Donnerstag, 25. August 2016

Europas Depression und Besessenheit von Negativzinsen


Europa steckt mittlerweile seit acht Jahren in depression economics, wobei die einflussreichen Entscheidungsträger immer noch so handeln, als ob sie nichts daraus gelernt hätten.

Paul Krugman gibt in seinem Blog zu Recht zu verstehen, dass der IWF das eigene Diktum verletzt hat und überall immer noch Haushaltskonsolidierung vorschreibt. Dabei hätte es (zumindest) für die Länder mit einem Leistungsbilanz-Überschuss eine expansive Fiskalpolitik empfohlen werden müssen.

Wir leben in einer Welt, in der die Theorie der secular stagnation in der Tat eine reale Gefahr für die Weltwirtschaft signalisiert. Trotz der anhaltend lockeren Geldpolitik verläuft die Inflation unter dem von den Zentralbanken angestrebten Zielwert.

Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren legen nahe, dass die Weltwirtschaft fiskalpolitische Unterstützung braucht, um die Nachfrage anzukurbeln und das Angebot an sicheren Staatsanleihen zu erweitern. Es funktioniert einfach nicht mehr, sich allein auf die Geldpolitik zu verlassen.

Es ist wichtig, bei Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass die Haushaltsdefizite und Schulden in der Eurozone durch die Krise verursacht wurden und nicht umgekehrt, wie Joseph Stiglitz in seiner Kolumne in Project Syndicate mit Nachdruck unterstreicht.

Zur Erinnerung: Italien und Irland hatten am Vorabend der Krise Überschüsse und im Verhältnis zum BIP geringe Verschuldung.


Der geschätzte „natürliche“ Realzins, Graph: Cecchetti and Schoenholtz



Wenn die deutsche Wirtschaft heute im direkten Vergleich mit dem Rest der Eurozone einen „guten Eindruck“ hinterlässt, dann ist es auf die einseitige Darstellung in den meisten Mainstream-Medien zurückzuführen.

Nichts darf laut Heiner Flassbeck darüber hinwegtäuschen, dass sich in Deutschland ein Neo-Merkantilismus herausgebildet hat, über Lohndumping hohe Leistungsbilanzüberschüsse zu erzielen, weil es die einzige Möglichkeit ist, „schuldenfreies“ Wachstum zu generieren.

Und was bemerkenswert ist, dass die Überschussländer in der Eurozone die Defizitländer zwingen, obendrauf die Kosten der Anpassung durch die sog. internal devaluation (was nichts anders bedeutet als Lohnkürzungen und Sozialabbau) selbst zu tragen.


Der Fehlschlag der europäischen Geldpolitik in einem Chart, Graph: Paul Krugman in: NYTimes


Ganz in diesem Sinne sagt auch Stiglitz, dass Deutschlands Wachstumsmodell teilweise auf einer „Beggar-Thy-Neighbor“-Politik beruht, wobei der Erfolg auf Kosten der ehemaligen „Partner“ geht.

Deutsche Politiker beschweren sich gern über die Niedrigzins-Politik der EZB. Finanzminister Wolfgang Schäuble redet von „aussergewöhnlichen Problemen“ für deutsche Finanzinstitute und Rentner. Die öfters gehörte Klage, dass die Zinsen „künstlich niedrig“ gehalten werden, hält aber nicht stand.



Der Verlauf der Rendite der sicheren Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit, Graph: FT


Ganz im Gegenteil, bemerken Credit Suisse Analysten, es ist die deutsche Wirtschaftspolitik, die die Binnennachfrage (durch stagnierende Löhne) künstlich (mehr dazu hier und hier) niedrig hält. Der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands beläuft sich per Ende 2015 auf 8,5% des BIP. Und der Haushaltsüberschuss verbucht unterdessen den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung.


