Freitag, 12. August 2016

Inkonsistenz der Auteritätspolitik und Sanktionen

Daniel Gros bedauert in seiner Kolumne („The Silent Death of Eurozone Governance“) bei Project Syndicate, dass die Europäische Kommission keine Sanktionen gegen Spanien und Portugal wegen Haushaltsdefizite verhängt hat.

Das Bussgeld wäre weitgehend symbolischer Art (*) gewesen, schreibt der Direktor des Centre for European Policy Studies (CEPS). Und er jammert weiter, dass auch das übrige Europa still geblieben sei.

Gros findet die „haushaltspolitische Nachsicht“ in der EU irgendwie unverzeihbar. Die Finanzdisziplin muss bewahrt werden, koste es, was es wolle, so der Tenor.

Im Grunde genommen fordert der deutsche Ökonom mehr Schmerzen für die Menschen in Spanien (**) und Portugal, wo die Arbeitslosenquote 19,9% bzw. 11,2% beträgt.

Seine Begründung: Wenn das Defizitverfahren des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht zur Anwendung kommt, was zwingt dann die Mitgliedstaaten, Reformen einzuleiten und ihr Schuldenniveau zu stabilisieren?

Spätestens an dieser Stelle wird es interessant, die liquidationistische Haltung des früheren Wirtschaftsberaters der EU-Kommission kurz unter die Lupe zu nehmen.


Fiskal-Multiplikatoren von Staatsausgaben in einer von Überschuldung des Privatsektors verursachten Rezession, Graph: Cleveland Fed in: „Does fiscal stimulus work when recessions are caused by too much private debt?“), Aug 08, 2016.



Die Anhänger der Austeritätspolitik lehnen es grundsätzlich nicht ab, dass Europa unter einer balance sheet recession leidet, wo die Überschuldung des Privatsektors auf dem Wirtschaftswachstum lastet.

Was sie nicht mögen, ist stimulus, ein Konjunkturprogramm, welches die Schmerzen lindern würde.

Tatsache ist aber, dass der Prozess des Schuldenabbaus (deleveraging) lange Zeit in Anspruch nehmen kann, bis die Wirtschaft sich erholt.

Der Verlauf ist aber mit unnötigen Kosten verbunden, weil die Schuldner gezwungen werden, die Ausgaben zu kürzen, während die Gläubiger keinen Anlass sehen, die Ausgaben zu erhöhen. Warum? Weil es an Nachfrage mangelt. Und die anhaltende Nachfrageschwäche führt in der Zwischenzeit zu noch mehr Schmerzen und Verschwendung von Human Capital.

Der Knackpunkt ist, dass der Prozess des Schuldenabbaus in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft zusätzlich erschwert wird, weil den Schuldnern das nötige Einkommen fehlt, um die Schulden zurückzufahren, und weil der rasche Rückgang der Inflation oder sogar die Deflation die reale Last der Schulden (debt deflation) erhöht.

Das Konzept der Bilanz-Rezession legt also nahe, dass Stimulierung notwendig ist, und deficit spending nur dabei helfen kann, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wieder anzuregen, während die nominalen Zinsen nahe Null liegen.

Die Liquidationisten (wie z.B. Schumpeter, Hayek usw.) stellen sich aber gegen stimulus, weil sie es für „künstlich“ halten. Eine Erhöhung der Staatsausgaben ist demnach nicht nötig, weil die Wirtschaft sich selbst erholen kann. Die Menschen sollen weiter leiden und lernen, nicht mehr den selben „Fehler“ (Haushaltsdefizit in einer Depression) zu machen. Das ist ihre Maxime.

Obwohl die Theorie der Liquiditätsfalle in den vergangenen sieben Jahren gezeigt hat, dass ein Anstieg der Notenbankgeldmenge (monetary base) nicht zu einer galoppierenden Inflation führt, ein Haushaltsdefizit die Zinsen nicht durch die Decke schiessen lässt und die fiskalischen Multiplikatoren höher sind als sonst, machen die Verfechter des „Liquidationism“ keine Anstalten, ihre Konzeption zu revidieren und ihre Erwartungshaltung anzupassen.

Wider besseren Wissens liegen sie weiter falsch und fordern noch mehr Schmerzen für Millionen von Menschen in Not, ohne mit der Wimper zu zucken.

In einer am Montag veröffentlichten Forschungsarbeit unterstreicht die Fed Cleveland, dass fiscal stimulus auch in Rezessionen mit Schuldenüberhang im Privatsektor wirksam ist.

Eine Erhöhung der Staatsausgaben geht mit einem fiskalischen Multiplikator von mehr als eins einher. Der höhere Multiplikator zeigt sich laut Verfasser der Studie in Form einer direkten Erhöhung des Konsums der privaten Haushalte, und zwar im Einklang mit den lokalen Gegebenheiten der jüngsten wirtschaftlichen Schwäche in den USA.

Die Ergebnisse der Forschung implizieren, dass das Übel der privaten Verschuldung durch Staatsausgaben, die durch die öffentliche Verschuldung (Ausgabe von Anleihen) finanziert werden, geheilt werden kann. Punkt.




(*) 

Was Gros als „symbolisch“ bezeichnet, beläuft sich quantitativ auf etwas mehr 2 Mrd. EUR. Wäre es nicht sinnvoll, diese Gelder z.B. in die Weiterbildung der Jugend zu investieren? Aber nein, die Schuldner sind schuld und sie müssen etwas erleiden.



(**)

Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in Spanien 45,8% per Juni. Insgesamt sind 4,5 Millionen Frauen und Männer sind in Spanien ohne Job.




1 Kommentar:

andi hat gesagt…

Inkonsistent ist die Austeritätspolitik doch nur, wenn man annimmt, dass Wirtschaftspolitik dem Gemeinwohl dienen solle. Nun waren die Theoretiker des Neoliberalismus wie Hayek durchaus bereit, für die wirtschaftliche Freiheit der ökonomisch Mächtigen Menschenleben zu opfern. Zwar geben alle Vertreter vor, dass auf lange Sicht das Gemeinwohl tatsächlich bei einer möglichst marktkonformen Gesellschaft gefördert werden würde. Doch an oberster Stelle steht das freie Unternehmertum, ohne dass der Pöbel dabei eine Rolle spielen würde.