Daniel
Gros bedauert
in seiner Kolumne („The Silent Death of
Eurozone Governance“) bei Project
Syndicate, dass die Europäische Kommission keine Sanktionen gegen Spanien
und Portugal wegen Haushaltsdefizite verhängt hat.
Das Bussgeld wäre weitgehend symbolischer Art (*)
gewesen, schreibt der Direktor des Centre
for European Policy Studies (CEPS). Und er jammert weiter, dass auch das übrige
Europa still geblieben sei.
Gros findet die „haushaltspolitische Nachsicht“
in der EU irgendwie unverzeihbar. Die Finanzdisziplin muss bewahrt werden,
koste es, was es wolle, so der Tenor.
Im Grunde genommen fordert der deutsche Ökonom mehr
Schmerzen für die Menschen in Spanien (**) und Portugal, wo die
Arbeitslosenquote 19,9% bzw. 11,2% beträgt.
Seine Begründung: Wenn das Defizitverfahren des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht zur Anwendung kommt, was zwingt dann die
Mitgliedstaaten, Reformen einzuleiten und ihr Schuldenniveau zu stabilisieren?
Spätestens an dieser Stelle wird es interessant,
die liquidationistische Haltung des früheren Wirtschaftsberaters der
EU-Kommission kurz unter die Lupe zu nehmen.
Fiskal-Multiplikatoren von Staatsausgaben in
einer von Überschuldung des Privatsektors verursachten Rezession, Graph: Cleveland Fed in: „Does fiscal stimulus work when recessions are caused by too much private debt?“), Aug 08,
2016.
Die Anhänger der Austeritätspolitik lehnen es
grundsätzlich nicht ab, dass Europa unter einer balance sheet recession leidet, wo die Überschuldung des
Privatsektors auf dem Wirtschaftswachstum lastet.
Was sie nicht mögen, ist stimulus, ein Konjunkturprogramm, welches die Schmerzen lindern
würde.
Tatsache ist aber, dass der Prozess des
Schuldenabbaus (deleveraging) lange
Zeit in Anspruch nehmen kann, bis die Wirtschaft sich erholt.
Der Verlauf ist aber mit unnötigen Kosten
verbunden, weil die Schuldner gezwungen werden, die Ausgaben zu kürzen, während
die Gläubiger keinen Anlass sehen, die Ausgaben zu erhöhen. Warum? Weil es an
Nachfrage mangelt. Und die anhaltende Nachfrageschwäche führt in der
Zwischenzeit zu noch mehr Schmerzen und Verschwendung von Human Capital.
Der Knackpunkt ist, dass der Prozess des
Schuldenabbaus in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft zusätzlich erschwert
wird, weil den Schuldnern das nötige Einkommen fehlt, um die Schulden
zurückzufahren, und weil der rasche Rückgang der Inflation oder sogar die
Deflation die reale Last der Schulden (debt
deflation) erhöht.
Das Konzept der Bilanz-Rezession legt also nahe,
dass Stimulierung notwendig ist, und deficit spending nur dabei helfen kann,
die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wieder anzuregen, während die nominalen
Zinsen nahe Null liegen.
Die Liquidationisten (wie z.B. Schumpeter, Hayek
usw.) stellen sich aber gegen stimulus,
weil sie es für „künstlich“ halten. Eine Erhöhung der Staatsausgaben ist
demnach nicht nötig, weil die Wirtschaft sich selbst erholen kann. Die Menschen
sollen weiter leiden und lernen, nicht mehr den selben „Fehler“
(Haushaltsdefizit in einer Depression) zu machen. Das ist ihre Maxime.
Obwohl die Theorie der Liquiditätsfalle in den
vergangenen sieben Jahren gezeigt hat, dass ein Anstieg der Notenbankgeldmenge (monetary base) nicht zu einer
galoppierenden Inflation führt, ein Haushaltsdefizit die Zinsen nicht durch die
Decke schiessen lässt und die fiskalischen Multiplikatoren höher sind als
sonst, machen die Verfechter des „Liquidationism“ keine Anstalten, ihre
Konzeption zu revidieren und ihre Erwartungshaltung anzupassen.
Wider besseren Wissens liegen sie weiter falsch
und fordern noch mehr Schmerzen für Millionen von Menschen in Not, ohne mit der
Wimper zu zucken.
In einer am Montag veröffentlichten
Forschungsarbeit unterstreicht die Fed
Cleveland, dass fiscal stimulus
auch in Rezessionen mit Schuldenüberhang im Privatsektor wirksam ist.
Eine Erhöhung der Staatsausgaben geht mit einem
fiskalischen Multiplikator von mehr als eins einher. Der höhere Multiplikator zeigt
sich laut Verfasser der Studie in Form einer direkten Erhöhung des Konsums der
privaten Haushalte, und zwar im Einklang mit den lokalen Gegebenheiten der jüngsten
wirtschaftlichen Schwäche in den USA.
Die Ergebnisse der Forschung implizieren, dass
das Übel der privaten Verschuldung durch Staatsausgaben, die durch die
öffentliche Verschuldung (Ausgabe von Anleihen) finanziert werden, geheilt
werden kann. Punkt.
(*)
Was Gros als „symbolisch“ bezeichnet, beläuft
sich quantitativ auf etwas mehr 2 Mrd. EUR. Wäre es nicht sinnvoll, diese
Gelder z.B. in die Weiterbildung der Jugend zu investieren? Aber nein, die
Schuldner sind schuld und sie müssen etwas erleiden.
(**)
Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in Spanien
45,8% per Juni. Insgesamt sind 4,5 Millionen Frauen und Männer
sind in Spanien ohne Job.
1 Kommentar:
Inkonsistent ist die Austeritätspolitik doch nur, wenn man annimmt, dass Wirtschaftspolitik dem Gemeinwohl dienen solle. Nun waren die Theoretiker des Neoliberalismus wie Hayek durchaus bereit, für die wirtschaftliche Freiheit der ökonomisch Mächtigen Menschenleben zu opfern. Zwar geben alle Vertreter vor, dass auf lange Sicht das Gemeinwohl tatsächlich bei einer möglichst marktkonformen Gesellschaft gefördert werden würde. Doch an oberster Stelle steht das freie Unternehmertum, ohne dass der Pöbel dabei eine Rolle spielen würde.
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