Der geschätzte 1-Jahres-Realzinssatz für die USA, Japan und Deutschland, Graph: Cecchetti and Schoenholtz in: Money, Market & Financial Markets

Die Verfasser der CS-Studie deuten darauf hin, dass Deutschland sich selbst und dem Rest der Eurozone helfen kann, dadurch dass es eine mehr pro-Wachstumspolitik an den Tag legt, während die gegenwärtige Situation der Wirtschaft es tatsächlich dringend gebrauchen kann und die Kreditkosten im historischen Vergleich besonders niedrig sind.

Defizitfetischismus ist ein Teil Europas Probleme. Die „Schuld bei den Opfern“ zu suchen, bringt nichts weiter. Niedrigzinsen sind nicht ein völlig neues Phänomen. Cecchetti und Schoenholtz beobachten den Verlauf der Realzinsen in der Vergangenheit und kommen zu der Einschätzung, dass der 1-jährige Realzins in Deutschland ab 1995 31% der Zeit negativ war. Derselbe Wert beträgt für Japan 34% und für die USA 44%.

Mit anderen Worten gibt es aus einer vernünftigen ökonomischen Sicht absolut nichts Besonderes in Sachen Negativrenditen. Der Rest ist Polemik und/oder Ignoranz.







3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Europa steckt mittlerweile seit acht Jahren in depression economics, wobei die einflussreichen Entscheidungsträger immer noch so handeln, als ob sie nichts daraus gelernt hätten."


Die Entscheidungsträger handeln bewust so, wie sie seit acht Jahren handeln. Die sind nicht ideologisch verblendet, dumm oder ignorant. Darüber gibt es absolut keinen Zweifel. Die europäische Krise wurde absichtlich erzeugt und soll auch jetzt nicht beendet werden. (Ähnliches gilt für zB.für Japan)
Die Krise ist doch ein besonders gutes Druckmittel um Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur durchzusetzen. Ohne diesen Druck wird das nicht passieren - das ist die einfache Logik dahinter. Die Ziele sind: Deregulierung, Privatisierung, Flexibilisierung. Weltweit.
(Und die kleine Schweiz kommt auch irgentwann dran!)

Anonym hat gesagt…

"Es ist wichtig, bei Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass die Haushaltsdefizite und Schulden in der Eurozone durch die Krise verursacht wurden und nicht umgekehrt, wie Joseph Stiglitz in seiner Kolumne in Project Syndicate mit Nachdruck unterstreicht.

Zur Erinnerung: Italien und Irland hatten am Vorabend der Krise Überschüsse und im Verhältnis zum BIP geringe Verschuldung."


Wie wir alle wissen ist die Problematik der Staatsverschuldung und laufenden Defizite relativ zweitrangig. Die €-Krise beruht auf Auseinanderentwicklung der Lohnstückkosten (nicht Lohnkosten!) in Europa und deshalb logisch ist die "internal devaluation", weil (realistischerweise) es keinen anderen Weg gibt, die LSK anzugleichen! (und das müssen die betrofenen Länder dann leider selbst schultern).
Unrealistische Wege:
1)Flassbecks logische und richtige Idee der Anpassung "von Unten nach Oben" durch überproportionale nom. Lohnerhöhungen von 5% p.a. in D. über 15-25 Jahre (sic!)
2) Abwertungen der neuen-alten Währungen nach der €-Auflösung.
3)gibt es nicht
Dazu kommen unzählige andere Faktoren, die jeglichen alternativen Lösungen in Wege stehen: die absolut unabhängige EZB, Geldordnung, VWL mit ihren falschen (ohne Ausnahme) Wirtschaftstheorien, unsere Politiker uvm.

Anonym hat gesagt…

Zur "Logik" der scheinbar unlogischen Austeritätspolitik:

“Nur eine Krise – eine tatsächliche oder empfundene – führt zu echtem Wandel. Wenn es zu solch einer Krise kommt, hängt das weitere Vorgehen von den Ideen ab, die im Umlauf sind. Das ist meiner Ansicht nach unsere Hauptfunktion: Alternativen zur bestehenden Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu halten, bis das politisch Unmögliche politisch unvermeidlich wird.”

Milton Friedman