (zero lower bound). Und weil die Auswirkungen der QE-Politik extrem ungewiss sind und von Helicopter Money nicht Gebrauch gemacht wird, sind wir auf fiskalpolitische Massnahmen angewiesen, um die Zinssenkung zu stützen, erklärt Wren-Lewis.

Wenn die Zinsen an der unteren Null-Grenze ankommen, gilt es, das Defizit zu vergessen und sich darauf zu konzentrieren, wie die Rezession vermieden werden kann. Die jüngste QE-Aktion der BoE zeigt nämlich, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, diesen Schritt hinaus zu verzögern. Es sollte jetzt geschehen, so der an der Oxford University lehrende Wirtschaftsprofessor mit Nachdruck.



Grossbritanniens Wirtschaftswachstum, Graph: @FastFT


Auch Narayana Kocherlakota befasst sich in seiner Kolumne bei Bloomberg mit dem Thema, was die öffentliche Hand unternehmen kann, um die anhaltende wirtschaftliche Schwäche anzugehen und das Wachstum zu fördern.

Der ehemalige Fed-Präsident (2009 bis 2015) von Minneapolis schreibt, dass der Staat in die Sanierung von bröckelnden Strassen, Brücken und in die Infrastruktur im Allgemeinen investieren soll. Die American Society of Civil Engineers schätzt den Bedarf an US-Infrastruktur in den nächsten vier Jahren auf 4’000Mrd. USD, um eine brauchbare Form beizubehalten.

Der an der University of Rochester lehrende Wirtschaftsprofessor nimmt kein Blatt vor den Mund und nennt eine weitere Massnahme: Der Staat könnte im nächsten Jahrzehnt jährlich 10'000 USD an alle Haushalte verteilen. Viele würden das Geld vermutlich auf die Bank bringen und sparen wollen. Aber diejenigen, die sonst nicht in der Lage sind, Kredit aufzunehmen, das sind i.d.R. ärmere Haushalte, würden das Geld sofort für den Konsum ausgeben. Und diese Ausgaben würden die Nachfrage ankurbeln und Unternehmen veranlassen, Investitionen zu erhöhen, und mehr Arbeitskräfte einzustellen.

Zu guter Letzt schreibt The Economist aus London heute, dass die neuste Forschung nahelege, wie die Bedeutung der stimulierenden Fiskalpolitik heute allmählich zunimmt, v.a. wenn die nominalen Zinsen nahe oder unterhalb von null Prozent liegen.

Das Hauptargument der britischen Zeitschrift ist im Grunde genommen, dass die anhaltend niedrigen Zinsen das Ende der Unabhängigkeit der Zentralbanken markieren könnten. In vielen Ländern ist die Zentralbank schliesslich eine Sparte der Regierung. Und die Unabhängigkeit der Zentralbanken wurde einst eingeführt, um etwas Disziplin in Bezug auf einen freizügigen Einsatz von Fiskalpolitik zu bringen.




(*)
Das war übrigens die 666. Zinssenkung seit der Pleite von Lehman Brothers, wie Bank of America Merrill Lynch unterstreicht.

(**)
Carney hat angekündigt, im Rahmen einer Term Funding Scheme (TFS) Banken bis zu 100 Mrd Pfund leihen zu wollen.


Keine Kommentare: